Die Verfolgerschiffe waren heran!
Wohlgeplant und beinahe in aller Ruhe hatten die Galeone und die Karavelle während des wütenden Überfalls der Schaluppen ihre Umklammerung vorbereiten können. Von Backbord und von Steuerbord achteraus rauschten sie jetzt heran, um den Gegner in den Würgegriff nehmen zu können.
Verzweifelt versuchten die „Vengeurs“ noch, ihre Geschütze nachzuladen. Aber ihre Hoffnung wurde im Ansatz erstickt. Noch einmal hämmerten die Drehbassen der Schaluppen, dann fielen die Einmaster ab, als die beiden großen Kriegsschiffe zur Stelle waren.
Grellrot blühten die Feuerblumen beiderseits der „Le Vengeur“ auf. Der Donner der Breitseiten packte den Dreimaster mit infernalischem Getöse, der Eisenhagel ließ den Rumpf des schlanken Schiffes erzittern, und gellende Schreie stachen durch das Inferno. Erste Flammen züngelten auf der Kuhl hoch. Jean Ribault robbte über die Planken des Achterdecks nach vorn. Und wenn es ihm gelang, auch nur ein einziges Geschütz abzufeuern – die Dons sollten wissen, daß sie es nicht mit einem hilflosen Gegner zu tun hatten!
Im Flammenschein sah er die Schatten seiner Männer. Verzweifelt versuchten sie, die Brandherde zu löschen. Es trieb Ribault einen furchtbaren Schmerz ins Innerste, als er sah, wie kurz nacheinander zwei Männer von Musketenkugeln niedergestreckt wurden.
Die Flammen breiteten sich weiter aus. Und in teuflischer Schnelligkeit schienen die Minuten verronnen zu sein. Denn noch bevor Ribault den Backbordniedergang erreicht hatte, krachten die nächsten Breitseiten der Spanier. Feuer und Rauch brandeten auf die „Le Vengeur“ zu, und diesmal war es, als würde der Schiffsleib von den Einschlägen regelrecht durchgeschüttelt. Splitter und Holzteile krachten auf die Decks. Schmerzensschreie von Verwundeten gellten, und die tödlich Getroffenen sanken in sich zusammen, ohne noch einen Laut von sich zu geben.
Ein Stück aus der Verschanzung schrammte über Jean Ribault hinweg, und Schmerz durchzuckte sein rechtes Bein. Fluchend zog er den Splitter heraus, der sich in seinen Oberschenkel gebohrt hatte.
Flammen waren jetzt überall. Es gab kein Segel mehr, das nicht vom Feuer erfaßt war, und auch auf den Decks breiteten sich die Brandherde immer weiter aus. Der Entschluß, den er fassen mußte, brachte Jean Ribault fast um den Verstand. Aber er hatte keine andere Wahl, wollte er das Leben der Männer retten, die noch halbwegs unversehrt waren.
„Fiert die Jolle ab!“ brüllte er gegen das Inferno an. „Alle Mann ins Beiboot!“
Sie alle empfanden den gleichen Schmerz wie ihr Kapitän. Aber sie wußten, daß es keine andere Möglichkeit gab. Eilends wurde die noch intakte große Jolle zu Wasser gelassen, während ein Teil der Crew die Decks nach Überlebenden absuchte. Jean Ribault und die meisten anderen retteten sich durch einen Sprung über Bord. Mit kraftvollen Zügen schwammen sie auf das Boot zu und wurden von den anderen hineingezogen. Erst jetzt bemerkten sie, daß die Dons von ihnen abgelassen hatten und ihrem Verband nachsegelten. Es war keine Erleichterung.
Mit aller Kraft pullten die Männer von ihrem brennenden Schiff weg. Und es trieb ihnen die Tränen in die Augen, als sie aus hundert Yards Entfernung miterleben mußten, wie eine riesige Stichflamme aus der „Le Vengeur“ zuckte. Im nächsten Moment wurde der Dreimaster von der Explosion der Pulverkammer in Stücke gerissen.
Die „Le Vengeur“ existierte nicht mehr.
Schweigend und mit einem Würgen in der Kehle sahen die Männer im Boot zu, wie der Feuerball der Detonation in sich zusammensank, wie die Trümmer herabregneten und es bald darauf völlig still wurde.
Jean Ribault blieb es nur noch, festzustellen, daß zwanzig seiner Männer überlebt hatten. All jene, mit denen er seit Jahren gemeinsam über die Weltmeere gesegelt war, befanden sich bei ihm in der Jolle. Aber zehn Männer hatten den Tod gefunden und ihr Leben für den Bund der Korsaren und für die Schlangen-Insel gelassen.
