Der Angeklagte stieß ein kurzes Lachen aus.
„Ich denke, der Auftrag Ihrer Majestät, diesen Mann festzunehmen und nach England zu bringen, ist wohl Beweis genug für die Stichhaltigkeit meiner Vorwürfe. Oder wollen Sie etwa behaupten, die Königin habe uns aufgrund haltloser Verdächtigungen losgeschickt? O nein, Ihre Majestät wußte sehr wohl, was sie tat. Aus diesem Grund bin ich mir auch keiner Schuld bewußt. Ich habe nichts anderes getan, als den Auftrag Ihrer Majestät auszuführen. Wenn mir das bis zur Stunde noch nicht gelungen ist, dann nur deshalb, weil Leute wie Sie, die eigentlich denselben Auftrag verfolgen sollten, mich daran gehindert haben.“
„Sir Henry hat recht“, sagte Charles Stewart plötzlich. „Man hat uns daran gehindert, die königliche Order auszuführen. Wie wollen wir unser Ziel erreichen, wenn man uns wie Verbrecher fesselt und einsperrt! Ich verlange sofortige Freilassung.“
„Ich schließe mich dieser Forderung an!“ ließ sich Sir John Killigrew mit rauher Stimme vernehmen. „Es ist eine Schande, wie Abgesandte Ihrer Majestät behandelt werden.“
Sir Henry nickte eifrig.
„Sie sehen“, fügte er den Worten Killigrews hinzu, „daß diese Gentlemen genauso empört sind wie ich. Statt uns zu unterstützen, will man uns Straftaten unterschieben und pauschal aburteilen.“
„Hier wird niemand pauschal verurteilt“, entgegnete Sir Edward scharf, „auch wenn die Hauptanklagepunkte auf Sie alle zutreffen. Das Gericht wird sich sehr wohl noch mit den Vergehen jedes einzelnen beschäftigen. Dabei wird sich zeigen, ob Ihre Westen wirklich so weiß sind, wie Sie, Sir Henry, das hinzustellen versuchen. Außerdem frage ich Sie, Sir Henry: Welche Beweise können Sie für die Existenz der königlichen Order vorbringen? Sie wurden bereits wiederholt gebeten, das entsprechende Schriftstück Ihrer Majestät oder des Lordadmirals vorzuzeigen. Schon die Kapitäne Rooke und Wavell hatten Einsicht in diese Order verlangt, aber vergebens, und deshalb haben sich die Gentlemen vom Verband abgesetzt. Weder Sie noch Sir Andrew Clifford, der bereits einen anderen Richter gefunden hat, waren jemals in der Lage, Ihre Behauptungen durch das entsprechende Schriftstück zu belegen. Vielmehr haben Sie alle am Verband beteiligten Kommandanten durch Ihre Behauptungen getäuscht. Auch ich muß gestehen, daß ich lange Zeit, an das Vorhandensein einer königlichen Order geglaubt habe. Nur deshalb habe ich mich dazu bewegen lassen, mich an dem Unternehmen zu beteiligen. Jetzt aber bin ich dankbar, daß mir durch die Ereignisse der letzten Zeit und durch die Aussagen verschiedener Personen die Augen geöffnet würden. Sie aber, Sir Henry, waren es, der das Unternehmen zusammen mit Sir Andrew durch Verleumdungen und Intrigen in Gang gesetzt hat, nur um sich im Sinne der Anklage persönlich zu bereichern. Eine Order Ihrer Majestät haben Sie vorgeschoben, um Ihre wirklichen Ziele zu vertuschen. Diese Ziele aber sind hier in der Karibik sehr bald offenbar geworden.“
„Das ist ungeheuerlich!“ begehrte Sir Henry auf. „Es existiert nämlich wirklich eine schriftliche Order Ihrer Majestät …“
„Sind Sie in der Lage, diese dem Gericht vorzulegen?“ fragte Sir Edward.
„Nein. Sie war zuletzt in den Händen von Sir Andrew und muß im Wirbel der Ereignisse verlorengegangen sein.“
„Aha“, sagte Sir Edward. „Das wichtige Schriftstück ging ganz einfach verloren, ohne jemals vorgezeigt worden zu sein. Ich hoffe, Sie sind sich der Lächerlichkeit Ihrer Behauptungen bewußt, Sir Henry. Ich fahre nun damit fort, die Anklagepunkte im einzelnen vorzutragen – auch um den Vorwurf einer pauschalen Verurteilung zu widerlegen.“
„Ich bleibe dabei, im Auftrag Ihrer Majestät gehandelt zu haben“, beharrte Sir Henry. „Deshalb hat niemand das Recht, mir etwas vorzuwerfen.“
„Da Sie bis zur Stunde den Nachweis dafür schuldig geblieben sind, kann das Gericht diese Aussage nicht akzeptieren“, fuhr Sir Edward fort. „Dagegen aber haben Sie, Sir Henry, sich im einzelnen für Lüge, Betrug und Rechtsanmaßung zu verantworten. Sie haben Sir Hasard in England verleumdet, Sie haben die übrigen Kommandanten des Verbandes belogen und betrogen, indem Sie behaupteten, eine Order Ihrer Majestät zu besitzen, und Sie haben sich durch Ihre Eigenmächtigkeit auch der Rechtsanmaßung schuldig gemacht. Dabei haben Sie in allen Punkten aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weil Sie ausschließlich Ihre persönliche Bereicherung im Auge hatten.“
„Unglaublich!“ stieß Sir Henry hervor. Aber er konnte nicht vermeiden, daß sein Gesicht eine Spur blasser wurde.
