Die Kanonen wurden inzwischen in Windeseile nachgeladen. Dann donnerten sie wieder, und der Beschuß hielt weiterhin an. Die Schiffe schossen aus allen Rohren zurück, aber ihre Geschützführer hatten keine sichtbaren Ziele, auf die sie halten konnten, weil die Kanonen der Schlangen-Insel meisterhaft getarnt und verborgen waren und die Krieger und Kriegerinnen immer nur wie geisterhafte Schemen zwischen dem Gestein und dem Buschwerk auftauchten und sogleich wieder verschwanden.
Siebzehnpfünderkugeln und Pfeile prasselten auf die Schiffe ein, die ersten Detonationen rollten grollend über sie, als sei ein Gewitter im Anzug. In das Wummern und Dröhnen der Kanonenschüsse und Explosionen mischte sich das Fluchen und Brüllen der Besatzungen – und im Nu herrschte auf allen Schiffen Wuhling und Zustand.
Dieser erste Feuerschlag der Verteidiger der Insel war mit strategischem Geschick geplant und generalstabsmäßig durchgeführt. Es gab keinen Punkt der Insel, der nicht von Kanonen oder Pfeilschützen besetzt war, keine schwache Stelle also, an der der Feind den Durchbruch wagen und landen konnte. Die Spanier sahen sich einer flammenden und tosenden Barriere gegenüber – und weder die beiden Galeonen noch die drei Karavellen blieben von dem Beschuß verschont.
Das taktische Konzept, das Karl von Hutten, Arkana, Pater David und Ramsgate ausgearbeitet hatten, forderte, daß dem Gegner von Beginn an, auf Anhieb, die schwersten Verluste zugefügt werden sollten. Er mußte dazu gezwungen werden, sich zurückzuziehen, denn nicht zuletzt ging es ja auch darum, Zeit zu gewinnen.
Das Konzept stimmte, die Rechnung ging auf: Auf allen fünf Schiffen gab es schwere Brände und Schäden – ganz abgesehen von den Toten und Verletzten. Riggs wurden zerschossen, Segel samt Rahen krachten auf die Decks, und die Schreie der Sterbenden und Verwundeten hallten über die See.
Immer noch grollten die Kanonen, und nach wie vor hagelte es Pfeile, die wiederum die Brandherde an Bord der Schiffe vermehrten. Die See zwischen den Seglern und der Insel schien zu brodeln und zu kochen. Fontänen stiegen mit gischtenden Kronen auf und fielen wieder in sich zusammen. Das heulende, tosende Inferno hielt an, und es schien kein Ende abzusehen zu sein.
Besonders schlimm traf es eine der drei Karavellen. Die Flammen stiegen lodernd aus ihrem Rigg auf – wie das Feuer in einem Kamin. Es prasselte, knisterte und knackte, und die brennenden, qualmenden Rahen lösten sich und donnerten auf die Decks. Wild schrien die Männer, zwei oder drei waren unter der Großrah begraben, Verwundete wälzten sich auf allen Decks.
Zwei Decksleute versuchten, einen der Schwerverwundeten zu bergen, doch jetzt ertönte der Befehl des Kapitäns: „Alle Mann von Bord!“ Es hatte keinen Sinn mehr, das Schiff zu halten. Das Feuer schickte sich an, das Vordeck einzuhüllen, und die Pulverkammer konnte jeden Augenblick in die Luft fliegen. Es galt zu retten, was noch zu retten war, sonst traf auch diese Mannschaft das Schicksal der Männer der „San Gabriel“.
Die Männer sprangen außenbords, landeten im Wasser, tauchten wieder auf und schwammen, so schnell sie konnten, zu den Schaluppen, die herandrehten und Kurs auf sie nahmen. Zwei Männer der Karavelle trachteten noch danach, das Beiboot auszuschwenken und abzufieren. Sie hatten Angst vor den Haien.
„Vorwärts!“ brüllte der Kommandant ihnen zu. „Weg! Haut ab! Ihr schafft es nicht mehr! Das Schiff fliegt euch um die Ohren!“
Einer der beiden sprang daraufhin in die See. Der andere stolperte, kippte über den Handlauf des Schanzkleides, hielt sich noch am Dollbord des bereits ausgeschwenkten Bootes fest und strampelte mit den Beinen – dann löste sich das Boot aus den vom Feuer aufgezehrten Tauen und fiel ins Wasser. Der Mann ließ es los, klatschte in die Fluten, entging der Jolle mit knapper Not und schwamm seinen Kameraden nach.
Jetzt verließ auch der Kommandant das lodernde Schiff. Er spürte die Hitze des Feuers hinter seinem Rücken und wußte, daß schon in diesem Augenblick die Pulverkammer in die Luft fliegen konnte.