Dies wog ungleich schwerer als der Verlust der „Le Vengeur“. Denn ein Schiff ließ sich ersetzen.
Sie blieben, wo sie waren.
In den frühen Morgenstunden des 25. Juli rauschten die „Tortuga“ und die Schebecke mit ihren unverkennbaren rot-weißen Segeln heran.
Jean Ribault und seine Gefährten atmeten auf. Doch eine überschwengliche Begrüßung gab es nicht. Angesichts der niederschmetternden Geschehnisse der vergangenen Stunden hatten auch die Männer an Bord der beiden Dreimaster andere Dinge im Kopf, als in Wiedersehensfreude auszubrechen.
In aller Eile wurden die zwanzig Männer von der „Le Vengeur“ an Bord der „Tortuga“ übernommen, nachdem Ribault sich an Bord der Schebecke begeben hatte. Sofort nachdem Jerry Reeves auch die Jolle an Deck seiner Galeone hatte hieven lassen, wurde die Jagd auf den Verband fortgesetzt.
Don Juan berichtete, daß die Galeone, die die „Le Vengeur“ an der Backbordflanke des Verbandes erwischt hatte, gesunken war. Die Besatzung, so hatte man von der Schebecke und von der „Tortuga“ aus beobachtet, hatte sich in Booten abgesetzt.
Jean Ribault nickte gedankenverloren. Harte Furchen kerbten sein Gesicht, während er vorausblickte. Deutlich zeichneten sich die Schiffe des spanischen Verbandes vor der Kimm ab. Ribault dachte nicht einmal an die Kratzer, die er davongetragen hatte. Es war alles nebensächlich. Den Verlust der zehn Männer und den Verlust seines Schiffes würde er so schnell nicht verkraften. Nur die Rache konnte ihm vielleicht darüber hinweghelfen.
„Ich kann auch die schlechtere Nachricht nicht unerwähnt lassen“, sagte Don Juan nach einer kurzen Pause.
Jean Ribault wandte den Kopf ruckartig und blickte ihn erstaunt an. Jähe Besorgnis wallte brennend in ihm auf.
„Es hat mit der ‚Isabella‘ zu tun“, stieß er hervor, „so ist es doch, nicht wahr? Nun rede schon!“
Don Juan preßte die Lippen aufeinander und nickte. In kurzen Zügen berichtete er, daß er gemeinsam mit Jerry Reeves die „Isabella“ überholt hatte. Dabei hatten sie erfahren, was sich abgespielt hatte.
„Hasard wird vermißt“, schloß Don Juan seinen Bericht tonlos.
Jean Ribault starrte ihn an und brachte kein Wort hervor. Es traf ihn wie ein Stich ins Herz.
Der Seewolf vermißt! Die Konsequenzen waren nicht auszudenken. Diese Nacht zum 25. Juli Anno 1594 schien sich für den Bund der Korsaren mehr und mehr als schicksalhaft zu erweisen. Was, in aller Welt, würde noch alles geschehen? Hatte sich denn tatsächlich das Glück gegen sie gewendet?
In den Mittagsstunden änderte sich die Lage auf unerwartete Weise. Der Nordost, der sich bis zu diesem Zeitpunkt als ein so stetiger und verläßlicher Geselle erwiesen hatte, ließ plötzlich nach. Einige Minuten lang klatschten und schlugen die Segel noch, dann war es vollends still. Schlaff hing das Tuch von den Rahen herab.
„Ein Flautenloch!“ brüllte Jerry Reeves von der „Tortuga“ herüber. „Der Verband segelt weiter!“
In der Tat war deutlich zu erkennen, wie sich die Formation der Kriegsschiffe zur Kimm hin verkleinerte.
Don Juan und Jean Ribault beratschlagten nur kurz. Dann, nachdem sie sich auch mit Jerry Reeves abgesprochen hatten, wurde nicht lange gefackelt. Zehn Männer aus Ribaults Crew wurden von der Schebecke übernommen, und mittels Riemenantrieb pullten sie die Schebecke weiter nach Südosten.
Die Fahrt, die der schlanke Dreimaster dabei lief, war nur gering. Aber es war besser als nichts.
Erst am späten Nachmittag zeigte sich der Erfolg der schweißtreibenden Arbeit. Sie hatten das Flautenloch hinter sich gebracht. Unvermittelt füllte der Nordost wieder die rot-weißen Segel. Eilends holten die Männer die Riemen ein und schlossen die Ruderpforten. Gleich darauf lief die Schebecke erneut rauschende Fahrt auf Kurs Ost.
Ebenso wie der Kampfverband voraus, war auch die „Tortuga“ achteraus nicht mehr in Sicht.