„Sir John Killigrew werden im einzelnen Raub, Entführung und Desertion vorgeworfen“, fuhr Sir Edward unbeirrt fort. „Er hat sich im Hinblick auf die spanische Handelsgaleone in räuberischer Weise bereichert, hat Sir Andrew Clifford entführt und als Geisel genommen und ist vom Verband desertiert, um seine privaten Ziele zu verfolgen. Um eine angeblich vorhandene Order Ihrer Majestät kümmerte er sich nicht, offenbar weil er wußte, daß eine solche gar nicht existierte.“
John Killigrew, dieser gewalttätige Mann mit dem verschlagenen Gesicht, das eine bläulich-rote Knollennase zierte, begann hämisch zu lachen.
„Welch ein Geschwätz!“ stieß er hervor. „Was soll das ganze Theater mit dieser Gerichtsverhandlung? Natürlich habe ich den verdammten Dons ein bißchen in die Taschen gegriffen, das weiß jeder. Da ich vermeiden wollte, daß mir die anderen Gentlemen das Zeug abjagten, habe ich mich eben vom Verband abgesetzt. Na und? Was soll das ganze Hin- und Hergerede – unser Unternehmen hat eine Menge Geld gekostet, das sollte schließlich wieder reinkommen. Jeder von uns hat doch im stillen gehofft, bei der Sache den Rahm abschöpfen zu können, oder?“ Seine Augen ruckten fragend von einem zum anderen, und als er nur ablehnende Gesichter sah, zog er eine wütende Grimasse.
„Sie sind im Vergleich zu Sir Henry bemerkenswert offen, Sir John“, stellte Tottenham fest. „Sie haben soeben selber bestätigt, daß Sie sich hauptsächlich deshalb an der Jagd nach Philip Hasard Killigrew beteiligt haben, weil Sie Ihre persönlichen Geschäfte im Auge hatten. Sicherlich hatte es Ihnen dabei auch die Schatzbeute angetan, die Sir Hasard legal, im königlichen Auftrag, verwahrt.“
„Der Bastard hat doch genug Reichtümer gehortet!“ brüllte Sir John wütend. „Den hätte es nicht erschüttert, wenn wir ihm einen Teil davon abgejagt hätten.“
„Schweigen Sie jetzt!“ fuhr ihn Tottenham an. „Sonst muß ich Sie abführen lassen.“ Sofort traten zwei Männer auf den alten Killigrew zu und legten ihm die Hände auf die Schultern. Als er noch einen wilden Fluch ausstieß, packten sie ihn an den Oberarmen.
„Mit diesen Worten“, sagte Sir Edward, „haben Sie sich im Sinne der Anklage für schuldig bekannt. Indem Sie Sir Hasard selbst die Schatzbeute abjagen wollten, die er als Korsar Ihrer Majestät bis zur Übergabe zu verwalten hat, haben Sie sogar räuberisches Interesse am Eigentum der Königin bekundet.“
Sir John Killigrew murmelte abermals einen Fluch vor sich hin und bedachte Tottenham mit einem wilden Blick.
Der aber wandte sich jetzt an Charles Stewart.
„Sie, Mister Stewart“, begann er, „haben sich wegen Raubes, Meuterei und Vernachlässigung Ihrer Pflichten als Kommandant der ‚Dragon‘ zu verantworten.“
Charles Stewart hörte sich die Anklage mit einem spöttischen Grinsen an, zumal er kaum etwas zur Entkräftung vortragen konnte. Offiziere und Besatzung der „Orion“ und „Dragon“ waren Zeuge seiner verbrecherischen Handlungen geworden, daran ließ sich im Nachhinein nichts mehr ändern.
Wohl oder übel mußten sich die drei Angeklagten die weiteren Ausführungen Tottenhams, der jetzt auf die Einzelheiten einging, anhören. Lediglich Stewart und Killigrew mußten noch einmal zur Ruhe ermahnt werden.
Nach mehr als zwei Stunden zog sich das Gericht zur Beratung in die Kapitänskammer zurück, während die Angeklagten unter strenger Bewachung auf der Kuhl blieben.
Die Beratung dauerte eine knappe halbe Stunde, dann erschien das Kriegsgericht zur Urteilsverkündung. Ein kurzer Trommelwirbel wies auf das Erscheinen der Offiziere hin.
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