Mit feuchten Augen legte der bullige Kerl mit dem Amboßkinn und Narbengesicht den Blumenstrauß seinem Kapitän vorsichtig auf die Bettdecke, als er endlich an der Reihe war. Danach rieb er sich verlegen die Pranken.
„Für dich, Sir“, murmelte er überflüssigerweise. „Freut mich, daß du wieder auf den Beinen – äh – wollte sagen, daß es dir wieder besser geht. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht, und außerdem, Sir, bist du ja noch viel zu jung zum – na ja, du weißt schon, nicht wahr? Am liebsten würde ich dir jetzt auf die Schulter hauen, aber da hat unser Knochenflicker leider was dagegen. Dafür werden wir aber das größte Faß Rum anstechen, sobald du wieder aus der Koje steigen kannst, das verspreche ich dir …“
Der Kutscher warf Ed einen grimmigen Blick zu und wedelte unmißverständlich mit der Hand.
„Danke, Ed“, sagte Hasard, und über sein bleiches, fast durchsichtiges Gesicht zog ein schwaches Lächeln. „Ich freue mich schon darauf.“
„Und ich erst, Sir!“ Carberry warf dem Kutscher einen vielsagenden Blick zu, der soviel hieß wie: „Na, siehst du!“ Dann verzog er sich. Daß der Kutscher hinterher was von einer Krankheit namens „Rederitis“ sagte, störte ihn nicht im geringsten. Er war sogar mächtig stolz darauf, Hasard einige nette Sachen gesagt zu haben. Außerdem war er glücklich, weil sein Kapitän ihn angelächelt hatte.
Trotzdem, so sagte sich Ed, war Hasard ziemlich schmal geworden. Da würden sich die Kombüsenhengste mächtig anstrengen müssen, um ihn wieder aufzupäppeln. Und noch etwas hatte Edwin Carberry entdeckt: graue Strähnen im schwarzen Schläfenhaar des Seewolfs.
Bei dem Gedanken daran fuhr er sich reflexartig über den eigenen wirren Haarschopf. Dennoch war Carberrys Freude ungetrübt, und das nächste „Rübenschwein“, das ihm über den Weg lief, nämlich Big Old Shane, kriegte einen kraftvollen Prankenhieb auf die Schulter.
„Du ziehst ein Gesicht, als hätten dir die Hühner die Körner weggefressen“, tadelte Carberry. „Bevor du die Krankenkammer betrittst, solltest du die Stirnfalten ruhig mal in die andere Richtung legen, damit unser Kapitän ein bißchen aufgeheitert wird. Was soll er denn denken, wenn wir alle schneuzend durch die Gegend laufen, was, wie? Der hält uns ja glatt für Heulsusen.“
Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack, versprach, sich den weisen Rat zu Herzen zu nehmen.
Siri-Tong hatte sich bewußt als letzte in die lange Reihe der Besucher gestellt, denn sie hatte dringend etwas mit dem Seewolf zu besprechen. Sie wollte ihn beileibe nicht strapazieren, aber sie mußte wenigstens seine Entscheidung hören, damit all die unerfreulichen Ereignisse der letzten Zeit bereinigt werden konnten.
Auch sie sah die grauen Haare und das schmal gewordene Gesicht des Seewolfs, als sie endlich bei ihm war. Trotzdem war sie froh wie alle anderen, daß es aufwärts mit ihm ging.
„Du hast Neuigkeiten mitgebracht?“ fragte er mit leiser Stimme.
Siri-Tong nickte lächelnd.
„Das kann man wohl sagen“, erwiderte sie. Dann berichtete sie in kurzen Worten über die Geschehnisse bei den Grand Cays. Sie schilderte den Untergang der „Orion“ und der „Dragon“, den Verrat O’Learys und Charles Stewarts und den wütenden Angriff der beiden spanischen Kriegsgaleonen, von denen man eine versenkt und die andere als Prise genommen hatte.
Zum Abschluß sprach sie kurz über das Verhör der englischen Offiziere und über die Entscheidungen, die sie zunächst bezüglich der Engländer und Spanier getroffen hatte. Sie erinnerte den Seewolf daran, daß sich jetzt Sir Henry of Battingham, Charles Stewart und John Killigrew in der Hand des Bundes der Korsaren befanden.
Hasard überlegte eine Weile, nachdem er Siri-Tong aufmerksam zugehört hatte. Ja, er dachte sogar ziemlich lange nach. Sein Gesicht wirkte dabei ernst und verschlossen.
