Keins der Steuerbordgeschütze war ausgefallen. Eiskalt ließ Dan O’Flynn die Spanier nahe genug heran. Auf sein Kommando ließ Pete Ballie die „Isabella“ abfallen. Sekunden später stachen die Mündungslanzen aller dreizehn Geschütze auf die Dons zu, noch bevor sie selbst zum Schuß gelangten. Auf Anhieb kassierten beide Galeonen gleichzeitig mörderische Treffer.
Doch in diesem Augenblick setzte das von den Arwenacks entfesselte Inferno erst richtig ein.
In fliegender Hast luden Al Conroy und die anderen die Steuerbordgeschütze nach. Unterdessen ließ Dan O’Flynn die „Isabella“ weiter abfallen, kreuzte den Kurs der Spanier und ging dann auf Gegenkurs. Zischend rasten die ersten Brandpfeile aus den Marsen zum Gegner hinüber. Batuti und Big Old Shane feuerten ihre weiteren glühenden Geschosse in blitzschneller Folge ab.
Auf der Back harrte Ferris Tucker aus, bis der erste Spanier nahe genug heran war. In hohem Bogen flog die erste Höllenflasche los, geladen mit gehacktem Blei und rostigen Nägeln.
„Steuerbordgeschütze klar!“ brüllte Al Conroy.
Flammen loderten aus den Segeln beider Spanier. Die erste Höllenflasche detonierte mit dumpfem Krachen, und markerschütternde Schreie waren die Folge. Grimmig lachend schickte Ferris Tucker die nächsten Flaschenbomben auf die Reise. Detonation folgte auf Detonation. Auf den Decks beider Galeonen schrien Verwundete und Sterbende. Die anderen versuchten in panischer Eile, die vielen Brandherde an Deck zu löschen. Doch gegen die in den Segeln hochleckenden Flammen waren sie machtlos. Schon lief die erste Galeone aus dem Ruder.
„Volle Breitseite – Feuer!“ gellte Dan O’Flynns Stimme.
Wieder donnerten die Geschütze der „Isabella“, und die Serie der Treffer hämmerte mit furchtbarer Gewalt in den Leib der aus dem Ruder laufenden Galeone.
Auch der zweite Spanier brannte bereits lichterloh. Im Passieren wurde er mit einer weiteren Folge von Brandpfeilen und Höllenflaschen eingedeckt. Die Wuhling an Bord gestattete es den Dons nicht, auch nur an ihre Geschütze zu denken.
Seelenruhig ging Dan O’Flynn auf Gegenkurs, und gleich darauf krachte die Backbordbreitseite in die soeben passierte zweite Galeone. Unablässig gellten die Schreie. Immer noch sirrten die Brandpfeile, und Ferris Tucker fuhr erbarmungslos fort, die Flaschenbomben zu katapultieren.
Wieder und wieder hämmerten die Breitseiten der „Isabella“ in die waidwund geschossenen Gegner. Viel zu sehr waren die Spanier mit den Bränden beschäftigt, um auch nur ein einziges Geschütz im Gegenzug abzufeuern. Das Grauen hatte sie gepackt. Dieser Gegner war übermächtig. Eine unvorstellbare, ja teuflische Kraft mußte ihn beseelen.
Kommandos ertönten, schrill, von sich überschlagenden Stimmen. Boote, die noch intakt waren, wurden gefiert. Aus dem Flammenmeer heraus sprangen Männer über Bord. Bei einigen hatte die Kleidung Feuer gefangen, und das Wasser rettete sie. Die vordere Galeone hatte bereits beträchtliche Schlagseite. Doch die Frage, ob sie erst sinken oder zuvor durch die Explosion der Pulverkammer auseinanderfliegen würde, beschäftigte niemanden. Nur das nackte Leben zählte noch.
Dan O’Flynn erteilte Order, wieder auf Südostkurs zu gehen. Fast schwerfällig entfernte sich die „Isabella“ von dem blutrot erhellten Kreis, der die brennenden Galeonen umgab.
Vier Boote, überfüllt mit Spaniern, flüchteten nach Süden – dorthin, wo sie die kubanische Küste wußten.
Kurz darauf geschah es. Himmelhoch und grellrot stach das Explosionsfeuer nahezu gleichzeitig aus den beiden Galeonen. Ausläufer der Druckwelle waren selbst noch auf der „Isabella“ spürbar. Trümmer wirbelten hoch und senkten sich wie prasselnder Regen zurück auf das Wasser. Zischend und fauchend sanken die beiden Flammenherde in sich zusammen und wurden von der See verschlungen.
