„Mein Offizier hat recht, Engländer. Reißen Sie sich zusammen. Wir haben uns mit Ihnen bereits mehr Mühe gegeben, als wir das sonst zu tun pflegen. Wir haben uns über Sie erkundigt, und Sie haben die Antwort gehört.“
„Die Antwort dieses Piratenweibes!“ keifte Sir James wütend. „Warum haben Sie nicht bei Sir Edward nachgefragt? Er ist der Kommandant der ‚Orion‘ gewesen, und die ‚Orion‘ war mein Schiff!“
„Ihr Schiff?“ Don Gregorio lachte abermals. „Sie scheinen sehr von sich eingenommen zu sein, Señor. Doch davon abgesehen hat Ihr früherer Kommandant zur Zeit keine Befehlsgewalt. Er mußte sich der Señora auf dem Zweidecker unterstellen, auch wenn er unser Schiff behalten durfte. Die Señora hat die Entscheidungsgewalt, und sie hat – wie Sie gehört haben – in Ihrem Fall eine Entscheidung getroffen. Also, belästigen Sie mich nicht weiter. Meine Geduld mit Ihnen und Ihrem arroganten Benehmen ist jetzt ebenfalls zu Ende.“
„Das werden Sie bereuen, Capitán!“
„Wollen Sie mir etwa drohen?“
„Das nicht“, erwiderte der blasse Bursche. „Aber als Mann von Stand und Adel bin ich nicht irgendein hergelaufener Decksmann. Ich kann erwarten, von Ihnen als Ehrenmann behandelt zu werden.“
Don Gregorios Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.
„O ja, das können Sie“, sagte er. „Am besten, wir beginnen jetzt gleich mit der Behandlung, zumindest solange es noch einigermaßen hell ist. Morgen, nach Tagesanbruch, können wir dann damit weitersehen.“
„Was wollen Sie damit sagen?“ begehrte das Bürschchen auf.
„Damit will ich sagen, daß Sie jetzt zusammen mit Ihren ehrenwerten Freunden und Landsleuten hart zupacken werden, um die Hütten wieder aufzubauen. Schließlich möchten wir alle ein Dach über dem Kopf haben, solange wir mit dieser Insel vorlieb nehmen müssen.“
Sir James Sandwich war völlig entgeistert.
„Sie – sie meinen“, stotterte er, „daß – daß ich beim Aufbau der Hütten mitarbeiten soll? So wie der gewöhnliche Pöbel?“
„Genau das meine ich“, erwiderte Don Gregorio, „denn für mich gehören Sie zum gewöhnlichen Pöbel – Sie und Ihre blasierten Freunde. Und jetzt verschwinden Sie, und sehen Sie zu, daß Sie mit der Arbeit anfangen! Wenn Sie nicht ordentlich zupacken, wird Ihre Essensration gestrichen.“
Sir James, der allmählich begriff, daß von nun an ein anderer Wind wehte, wankte kreidebleich zu seinen Freunden hinüber, die ihm erwartungsvoll entgegenblickten. Die Mitteilung über die Art ihres gemeinsamen Schicksals entlockte den Gentlemen ein entsetztes Gejammer.
Den Spaniern vermittelte diese Reaktion Jedoch lediglich ein Gefühl der Genugtuung. Jetzt waren sie wieder am Zug, und sie würden den arroganten Nichtstuern schon zeigen, was es hieß, im Schweiße des Angesichts sein Brot zu verdienen.
Die Decksleute der „Orion“ und „Dragon“, die sich jetzt auf der spanischen Galeone befanden und beobachteten, was an Land vor sich ging, grinsten von einem Ohr zum anderen.
„In dieser buckligen Welt scheint es doch noch eine Art ausgleichende Gerechtigkeit zu geben, Sir“, sagte einer von ihnen zu Marc Corbett.
Der Erste Offizier wußte nur zu gut, was der Mann damit sagen wollte. Denn auch er selber war der Meinung, daß ihnen diese hochnäsigen Laffen lange genug auf der Nase herumgetanzt waren. Die Hauptbeschäftigung dieser Gentlemen war der Müßiggang gewesen. Fast täglich hatten sie sich bei zügellosen Freß- und Saufgelagen amüsiert, herumgegrölt, und den Züchtigungen der Decksmannen, die sie meist selber provoziert hatten, mit genüßlicher Freude zugesehen.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit verließen die „Caribian Queen“ und die erbeutete Kriegsgaleone die Insel, in deren Nordbucht soviel geschehen war, und segelten ostsüdostwärts zu den Pensacola Cays.
7.
