„Das ist eine kluge Entscheidung, Madam“, entgegnete Barba grinsend. „Machen wir ihn also dem spanischen Capitán zum Abschiedsgeschenk. Er scheint sich ja bisher ganz prächtig mit ihm verstanden zu haben.“
Siri-Tongs Anordnungen wurden durchgeführt. O’Leary wurde auf die spanische Galeone zurückgebracht und sollte dort zusammen mit seinen Kumpanen und den Spaniern zur Insel verfrachtet werden.
„Meinetwegen soll sich de la Cuesta mit diesen Ratten herumärgern“, sagte sie. „Vermutlich werden sie in Zukunft wenigstens nützliche Arbeit verrichten. Ob sie der spanischen Gefangenschaft widerstehen, bleibt ihrer eigenen Härte überlassen.“
Die Entscheidung der Roten Korsarin war kompromißlos. Jeder wußte, daß die üble Bande kein anderes Schicksal verdient hatte, es sei denn ein schlimmeres.
Nur Charles Stewart war zunächst etwas anderes zugedacht. Er durfte Duke Henry of Battingham in der Vorpiek der „Caribian Queen“ Gesellschaft leisten.
Die englischen Offiziere verfolgten das konsequente „Großreinemachen“ der vermeintlichen Piratin mit Verblüffung und gaben ihr im stillen völlig recht. Dennoch hing immer noch die bange Frage, was mit ihnen selber geschehen wurde, wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen.
Wieder war es Barba, der die entscheidende Frage an die Rote Korsarin richtete.
„Was geschieht mit diesen Gentlemen, Madam?“
Siri-Tong ließ sich mit der Beantwortung einen Moment Zeit. Dann aber huschte ein Lächeln über ihre Züge.
„Wir hatten eine ziemlich offene Aussprache miteinander“, sagte sie dann. „Und ich habe das Gefühl, daß wir die Fronten klar abgesteckt und Licht in die Ereignisse gebracht haben.“ Zu Sir Edward gewandt, fügte sie hinzu: „Ich überlasse Ihnen die spanische Kriegsgaleone, Sir Edward – jedoch nur unter der Bedingung, daß Sie sich zunächst mir unterstellen, und zwar solange, bis Sir Hasard in der Lage sein wird, eine Entscheidung über das Schicksal John Killigrews, Henry Battinghams und Charles Stewarts zu treffen.“
Marc Corbetts Gesicht entspannte sich zusehends, und schon öffnete er den Mund, um der Roten Korsarin für diese Entscheidung zu danken.
Doch diesmal war Sir Edward entschlußfreudiger.
„Einverstanden, Madam“, sagte er knapp. Dann atmete er im Verein mit seinen Offizieren erleichtert auf.
6.
Inzwischen war es Abend geworden. Die Sonne schickte sich an, hinter der Kimm zu versinken. Ihr rotgoldenes Licht überschüttete die Wassermassen der Karibischen See mit silbrigem Glanz.
Die kleine Insel, die zu den Grand Cays gehört, bot nach dem spanischen Beschuß am Nachmittag einen friedlichen und beschaulichen Anblick. Die Zweige der Farnbäume und die Wipfel der Palmen bewegten sich in der leichten Brise, die nach der Hitze des Tages etwas Abkühlung brachte. Das Geschrei von Möwen und Reihern überlagerte die Bucht.
Der Schein trog jedoch, der Frieden war nur scheinbar vorhanden – zumindest, was die Spanier und ihre englischen Gefangenen betraf, die ihnen die Rote Korsarin großzügigerweise überlassen hatte.
Ja, das „blutrünstige Piratenweib“, das sich gar nicht als solches erwiesen hatte, war im Ansehen der Spanier gewaltig gestiegen. Die Frau war nicht nur äußerst fair zu ihnen gewesen, sondern hatte offenbar auch unter den Engländern für klare Verhältnisse gesorgt. Auch wenn es ihnen ganz und gar nicht paßte, daß sie ihre Schiffe verloren hatten, konnten sie ihr dennoch nicht die Anerkennung versagen.
Die Engländer hatten die spanische Kriegsgaleone in Besitz genommen. Die Spanier jedoch waren unter der Führung Don Gregorios und unter Aufsicht von Siri-Tongs Mannen zur Insel gepullt. Ihre Hieb- und Stichwaffen hatten sie mitgenommen, ebenso einige Werkzeuge und die Gefangenen.
Die Dons wußten sehr wohl, daß sie mit einem blauen Auge davongekommen waren, denn die vermeintliche „Piratin“ hatte ihnen sogar die Chance gelassen, nicht für immer auf diesem entlegenen Eiland festsitzen zu müssen. Don Gregorio entschied, daß gleich nach Anbruch des nächsten Tages eine Jolle nach St. Augustine segeln sollte, um Hilfe zu holen.