Erst nach und nach wurde es still. Mit dem Versiegen der blutroten Helligkeit kehrte die Dämmerung zurück.
Die Gesichter der Arwenacks waren so grau wie das letzte fahle Licht des zu Ende gehenden Tages.
Sie erwachten aus ihrer Raserei, versammelten sich stumm auf der Kuhl und blickten zu Dan O’Flynn auf, der regungslos auf dem Achterdeck stand. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt.
Der Kutscher war aus der Krankenkammer aufgetaucht und schob sich jetzt nach vorn.
„Sam ist versorgt“, sagte er leise. „Wir können nur noch hoffen, daß er es übersteht.“
„Und Ben?“ fragte Dan tonlos.
„Immer noch ohne Bewußtsein. Wir können jetzt mit der Versorgung der Leichtverletzten anfangen. Es nutzt schließlich alles nichts, irgend etwas müssen wir ja tun.“ In unendlicher Ratlosigkeit zog der Kutscher die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
Dan blickte in die Gesichter der Männer. In ihren weit offenen Augen las er, wie sehr sie seine Gedanken nachempfanden. Er hatte das Kommando über die „Isabella“ übernommen, hatte es übernehmen müssen, und alle waren damit einverstanden. Und eben darum wußten sie, vor welcher schweren Entscheidung er stand.
Für Dan O’Flynn war es die schwerste Entscheidung seines Lebens.
Was, um Himmels willen, sollte er tun?
Die Frage schrie in seinem Inneren, bohrte und drängte und trieb ihn fast zur Verzweiflung.
Die See nach dem Seewolf absuchen? In der Dunkelheit, die jetzt sehr schnell hereinbrechen würde?
Oder dem Verband folgen? Die Zeit nutzen, um Großrah und Besanrute zu erneuern und neue Segel anzuschlagen?
Dan gab sich einen Ruck.
„Hört her“, sagte er gepreßt, „ich brauche nicht viel zu erklären. Ihr wißt, wie die Dinge stehen. Wir haben die Pflicht, nach unserem Kapitän zu suchen. Wir haben aber auch die Pflicht, für unsere Freunde und für die Schlangen-Insel zu kämpfen. Dabei geht es für uns alle um Sein oder Nichtsein, um unsere Existenz überhaupt. Und auch um das, was Hasard maßgeblich mit aufgebaut hat Versuchen wir, uns zu fragen, wie er an unserer Stelle entscheiden würde.“
Keiner der Männer brachte auf Anhieb eine Antwort hervor.
Dann, nach endlos scheinenden Minuten, war es Big Old Shane, der einen grausamen inneren Widerstreit bezwang. Tränen zogen ihre deutliche Bahn über sein Gesicht, das vom Ruß der Brandpfeile geschwärzt war.
„Vielleicht muß ich es sein, der die Antwort gibt“, sagte er mit heiserer Stimme. „Ich habe Hasard aufwachsen sehen, damals auf Arwenack in Cornwall. Ich kenne ihn, wie ein Vater seinen Sohn kennt. Ich weiß, wie er denkt, und ich weiß, wie er an unserer Stelle handeln würde.“ Shane holte tief Luft, wie in einer übermenschlichen Anstrengung. „Dan, du mußt Befehl geben, den Gegner weiter zu verfolgen.“
Dan O’Flynn nickte – langsam und fast widerwillig, als müsse er jedes einzelne Wort Silbe für Silbe in sich aufnehmen, um den grausamen Sinn zu begreifen.
„Gibt es Gegenstimmen?“ fragte er dann. Schwer wie Blei fielen die drei Worte in die Stille.
Niemand hob die Hand, keiner der Arwenacks sagte ein Wort. Und es gab keinen unter ihnen, den es nicht innerlich fast zerriß wie Big Old Shane. Mit gesenktem Kopf starrten sie auf die Planken.
In den Fäusten Ed Carberrys zerbrach ein Ladestock wie ein morscher Ast. Sein Gesicht zuckte, und seine Schultern bebten, als er sich abwandte.
Dan O’Flynns Stimme klang plötzlich hart und metallisch. „Klart auf und repariert die Gefechtsschäden!“ Er drehte sich um und gab Pete Ballie Order, Kurs Südost zu halten.
8.
Der Abendhimmel war sternenklar, und der Mond goß sein silbrigbleiches Licht über dem Karibischen Meer aus.
Jean Ribault und die Männer auf der „Le Vengeur“ hatten sich an die Situation gewöhnt. Die Kriegsgaleone