Ich bedaure von ganzem Herzen, daß die Intrigen, die – Gott sei’s geklagt – von England ausgegangen sind, einem Ehrenmann wie Sir Philip Hasard Killigrew beinahe das Leben gekostet hätten. Ich bitte ihn hiermit in aller Form um Vergebung.
Das Kommando über die spanische Kriegsgaleone übergebe ich hiermit meinem treuen und sachkundigen Ersten Offizier, Mister Marc Corbett, und bitte für meine Person um eine Bestattung auf See. Ich möchte nicht an Land in der Nähe jener Männer beigesetzt werden, die Englands Ehre, die Ehre Ihrer Majestät und die Ehre Sir Hasards so sehr beschmutzt haben. Ich kann leider nicht anders handeln und übernehme mit meinem Freitod die Verantwortung für das, was geschehen ist. Gott sei uns allen gnädig – Edward Tottenham.“
Die beiden Offiziere schluckten hart und schwiegen einen Moment. Dem Brief Sir Edwards war nichts mehr hinzuzufügen. Er hatte sich als ein Mann von Ehre erwiesen und als einziger freiwillig die Verantwortung übernommen. Obwohl sie den Schritt, den er getan hatte, sehr bedauerten, empfanden sie in diesem Augenblick einen tiefen Respekt vor diesem Mann.
Einige hatten es als Vorzeichen betrachtet, daß an diesem Tag düstere Wolken am Himmel aufgezogen waren, und fühlten sich jetzt in ihren Ahnungen bestätigt.
Auf den Decks der ehemals spanischen Galeone herrschte eine bedrückende Stille. Die Männer sprachen nur mit gedämpfter Stimme. Sie alle waren erschüttert von der Nachricht, die Marc Corbett übermittelt hatte.
Auch auf der „Caribian Queen“ und der „Isabella IX.“ hatte man die Kunde mit Betroffenheit vernommen.
Der Seewolf, der gerade mit Siri-Tong und Ben Brighton einige Pläne für die nächste Zukunft besprochen hatte, lehnte sich erschöpft in die Kissen zurück.
„Sir Edward hat wie ein Ehrenmann gehandelt“, sagte er mit nachdenklichem Gesicht. „Schade, daß er nicht mehr am Leben ist. Es wäre ein Segen für England, wenn es noch mehr solche Männer gäbe.“
Bereits am nächsten Tag, dem 1. September im Jahre des Herrn 1594, herrschte in der stillen Bucht Aufbruchsstimmung. Während die Galeone der Engländer unter dem Kommando Marc Corbetts die Anker lichtete, um nach England zurückzusegeln und die sterblichen Überreste Sir Edwards auf See zu bestatten, nahmen die „Caribian Queen“ und die „Isabella“ Kurs auf die Schlangen-Insel …
ENDE
1.
Schlangen-Insel, 29. September 1594.
Es war ein Bilderbuchsonntag mit strahlendem Sonnenschein, wohliger Wärme und leisem Rauschen der See, die an die Felsen der Insel schlug.
Auf der Werft des alten Ramsgate wurde heute nicht gearbeitet. Die Männer hatten ihren freien Tag und vertrieben sich die Zeit mit Angeln in der Bucht, Streifzügen über die Insel oder Faulenzen. Ein paar, Unentwegte hockten oben in den Felsen in „Old Donegals Rutsche“, tranken kaltes Bier und palaverten.
Es gab kaum etwas zu tun.
Hasard war von der Schußwunde in den Rücken, die er von Sir Andrew Clifford heimtückischerweise erhalten hatte, wieder genesen und fühlte sich wohl.
Don Juan de Alcazar war mit seiner Crew und der Schebecke nach Spanien aufgebrochen. Dort wollte er über befreundete Mittelsmänner bei Hofe Anklage gegen den Gouverneur von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, erheben und ihn auf diese Weise zur Strecke bringen.
Ein neues Schiff hatte der Bund der Korsaren ebenfalls dazugewonnen.
Es war die „Lady Anne“, die Karavelle des alten Schnapphahns Sir John Killigrew, der sein ruchloses Leben ebenso ausgehaucht hatte wie Sir Henry, Duke of Battingham, und Charles Stewart, der ehemalige Kommandant der „Dragon“. Ihr Leben hatte vor den Musketenläufen eines Pelotons englischer Seesoldaten ein Ende gefunden.