Das friedliche Bild, das die Insel in der Abenddämmerung bot, sollte sich jedoch ziemlich rasch verändern.
Kaum hatten die ausgesetzten Spanier ihre Gefangenen an Land gebracht, begann es unter diesen gewaltig zu brodeln und zu gären. Zuviel hatte sich da in der letzten Zeit an Wut, Haß und Rachegefühlen aufgestaut, als daß die Kerle hätten ruhigbleiben können.
Zudem schmeckte es ihnen nicht, daß sie als Gefangene der Spanier, von denen sie nichts Gutes erwarteten, auf dem Eiland gelandet waren. Sie konnten sich lebhaft vorstellen, was ihnen in Zukunft blühte. So schoben sie sich gegenseitig die Schuld für die Misere zu – mit den Fäusten, denn etwas anderes stand ihnen kaum zur Verfügung.
Im Handumdrehen war am Strand eine wüste Prügelei im Gange, und zwar mit den zwölf Kerlen aus der Mannschaft John Killigrews, die wegen Überladung der Jolle Stewarts auf dem Eiland hatten zurückbleiben müssen, als dieser mit O’Leary und den fünfzehn anderen sowie Sir Robert Monk und Joe Doherty „von der Fahne“ gegangen war.
Als die Kerle jetzt ihre sechzehn Kumpane entdeckten, fielen sie trotz der spanischen Bewachung über sie her – ungeachtet der Tatsache, daß sie jetzt alle „im selben Boot“ saßen.
Ganz besonders hatten es die zwölf schlagkräftigen Burschen auf den Bootsmann O’Leary und die beiden ferkelgesichtigen Killigrew-Söhne, Simon Llewellyn und Thomas Lionel, abgesehen. So geschah es, daß die achtundzwanzig Kerle wie wilde Stiere aufeinander losgingen.
O’Leary, der schon beim Verhör auf der „Caribian Queen“ erheblichen Ärger mit Barba gehabt hatte, schwang wie ein Wilder die Fäuste und stieß wütende Flüche aus. Aber das nutzte ihm nicht allzuviel, denn die drei Kerle, die gleichzeitig an ihm hingen, waren auch für einen harten Brocken wie ihn nicht leicht zu verdauen.
„Hört auf, ihr verdammten Idioten!“ brüllte er. „Sonst werden euch die Dons an die Rah hängen!“
„Hier gibt es keine Rah!“ brüllte einer zurück. „Nur prächtige Palmen, und daran hängt es sich besonders für goldgierige Bootsleute sehr angenehm!“
„Und du wirst der erste sein, der daran baumelt und die Kokosnüsse runterschüttelt“, fügte ein anderer hinzu. „So ein Scheißkerl wie du gehört schon wegen seiner hinterhältigen Visage aufgehängt!“
In der Tat mußte O’Leary viel einstecken – zumindest im Verhältnis zu dem, was er austeilte. Die Spanier hatten nicht einmal etwas gegen die wilde Keilerei einzuwenden. Sie kümmerten sich nicht um die ausgeschlagenen Zähne, die dichtgehämmerten Klüsen und schiefen Nasenbeine, solange sich die Raufbolde auf ihre eigenen Landsleute beschränkten.
Don Gregorio sah nicht den geringsten Grund, dagegen einzuschreiten – im Gegenteil, die meisten Dons schauten grinsend zu und gönnten den Engländern die Beulen und Schrammen von Herzen.
„Die Kerle sollen ihr Pulver ruhig verschießen“, meinte Don Gregorio, „um so besser lassen sie sich hinterher fesseln und in Gewahrsam nehmen.“
Ja, es ging hoch her in der Abenddämmerung. Sand und Geröll wurden aufgewirbelt, Steine flogen durch die Luft, und mitunter wurden Zweige und Knüppel aus dem Dickicht gefetzt. Dazwischen klatschte der eine oder andere Körper ins Wasser.
Auch die beiden ferkelgesichtigen Söhne des John Killigrew bezogen harte Dresche. Besonders der ältere, Simon Llewellyn, wurde von zwei Decksleuten kräftig verbleut. Er hieb zwar wie ein Besessener um sich, trat, biß und kratzte nach allen Seiten, aber eine wirkliche Chance hatte er dennoch nicht. Sein verkommenes Gesicht erinnerte an eine reife Tomate, das rötliche Haar stand wirr in alle Richtungen. Gerade jetzt erinnerte er mit seinen blaßblauen Augen, der Himmelfahrtsnase und