Als der Wind in die Segel griff, erschien ein schlaksiger Kerl mit einer langen Tröte und blies aus voller Kraft hinein.
Über den Hafen schallte ein so schauriger Ton, daß einige Arwenacks irritiert zusammenzuckten.
Der Posten blies die Neuigkeit in die Welt, daß die Schebecke jetzt aus dem Hafen laufe und in See gehe.
Er blies dreimal in sein fürchterliches Horn, damit es auch jeder mitkriegte. Er kam sich dabei sehr wichtig vor und hatte schließlich einen dunkelroten Kopf von der Anstrengung.
Aber jetzt wußten es alle, und selbst jene, die es nicht sahen: Das prächtige Schiff ging in See.
Der Posten war damit seine Verantwortung vorübergehend los und ließ sich erschöpft auf einem Stein nieder, um dem Schiff nachzublicken.
„Das war ein seltsames Völkchen“, meinte Hasard belustigt, als der Hafen von Denia achteraus kleiner wurde und nur noch der große Berg mit seinen Weinhängen und dem maurischen Schloß zu sehen waren. „Solche Leute erlebt man nicht alle Tage.“
„Aber es hat dich niemand erkannt“, sagte Don Juan. „Obwohl du direkt auf Lobo del Mar angespielt hast.“
„Ich weiß nicht, ob das ein Maßstab war, Juan. Die Leute, damit meine ich hauptsächlich den Bürgermeister und den Hafenmenschen, scheinen recht einfältig und trottelig zu sein. Als Bewährungsprobe möchte ich das eigentlich nicht ansehen.“
Old O’Flynn zupfte grinsend seine Halskrause zurecht und wischte sich verstohlen die letzten Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ein feiner Spaß war das, Sir, ich habe mich über alle amüsiert.“
„Wir alle wohl. Mir erging es nicht anders.“
„Eigentlich“, sagte Old Donegal nachdenklich, „wäre es doch nicht verkehrt, wenn wir in diesen Gewässern weiterhin als Spanier verkleidet segeln. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Dons aufkreuzen. Vermutlich behelligen sie uns dann nicht weiter.“
„Spanier auf einer Schebecke sind immerhin recht ungewöhnlich. Das fiel sogar dem Hafenmenschen auf. Was meint ihr?“
„Warum eigentlich nicht“, sagte Ben. „Wir können die Schebecke ja für die Krone erbeutet haben, nachdem man unser eigenes Schiff versenkt hat. Das klingt doch einigermaßen glaubwürdig.“
Hasard nickte. Das würde schon glaubwürdig klingen.
„Gut, dann segeln wir als Spanier weiter. Außerdem können wir den behäbigen Kriegsgaleonen immer noch in einem weiten Bogen ausweichen, wenn wir sie sichten sollten. Dann bleibt es dabei. Wir besprechen nachher noch die Namen, mit denen sich jeder ausgibt, falls wir den Dons begegnen sollten.“
„Über etwas anderes sollten wir auch noch sprechen“, sagte Dan O’Flynn. „Wir wollten noch darüber abstimmen, welchen Kurs wir einschlagen, ob wir vom Atlantik aus gleich in die Karibik zurücksegeln oder den Abstecher nach England unternehmen. Einmal haben wir kurz darüber gesprochen, ein Ergebnis kam jedoch nicht zustande.“
„Ja, die Abstimmung steht noch aus. Ich schlage vor, jeder überlegt sich das gründlich vierundzwanzig Stunden lang, und danach entscheiden wir uns. Für England gibt es natürlich gute Gründe. Immerhin haben wir wertvolle Kontakte in Venedig und anderswo anknüpfen können und haben etwas vorzuweisen. Das ist nur einer von etlichen Gründen.“
„Ein bißchen Heimweh ist natürlich auch dabei“, ließ sich Big Old Shane vernehmen. „Wir waren schon lange nicht mehr dort. Aber wenn wir diesmal nach England segeln, stehen wir mit ziemlich leeren Händen da. Die gute Lissy erwartet von uns zumindest Gold und Silber, und damit sind wir nicht gerade gesegnet. Sie wird sich über unseren Besuch zwar freuen, aber noch mehr würde sie sich freuen, wenn wir ihr etwas Schönes mitbringen.“
„Da hast du recht, Shane“, sagte Hasard nachdenklich. „Wir haben zwar Gold und Silber an Bord, aber im Gegensatz zu unseren früheren Raids ist das keineswegs üppig.“
Die Kerle grinsten ein bißchen verlegen. Es war nur allzu bekannt, daß Ihre Majestät, die Königin von England, eine offene Hand hatte, die gerne nahm. Kurz gesagt: Sie war reichlich geldgierig, das wußte an Bord jeder.
