„Wenn’s erlaubt ist, Sir, warum stauchst du uns zusammen? Haben wir etwa ‚Feind in Sicht‘ gemeldet, oder was?“
„Das nicht, Mister Carberry“, entgegnete Hasard schneidend, „aber so verkehrt war Dans Meldung keineswegs. Es hätte sich durchaus um die Schaluppen handeln können, die den Kampfverband als Aufklärer begleiten. Und jetzt Schluß der Debatte.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos willig. Er spürte, daß es nicht der richtige Zeitpunkt war, gegen den Seewolf anzustinken. Wenn Hasard diesen bestimmten Ton und dieses bestimmte Blitzen in den Augen hatte, dann sagte man besser kein Wort zuviel.
„Außerdem“, fügte Hasard grimmig hinzu, „sind die Fischerboote vielleicht doch nicht so unnütz. Wenn sie sich in diesen Gewässern zum Fang aufgehalten haben, werden die Leute unter Umständen etwas beobachtet haben, was uns interessiert.“
Das leuchtete den Arwenacks ein. Ihr Groll auf Dan O’Flynn verrauchte so schnell, wie er aufgewallt war, und sie konzentrierten nun ihre ganze Aufmerksamkeit auf die herannahenden Boote. Kleine Einmaster waren es, tief im Wasser liegend, die Segel an vielen Stellen geflickt.
Die Männer an Bord waren größtenteils Farbige, ärmlich gekleidet, doch mit ehrlichen Gesichtern. Reichtümer verdienten sie mit dem Fischfang zweifellos nicht. Da sie aber mit dieser Form des Lebensunterhalts zufrieden waren, gehörten sie nicht zur Kategorie der Schnapphähne und Küstenhaie. Auch zeigten sie keine Anstalten, auf Ausweichkurs zu gehen. Vielleicht hofften sie sogar auf einen kleinen Handel mit den Besatzungen der großen Schiffe.
Hasard ließ indessen keinen einzigen Fetzen Tuch wegnehmen. Auch Jean Ribault dachte nicht daran, die Fahrt zu verringern. Sie konnten sich nicht einmal den winzigsten Zeitverlust leisten.
Rechtzeitig preite der Seewolf den ersten Bootsführer in spanischer Sprache an.
„Hola, Señores! Vom Fang zurück? Wart ihr erfolgreich?“
„Das kann man sagen, Capitán“, erwiderte der Bootsführer mit vernehmlicher Stimme. „Aber Zeit, die Proviantvorräte ein wenig aufzufrischen habt ihr nicht, wie?“
„Leider nein“, entgegnete der Seewolf unumwunden. Das erste Fischerboot befand sich bereits auf gleicher Höhe. „Wir sind auf der Suche nach einem Verband von neun Kriegsschiffen und sechs Schaluppen.“
„Oho, damit können wir dienen!“ rief der Bootsführer, dessen Einmaster sich nun bereits nach achteraus entfernte. „Vor ungefähr einer Stunde sind wir so einem Verband begegnet. Neun Kriegsschiffe und sechs Schaluppen, jawohl. Kurs Südosten, wie ihr. Wollt ihr euch etwa mit denen anlegen?“
Hasard mußte seine Stimmkraft verdoppeln, damit der Bootsführer ihn noch verstehen konnte.
„Sehen wir so aus? Wir wollen unseren spanischen Freunden nur kurz guten Tag sagen!“
Gelächter ertönte auf der Kuhl der „Isabella“. Es klang erleichtert, beinahe erlöst. Vergessen war Dan O’Flynns Meldung, und vergessen war alle Nervosität der vergangenen Stunden. Eine Stunde Vorsprung! Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis man sich endlich gegenüberstand. Auge in Auge. Wobei die Augen eher mit den Mündungen der Geschützrohre zu vergleichen waren.
Während die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ weiter nach Südosten jagten, blieben die Fischerboote mit kopfschüttelnden Männern an Bord zurück. So viele Schiffe hatten sie in so kurzer Zeit noch nie zu sehen gekriegt. Der Teufel mochte wissen, was das zu bedeuten hatte. Doch eins stand für die ahnungslosen Küstenfischer fest: Sicher würde sehr bald Geschützdonner über die See rollen.
An Bord der „Isabella“ überprüften die Männer noch einmal alle Maßnahmen zur Gefechtsbereitschaft. Erreichbar in der Nähe der Culverinen standen die Kohlebecken mit der schwelenden Glut, die wieder neu angefacht wurde. Sand war auf den Decksplanken ausgestreut worden, und die üblichen Pützen mit Wasser standen überall bereit, damit etwaige Brandherde im Keim erstickt werden konnten.
Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, hatte seine Geschütz-Crews eingeteilt, und Ferris Tucker überprüfte auf der Back ein letztes Mal seine Höllenflaschenabschußkanone. Big Old Shane und Batuti hatten ihre englischen Langbogen klariert, und in ihren Lederköchern steckte ein reichhaltiges Reservoir an Brandpfeilen.
Der Seewolf und seine Arwenacks waren bereit, mitten ins Höllenfeuer zu segeln. Wie oft hatte es in der Vergangenheit solche Momente gegeben, in denen sie gewußt hatten, daß sie ihr Leben tödlicher Bedrohung aussetzten! Doch immer waren sie entweder als Sieger aus mörderischen Gefechten hervorgegangen oder zumindest doch mit einem blauen Auge davongekommen.
Diesmal indessen waren die Chancen für einen Sieg so gering, daß etliche der Männer an Bord der „Isabella“ kaum eine Hoffnung hegten. Nur ihre Entschlossenheit war eisern und ungebrochen. Es war der feste Wille, das freiheitliche Leben des Bundes der Korsaren ohne Rücksicht auf das eigene Leben zu verteidigen.
Lediglich Mac Pellew hatte im Augenblick andere Sorgen. Vom Backbord-Schanzkleid aus blickte er den Fischerbooten sehnsüchtig nach. Dann, als die tiefliegenden kleinen Einmaster fast außer Sicht waren, stieß er einen Fluch aus und wandte sich abrupt um. Ohne die grinsenden Männer an Deck zu beachten, stürmte er in die Kombüse, wo der Kutscher damit beschäftigt war, weitere Holzkohle für Reserve-Kohlebecken vorzubereiten.
„Dich interessiert das wohl alles nicht?“ fauchte Mac und blieb beim offenen Schott stehen.
Der Kutscher blies in die entstehende Kohlenglut und erwiderte, ohne den Kopf zu heben: „Wie groß mein Interesse an den für uns schicksalhaften Geschehnissen ist, kannst du wohl kaum ermessen, Mac. Denn dann müßtest du schon in meine Seele hineinschauen. Laß dir aber gesagt sein, daß ich mit jeder Faser meiner Sinne um unsere Zukunft bange. Und daß ich meinen bescheidenen kleinen Beitrag leisten werde, damit wir alle die bevorstehende Bewährungsprobe bewältigen.“
„O Himmel!“ stöhnte Mac und griff sich an den Kopf. „Wir kennen uns doch nun lange genug. Mußt du wieder so geschraubt mit mir reden?“
„Du verwechselst Geschraubtheit mit Ernsthaftigkeit. Im Moment gibt es wirklich nichts zu lachen, mein Lieber.“
„Aber einen anständigen Happen zu beißen braucht der Mensch in jeder Lebenslage“, entgegnete Mac knurrend. „Ich verstehe nicht, warum wir diesen Leuten nicht ein paar schöne frische Fische abgekauft haben. Das hätte endlich mal Abwechslung in den Speiseplan gebracht.“
„Hasard und Jean Ribault werden ihre Gründe haben, keine Zeit zu verlieren.“
„Unsinn! Wahrscheinlich hat Hasard andere Sachen im Kopf, und deshalb hat er an den Fisch gar nicht gedacht. Deine Aufgabe wäre es gewesen, ihn darauf hinzuweisen.“
Der Kutscher blickte nun doch auf.
„Meine Aufgabe?“ wiederholte er ärgerlich. „Ich habe dir schon gesagt, was meine Aufgabe ist. Und du tätest besser daran, nicht immer an die verdammte Fresserei zu denken. Ist das klar und deutlich genug? Oder immer noch zu geschraubt?“
Mac Pellews Kinnlade klappte herunter.
„Kümmere dich lieber um die Krankenkammer“, fuhr der Kutscher bissig fort. „Sorge gefälligst dafür, daß alles klar ist, wenn es losgeht. Dazu gehört zum Beispiel auch die Säge zum Amputieren von Armen und Beinen. Los, verschwinde.“
Mac Pellew erbleichte. Entsetzt blinzelnd schüttelte er den Kopf.
„Ich muß unter Verrückte geraten sein“, knurrte er. „Hölle und Teufel, bin ich denn nur von Irren umgeben? Ich sage dir, im nächsten Hafen steige ich aus. Ich habe die Nase voll. Endgültig.“
„Dann tu’s“, sagte der Kutscher gelassen. „Tu es, falls es noch einen nächsten Hafen für uns gibt. Aber vorher klarierst du die Krankenkammer.“
Mac Pellews Kinn klappte wieder