Auch die Goldladung der „Santa Cruz“, die sich Sir John unter den Nagel gerissen hatte, aber von Jean Ribault und seinen Mannen mit der „Lady Anne“ sicher zur Schlangen-Insel gebracht worden war, ruhte bereits in den unterirdischen Schatzhöhlen der Insel. So war alles wieder im Lot, und es herrschte prächtige Stimmung.
Auf der „Isabella“ hockten ein paar Seewölfe unter dem Sonnensegel auf der Kuhl und lauschten grinsend den Worten des Profos’ Edwin Carberry, der heute ganz besonders gute Laune hatte und groß an Deck herumtönte und haarsträubende Geschichten erzählte.
Der Kutscher blickte andächtig und mit starren Blicken pausenlos in den azurblauen Himmel, bis es dem Profos auffiel.
„Was stierst du so?“ fragte er. „Siehst du etwa quergestreifte Affenärsche am Himmel hängen?“
„Nein“, sagte der Kutscher ernst. „Ich sehe nur nach, ob der Himmel auch weiterhin so blau bleibt.“
„Klar bleibt er das. Warum auch nicht?“
„Nun, es gibt Leute, die lügen einfach das Blaue vom Himmel herunter, und dann wird er schwarz.“
„Du willst mir doch nicht den schönen Sonntag verderben, was, wie?“ fragte der Profos sanft. „Stell dir mal vor, wir müßten heute noch zur Beerdigung eines gewissen Kutschers. Das wäre doch ein recht betrüblicher Tag, vor allem für den gewissen Kutscher, der dann seinen letzten Knödel gebacken hätte.“
„Noch ist der Himmel ja blau“, sagte der Kutscher vorsichtig.
„Na, siehst du!“ entgegnete der Profos mit seiner durchschlagenden Logik. „Ein Zeichen, daß ich nichts als die Wahrheit sage und alles stimmt.“
„Auch, daß du Kakerlaken gejagt hast, die dreimal größer als Ratten waren?“
„Na klar!“
„Und die Art, wie du grüne Affen gefangen hast, stimmt auch?“
„Selbstverständlich. Ich habe mich in den Urwald gestellt und immer wieder die Stiefel an- und ausgezogen. Die Affen wurden schon ganz neugierig, und sie heißen ja auch deshalb Affen, weil sie alles nachäffen. Dann habe ich Kleister in die Stiefel gefüllt und sie einfach stehenlassen. Schwupp, war der erste Affe da, zog sich die Stiefel an und klebte fest. Ich brauchte ihn nur noch aus den Latschen zu pflücken.“
„Beachtlich“, murmelte der Kutscher, „sehr beachtlich. Und wie hast du den Kleister wieder aus den Stiefeln entfernt?“ fragte er hinterhältig.
„Ja, wie war das doch gleich? Ach ja, einer der Affen ist mit den Stiefeln einfach abgehauen. Wie er den Kleister wieder herausgekriegt hat, war ja nicht mein Problem, oder?“
„Ganz recht. Das war ein Affenproblem. Sicher latscht er heute noch in den Stiefeln herum.“
„Genau. Solltest du mal einem gestiefelten Affen begegnen, dann weißt du sofort, was los ist.“
Die anderen grinsten bis an die Ohren und lauerten darauf, daß der Profos-Kutscher-Dialog ernsthaftere Formen annahm. Doch der Dialog wurde plötzlich unterbrochen, denn Jean Ribault näherte sich der „Isabella“. Auch er schien ausnehmend gute Laune zu haben – wie all die anderen. Er trug eine zusammengedrehte Rolle unter dem Arm. In der Hand hatte er etwas, das im Sonnenlicht immer wieder grell aufblitzte. Es schien ziemlich schwer zu sein.
„Ist es gestattet und so weiter?“ fragte er grinsend.
„Aber gewiß doch, mein lieber Jean“, sagte der Profos ebenfalls grinsend. „Bringst du jetzt schon dein Zehrgeld mit, oder ist das etwa kein Goldbarren, den du uns großzügig als Geschenk anbietest, damit wir ihn umgehend versaufen können?“
Ribault