„Adios“, sagte er, dann schwang er sich über das Schanzkleid und stürzte dem Wasser entgegen. Er tauchte unter, bewegte die Arme und Beine und versuchte verzweifelt, den Abstand zwischen sich und dem Schiff zu vergrößern.
Dann aber vernahm er das Dröhnen der Explosion, das ihm die Trommelfelle zu sprengen drohte. Eine Druckwelle stieß durchs Wasser und nahm ihn mit. Er fühlte sich wie von einem Katapult geschnellt, aber er blieb unter Wasser, solange die Atemluft ausreichte, und entging auf diese Weise den wirbelnden Trümmerteilen, die in diesem Moment in die See fielen.
Wenig später tauchte auch er auf und erkannte, daß die Schaluppen nicht mehr weit entfernt waren. Er Warf einen Blick zurück zu seinem Schiff. Es war verschwunden. Es hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Nur die schwimmenden Trümmer zeugten noch davon, daß es existiert hatte.
Don Garcia Cubera hatte auch diese Explosion vom Achterdeck der „San José“ aus beobachtet. Er schloß unwillkürlich die Augen und biß die Zähne so heftig zusammen, daß sie knirschten. Dann fällte er seinen Entschluß. Es hatte keinen Sinn, weiterhin die Inselfestung mit Kugeln zu beschießen. Wie die Dinge im Moment standen, vergeudete er dabei lediglich Munition, und er setzte seine Männer einem zu hohen Risiko aus.
„Rückzug!“ befahl er. „Wir gehen auf Distanz!“
Eine derart massive und treffsichere Abwehr hatte er nicht erwartet. Er mußte seine Taktik überdenken und sich etwas Neues einfallen lassen. Die Insel schien eine uneinnehmbare Festung zu sein, sie hatte ihn schon zwei Schiffe gekostet.
Herrgott, dachte er, ist denn hier alles verhext? Stehen die Hunde mit dem Teufel im Bunde?
Mit dem Teufel nicht, hätte ihm Arkana geantwortet, wohl aber mit dem Schlangengott.
3.
Don Antonio de Quintanilla war bereits übel, als die Schiffe das Feuer auf die Insel eröffneten. Als aber zurückgeschossen wurde, als die Kugeln heranheulten und sich zischende, sausende Pfeile wie todbringende Rieseninsekten auf die Schiffe senkten, war es endgültig um seine Beherrschung geschehen. Er begann vor Angst zu schreien.
Ein Pfeil bohrte sich nicht weit von ihm entfernt in die Planken. Es war ein Brandpfeil. Er starrte ihn an, würgte ohne Erfolg an einem dicken Kloß, der in seiner Kehle zu stecken schien, und brach dann in den Knien zusammen. Er knallte auf die Planken – und das tat weh. Er hatte die Hände von den Ohren genommen und stützte sich an der Nagelbank des Besanmastes ab. Er stöhnte und wimmerte und glaubte, jeden Moment sterben zu müssen.
Der Dritte Offizier war bei dem Pfeil, packte ihn mit beiden Händen und riß ihn aus dem Holz. Er schleuderte ihn außenbords und verbrannte sich dabei die Finger. Er stieß einen Fluch aus, dann tauchte er die Hände in einen der Kübel mit Seewasser, die zum Anfeuchten der Wischer bei den Kanonen bereitstand den.
Don Antonio sah einen Mann, der von einem heranfliegenden Pfeil durchbohrt wurde, dann verfolgte er, wie auf dem Hauptdeck ein Pulverpfeil auseinanderflog. Die rußgeschwärzten Gesichter der Umstehenden färbten sich rot. Gräßlich sahen sie aus, und noch schlimmer waren die Laute, mit denen die Schwerverletzten zusammensanken.
Don Antonio keuchte und schrie, und mit einer Hand griff er nach dem Herzen. War dies das Ende? Ja – so war es, wenn man starb. Er war verloren, verraten und verkauft, für ihn gab es keine Rettung mehr. Auch ein Sprung ins Wasser nutzte ihm nichts, denn er konnte nur zur Insel schwimmen, und dort würden sie ihn greifen und köpfen oder pfählen oder bei lebendigem Leibe in Stücke reißen. So grausam waren diese Piraten, so sprangen sie mit den Gegnern um, die ihnen in die Hände fielen.
Es gab nur die eine Möglichkeit – er mußte an Bord der „San José“ bleiben und auf das Ende warten. Aber wenigstens wollte er sich in seine Kammer zurückziehen, um nicht mehr das Entsetzliche miterleben zu müssen, das hier, an Oberdeck, seinen Lauf nahm.
Er