„Die, Señor?“ fragte der Erste erstaunt.
„Die Verteidiger der Insel natürlich. Oder zweifeln Sie etwa daran, daß sie existieren?“
„Ich frage mich nur, wo sie sich verkrochen haben“, erwiderte der Erste.
„Zwischen den Felsen“, sagte Cubera. „Es gibt genug Löcher und Spalten und wahrscheinlich auch Höhlen. Dort finden sie ausreichenden Unterschlupf, und natürlich kennen sie sich bestens aus. Aber wir werden sie ausräuchern, das schwöre ich Ihnen.“
Wenig später erschien Don Antonio, von seinem derzeitigen Wachtposten vorwärts dirigiert, über den Backbordniedergang auf dem Achterdeck. Er sah verstört aus. Sein äußerer Zustand war nahezu verwahrlost, er schien sich selbst bereits aufgegeben zu haben.
„Señor“, sagte Cubera, „ich nehme an, die kandierten Früchte und der Portwein schmecken Ihnen nicht mehr. Sie haben inzwischen begriffen, daß wir es mit einem harten Gegner zu tun haben.“
„Ja. Und Sie brauchen mich nicht zu verhöhnen.“
„Das tue ich nicht.“
„Was wollen Sie von mir?“
„Daß Sie am Kampfgeschehen teilnehmen.“
„Ich soll … Aber ich kann mit Kanonen nicht umgehen und hasse Pulverrauch!“ protestierte Don Antonio.
„Mit Pistolen können Sie aber umgehen“, sagte Cubera scharf. „Hiermit ordne ich an, daß Sie auf dem Achterdeck bleiben und dem jetzt erfolgenden Angriff auf die Insel der Engländer beiwohnen.“
„Nein! Das können Sie von mir nicht verlangen!“
„Das ist ein Befehl“, sagte Cubera nur noch schroff. Dann wandte er ihm den Rücken zu.
Die Schiffe hatten die Insel bis auf eine Distanz von siebzig Yards angelaufen und drehten bei, um ihre Batterien in Schußposition zu bringen. Die Kapitäne und Besatzungen warteten auf den ersten Schuß der „San José“ – und dort standen die Geschützführer mit glimmenden Lunten neben ihren Stücken.
Don Antonio stand mit weichen Knien da und verfolgte die Vorbereitungen wie in Trance. Er konnte nicht recht begreifen, was um ihn herum vorging, es schien sich um einen gräßlichen Alptraum zu handeln. Er hatte das Gefühl, in den Knien zusammenbrechen zu müssen, und doch trat es nicht ein. Weiterhin aufrecht stehend, erlebte er nun, wie es war, wenn die Kugeln pfiffen und heulten.
Was folgte, schien an Weltuntergang zu grenzen. Don Garcia hob die Hand zum Zeichen und schrie: „Feuer!“
Dann wurden die Backbordgeschütze der „San José“, die auf die Schlangen-Insel gerichtet waren, gezündet, und mit grollendem Donner rasten die Kugeln, von flammenden Zungen gestoßen, aus den Rohren. Sie flogen auf das Ufer zu, und noch ehe sie ihr Ziel erreichten, ertönte auch von Bord der anderen Schiffe das Wummern der Geschütze. Die Geräusche prallten auf die Felsen der Insel und schienen in hundertfachem Echo zurückzukehren. Es zuckte und blitzte, und im explosionsartigen Donnern der Stücke stiegen fette Qualmwolken in den Himmel auf.
Genau dies war der Moment, in dem sich Don Antonio die Hände gegen die Ohren preßte. Er hätte dies lieber unten in der Kammer getan, wo ihn keiner sehen konnte, aber auch hier konnte er sich dem übermächtigen Drang, es zu tun, nicht widersetzen. Er stöhnte und jammerte, und er ertrug die Verachtung in den Mienen der umstehenden Männer, die nicht so schlimm war wie seine nackte, gräßliche Angst.
Die fünf Schiffe hämmerten ihre Breitseiten in die Felsen der Schlangen-Insel, aber nach wie vor rührte sich dort nichts. Don Garcia Cubera selbst ließ sich ein Spektiv reichen und beobachtete unausgesetzt, ob sich drüben etwas tat. Aber er wurde enttäuscht. Kein Lebewesen zeigte sich, und wieder wirkte die Insel verlassen und menschenleer.
2.