„In dem Fall sollten wir natürlich etwas tun“, meinte Hasard. „Da hast du wahrhaftig recht, Shane. Das muß jedoch die Gelegenheit ergeben. Möglicherweise gelingt es uns, im Atlantik einen dicken Brocken zu schnappen, vielleicht stoßen wir sogar auf einen Geleitzug, der von Kuba nach Spanien segelt.“
„Das wäre eine feine Sache. Wir haben schon lange keinen Don mehr gerupft.“
„Bisher gab es dazu auch keine Gelegenheit, sie segeln ja auf einer anderen Route.“
Denia lag jetzt schon sehr weit achteraus und war nur noch ein feiner dunstiger Strich an der Kimm.
Sie segelten fast Ostkurs, um die Küste möglichst schnell hinter sich zu lassen.
Als sie in einem Abstand von etwa vier Meilen von der Küste Cabo de la Nao rundeten, ließ Hasard auf Südkurs gehen. Eine Stunde später wurde der Kurs auf Südsüdwest gesetzt. Damit entschwand die spanische Südostküste ihren Blicken. Von der algerischen Küste war weiter im Süden nichts zu sehen.
Sie waren wieder scheinbar allein auf dem Meer, doch das änderte sich am späten Nachmittag.
Batuti gab aus dem Ausguck ein Handzeichen an Deck und rief: „Zwei feine Striche voraus an der Kimm!“
„Mit Sicherheit meine lieben Landsleute“, vermutete Don Juan.
Er behielt mit seiner Vermutung recht. Durch das Spektiv erkannte Hasard etwas später zwei Karavellen, die genau Kurs auf sie hielten.
„Spanier“, sagte Dan O’Flynn, der Mann mit den Adleraugen. „Dreimastig, lateinergetakelt, ziemlich schnelle Schiffe. Sie scheinen auch nur zu einem Drittel abgeladen zu sein. Und bewaffnet sind sie auch nicht schlecht“, fügte er nach einem weiteren Blick hinzu.
Die beiden Schiffe segelten auf Parallelkurs nebeneinander her. Ihr Abstand von Schiff zu Schiff betrug etwa zwei Kabellängen.
Auch das änderte sich nach kurzer Zeit.
„Sieh an“, sagte der Seewolf, „deine Landsleute werden neugierig und wollen uns beschnuppern, Juan.“
„Dann empfehle ich dir, den Kurs zu ändern, mein Freund. Es sind immerhin Kriegskaravellen, und sie sind verdammt schnell. Es empfiehlt sich nicht unbedingt, sich beschnuppern zu lassen. Zu leicht könnte daraus ein gefährlicher Biß werden.“
„Hm, sehr richtig. Wir wollen ja auch nichts provozieren. Wir werden zur algerischen Küste hin abfallen.“
Nils Larsen stand am Ruder. Er wurde gerade von Pete Ballie abgelöst, dem besten Gefechtsrudergänger, den die Arwenacks hatten.
Die Schebecke fiel langsam ab, bis sie fast wieder auf Südkurs lag. Sie hielt jetzt auf die algerische Küste zu.
Das Manöver war auf den Karavellen nicht unbeobachtet geblieben. Offenbar wurden die Dons neugierig und wollten wissen, wer da vor ihnen so betont harmlos ablief.
Die nach Süden versetzte Karavelle fiel nach Steuerbord ab. Die andere schloß sich dem Kurs etwas später an, ließ aber den Abstand von Schiff zu Schiff noch weiter offen, der jetzt etwa vier Kabellängen betragen mochte. Es sah so aus, als wollten die Dons die Schebecke wie in eine geöffnete Schere laufen lassen, zumal die – von den Arwenacks aus gesehen – an Backbord segelnde Karavelle noch weiter abfiel.
„Wir machen gefechtsklar“, sagte der Seewolf nach einem schnellen Blick, „aber wir werden uns nicht unbedingt mit den Kerlen anlegen, und wir segeln auch nicht in die Schere hinein. Wir laufen direkt auf die algerische Küste zu und halten den Kurs.“
Gefechtsklar war die Schebecke in ganz kurzer Zeit. Dafür sorgte schon Al Conroy, der erfahrene Waffen- und Stückmeister.
Die sechs Culverinen auf jeder Seite mit ihrem