Auch am 27. August brannte die Sonne so heiß wie an den Tagen zuvor. Flimmernde Hitzeschleier, die das Atmen erschwerten, hatten sich über die Pensacola Cays gelegt.
Die „Isabella IX.“, die ranke Dreimastgaleone der Seewölfe, lag noch immer in der stillen Südbucht der östlichsten Insel. Die „Caribian Queen“ und die spanische Beutegaleone, die jetzt unter Kapitän Edward Tottenham fuhr, waren schon vor knapp drei Tagen eingetroffen und in unmittelbarer Nähe vor Anker gegangen.
An der Leeseite der „Isabella“ balgte sich eine Schar von Möwen kreischend um die Küchenabfälle, die Mac Pellew über Bord geschüttet hatte. Vom nahen, dschungelbewachsenen Ufer her war außer dem Lärm der Vögel das monotone Konzert eines Millionenheeres von Zikaden zu hören.
Fast wirkte der schlanke Dreimaster, auf dem es sonst recht lebhaft zuging, wie ein Geisterschiff. Die Mannen der Crew verhielten sich sehr leise. Manche, darunter auch der bullige Profos Edwin Carberry, schlichen über die Decks, als müßten sie auf Eiern gehen.
Die Gesichter der Männer waren ernst – am meisten die der Zwillingssöhne des Seewolfs, die sonst immer zu einem Spaß aufgelegt waren. Es wurde allgemein nur das Nötigste geredet, jeder versuchte, sich – so gut es eben ging – zu beschäftigen. Die Freiwächter hockten zumeist auf der Kuhl oder auf der Back und dösten vor sich hin, weil es an Deck immer noch erträglicher war als in den stickigen Mannschaftsräumen.
Selbst Sir John, der karmesinrote Aracanga-Papagei, der beim letzten Glasen der Schiffsglocke von einem kurzen Landausflug zurückgekehrt war, hockte müde auf der Vormarsrah. Arwenack, der Schimpanse, und Plymmie, die Wolfshündin, hatten sich ein schattiges Plätzchen auf der Kuhl gesucht.
Alles Leben war wie gelähmt auf der „Isabella“. Die Atmosphäre war gedämpft, und die Mannen hatten auch ihren Grund, sich still und ruhig zu verhalten.
Dieser Grund war Philip Hasard Killigrew, der Seewolf. Der über sechs Fuß große und breitschultrige Mann mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen hatte tagelang mit dem Tod gerungen, nachdem ihm Sir Andrew Clifford auf heimtückische Weise eine Pistolenkugel in den Rücken geschossen hatte.
Seit Tagen lag der Seewolf im Fieber. Der schmalbrüstige Kutscher hatte sich mit Hilfe Mac Pellews und der Zwillinge nahezu pausenlos um ihn bemüht. Seit Eintreffen der „Caribian Queen“ und der spanischen Galeone hatte sich auch der Schiffsarzt der gesunkenen „Orion“ mit eingeschaltet und ging dem Kutscher zur Hand.
Auch wenn in den letzten Tagen, in denen der Verwundete absolute Ruhe brauchte, kaum jemand die Krankenkammer betreten hatte, weilten die Gedanken der Männer doch ständig bei dem Mann, der mit blassem Gesicht in der Koje lag.
Dabei kochte es in ihnen, und manch einer hätte dem feigen und heimtückischen Sir Andrew Clifford noch jetzt den Hals umgedreht, wenn er eine Möglichkeit dazu gehabt hätte. So aber war der Earl of Cumberland durch, einen Pfeil Batutis getötet worden, und zwar unmittelbar im Anschluß an seine verbrecherische Tat.
„Wir hätten diesem blaukarierten Rübenschwein schon viel früher den durchlauchten Hals langziehen sollen“, bemerkte Edwin Carberry, der auf einer Taurolle hockte und das narbige Gesicht in die Hände gestützt hatte.
Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister der „Isabella“, der sich ebenfalls auf der Kuhl niedergelassen hatte, nickte mit düsterem Gesicht.
„Batutis Pfeil war viel zu schade für diesen Kerl“, sagte er. „Man hätte ihn solange kielholen sollen, bis er freiwillig abgedankt hätte.“
Solche und ähnliche Gedanken beschäftigten die Mannen immer wieder, solange die Ungewißheit über das Schicksal Philip Hasard Killigrews an ihnen fraß. Sie wußten, daß das Leben des Seewolfs immer noch auf der Kippe stand, obwohl der Kutscher die dicht vor dem Herzen sitzende Pistolenkugel herausgeholt hatte.
Die Gefahr, daß Hasard seine letzte große Reise antreten