„Ich will nichts mehr mit diesen Leuten zu tun haben“, sagte er schließlich. „Übergebt sie Kapitän Tottenham.“
Siri-Tong wiegte den Kopf hin und her.
„Tottenham ist mitschuldig“, entgegnete sie dann. „Zumindest war er es bis zu dem Zeitpunkt, an dem er zuließ, daß die ‚Santa Cruz‘, die bereits die Flagge gestrichen hatte, zusammengeschossen wurde.“
Hasard schüttelte den Kopf.
„Trotzdem“, sagte er. „Wir sind nicht die Richter eines Duke of Battingham, eines John Killigrew oder eines Charles Stewart. England soll selber über sie urteilen oder zu Gericht sitzen. Wir tun es nicht. Es ist nicht unsere Sache.“
Siri-Tong, die eine besondere Zuneigung mit Hasard verband, verstand ihn nur zu gut.
„Ich glaube, du hast die richtige Entscheidung getroffen“, sagte sie. „Ich werde dafür sorgen, daß deinem Wunsch entsprochen wird.“
Bald darauf setzte die Rote Korsarin zu der spanischen Beutegaleone über und berichtete Kapitän Tottenham, was Philip Hasard Killigrew gesagt hatte.
Sir Edward hörte sich schweigend an, was sie ihm mitteilte. Siri-Tong konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Mann sich sehr verändert hatte. Auch er überlegte lange und mit ernstem Gesicht. Dann aber ließ er Marc Corbett, seinen Ersten Offizier, rufen.
„Kraft meiner Funktion als Kommandant dieser Galeone“, sagte er, „ordne ich hiermit ein Kriegsgericht gegen den Duke Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Charles Stewart an. Bitte, Mister Corbett, sorgen Sie dafür, daß dieses Gericht so rasch wie möglich zusammentritt.“
„Aye, aye, Sir“, erwiderte Corbett und verließ die Kapitänskammer.
8.
Der Himmel über den Pensacola Cays war etwas bedeckt. Die Hitze verwandelte sich nach und nach in drückende Schwüle. Zeitweise hatte es den Anschein, als bahne sich ein Regenguß oder aber ein Gewitter an.
Seit dem Besuch Siri-Tongs auf der spanischen Galeone, die jetzt den Engländern gehörte, war eine gute Stunde vergangen. Die drei Gefangenen, die von dem eingesetzten Kriegsgericht abgeurteilt werden sollten, befanden sich auf der Kuhl des Schiffes.
Das Kriegsgericht, das unter kurzem Trommelwirbel zusammengetreten war, bestand aus den Offizieren der beiden versenkten Galeonen „Orion“ und „Dragon“. Sir Edward führte den Vorsitz.
Die Angeklagten standen nebeneinander. Die Hände hatte man ihnen gefesselt. Ihre Reaktion auf die Tatsache, daß man sie vor Gericht gestellt hatte, war unterschiedlich. Sir Henry hatte ein arrogantes Lächeln aufgesetzt, weil er sich Tottenham haushoch überlegen glaubte. Charles Stewarts Blick war haßerfüllt, und auch John Killigrew konnte seine Wut nicht verbergen. Trotz seiner Handfesseln erweckte er den Eindruck, sich auf die Offiziere stürzen und eine Prügelei beginnen zu wollen.
Sir Edward verlas die Anklage. Die Männer der Crew hatten sich ausnahmslos an Deck versammelt, um Zeugen der Verhandlung zu sein.
„Die Anklage“, begann Sir Edward mit fester Stimme, „lautet in allen drei Fällen: Verletzung der Ehre Englands, Mißbrauch von Kriegsgaleonen Ihrer Majestät, der Königin, zum Zwecke der persönlichen Bereicherung sowie Verletzung der Ehre und Würde des Sir Philip Hasard Killigrew, eines von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagenen Mannes. Mit der Verletzung seiner Ehre wurde auch die Ehre Ihrer Majestät in Frage gestellt und beleidigt.“
Sir Henry warf Tottenham einen hochnäsigen Blick zu.
„Ich muß Sie darauf hinweisen, Sir Edward“, sagte er, „daß diese Anklagen nicht stichhaltig sind. Besonders der letzte Anklagepunkt, Mister Stewart, Sir John und ich hätten die Ehre und Würde des Piraten Killigrew verletzt, ist geradezu