Karl von Hutten kauerte zu diesem Zeitpunkt bereits wieder neben den Freunden. Außer ihm befanden sich Arkana, Hesekiel Ramsgate, Pater David sowie ein paar Männer der Werft-Crew im Gefechtsstand. Sie spähten aus sicherer Deckung zu den Schiffen des Gegners und verfolgten, wie der Verband auseinanderfächerte.
„Aha, sie belegen uns jetzt von allen Seiten mit Beschuß“, sagte Karl von Hutten. „Sie kochen vor Wut, aber sie wissen noch nicht genau, wie groß und welcher Art der Widerstand ist, der sie auf der Insel erwartet.“
„Das mit den Pulverfässern war eine gute. Idee“, sagte Ramsgate. „Daran haben sie erst mal schwer zu schlucken. Ich glaube nicht, daß sie so leicht darüber hinwegkommen. Habt ihr die Schreie und Flüche an Bord der Schiffe gehört?“
„Ja“, antwortete Pater David. „Und ich habe für die armen Teufel von der versenkten Galeone gebetet.“
„Wie geht es weiter?“ fragte Arkana. „Die Schaluppen scheinen an dem Kanonenzauber nicht teilzunehmen. Sie rühren sich nicht vom Fleck.“
„Das macht nichts“, sagte Ramsgate. „Uns soll es nicht stören. Es geht gleich los. Sie umzingeln uns.“
Mit den Kiekern hielten sie nach allen Seiten Ausschau und verfolgten, wie sich die beiden Galeonen und die drei Karavellen in Schußposition brachten. Nur wenige Atemzüge später brach der Donner los, und fast meinten sie, die Schlangen-Insel müsse unter den Treffern erbeben.
Aber sie wackelte nicht – sie ließ nicht das geringste Zittern verspüren. Sie war aus hartem, solidem Gestein gewachsen, diese Insel, das hatte ja auch der Felsendom bewiesen, der bei der Explosion nicht eingestürzt war.
Die Kanonen der Insel schwiegen. Die Batterieführer in den einzelnen getarnten Geschützstellungen rings um die Insel hatten den strikten Befehl, erst zu feuern, wenn sie sicher waren, Treffer zu erzielen.
„Das bedeutet, der Gegner muß sich bis auf Kernschußweite genähert haben, ehe wir was unternehmen“, erläuterte Karl von Hutten Pater David, als sie sich auch im Donnern der Schiffsgeschütze hoch unterhielten.
„Warum ist das so wichtig?“
„Diese Kernschußweite soll den direkten horizontalen Schuß ermöglichen“, entgegnete von Hutten. „Ohne daß die Höhe berücksichtigt zu werden braucht. Das ist einfacher.“
„Die Geschoßflugbahn bildet keine Parabel, sondern nahezu eine direkte Gerade“, erläuterte Hesekiel Ramsgate. „Das dürfte bei etwa fünfzig Yards gewährleistet sein.“
„Ja, das glaube ich auch“, sagte Karl von Hutten. „Die Schiffe müßten sich also noch etwas nähern.“
„Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß sich die Geschützstellungen in den Felsen über Meereshöhe und somit auch höher als die Stücke auf den Schiffen befinden“, sagte Arkana.
„Und deine Leute können inzwischen auch gut genug mit den Dingern umgehen“, sagte der alte Ramsgate und grinste. „Ja, sie haben eine harte Schule über sich ergehen lassen müssen, aber es hat sich gelohnt.“
Die Schlangen-Krieger waren von Karl von Hutten und Jean Ribault in der Bedienung der Geschütze ausgebildet und unterrichtet worden, und zwar gründlich. In dieser Beziehung waren sie also keine Neulinge mehr. Schon seit geraumer Zeit waren auf der Schlangen-Insel Übungsschießen veranstaltet worden. Dabei wurde von der jetzigen Gefechtsstation oder von den Felsen im Südwesten aus auf Seeziele gefeuert, und zwar auf Scheiben, die von Jollen geschleppt wurden. Allmählich war es den Kriegern gelungen, dabei hervorragende Trefferquoten zu erzielen.
Demzufolge lauerten die Schlangen-Krieger jetzt gelassen darauf, daß sich der Gegner noch weiter herantraute. Alle waren feuerbereit. Die Kanonen waren fertig geladen, und die Luntenstöcke lagen griffbereit neben den Kupferbecken, in denen die Holzkohlenglut brannte. Sie alle warteten nur noch auf das Zeichen, das Arkana ihnen geben würde, sobald die Entfernung zwischen Insel und Feind noch ein wenig