Charles Stewart stieß ein leises Knurren aus, und John Killigrew versuchte, verächtlich auf die Planken zu spucken. Er handelte sich jedoch dafür einen Rippenstoß seines Bewachers ein.
Sir Edward räusperte sich.
„Das Kriegsgericht Ihrer Majestät, der Königin von England“, sagte er mit lauter Stimme, „ist einstimmig zu dem Entschluß gelangt, daß sich die Angeklagten, Sir Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Mister Charles Stewart, in allen Punkten der Anklage schuldig gemacht haben. Sie werden deshalb – ebenso einstimmig – zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken.“
Diese Worte schlugen ein wie eine Breitseite.
Besonders Sir Henry schien im Vertrauen auf seinen Adelsrang als Duke of Battingham nicht mit diesem Urteil gerechnet zu haben. Er hatte wohl geglaubt, daß es niemand wagen würde, Hand an ihn zu legen. Um so mehr schmetterte ihn jetzt dieses Urteil nieder.
Das hochnäsige Lächeln verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht. Er wurde aschfahl, seine Lippen begannen zu beben. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
„Das ist ungeheuerlich!“ schrie er. „Ich bin Duke Henry of Battingham, und wer es wagt, mir auch nur ein Haar zu krümmen, wird sich in England verantworten müssen. Ich erkenne dieses Urteil nicht an!“
Auch Charles Stewart begann zu brüllen und überhäufte die Mitglieder des Kriegsgerichtes mit wüsten Flüchen und unflätigen Beschimpfungen.
Aber das alles half den drei Halunken nicht. Niemand beachtete ihre Proteste. Die Crewmitglieder, die Zeugen der Verhandlung geworden waren, trugen unbeteiligte Mienen zur Schau. Im stillen aber empfanden sie Genugtuung.
Sir Henry, Sir John und Charles Stewart waren rechtsgültig zum Tode verurteilt worden und wurden auf Befehl des Gerichts sofort auf eine Jolle gebracht. Eine weitere Jolle wurde dem Erschießungskommando zur Verfügung gestellt. Schließlich wurden die beiden Boote zum Ufer gepullt.
Wenig später dröhnten die Salven der Exekution über die Bucht. Die drei Männer, die beutelüstern und mit hinterhältigen Plänen in die Karibik aufgebrochen waren, hauchten ihr Leben unter den Schüssen des Pelotons aus. Sir Henry starb als Feigling, nämlich jammernd. Sir John und Stewart hingegen brüllten wie wilde Stiere, bevor die Kugeln sie zum Verstummen brachten.
Kurz vor der Mittagszeit hatte sich der Wolkenhimmel über den Pensacola Cays weiter verdichtet, die Schwüle nahm ständig zu. Den Männern auf den drei Schiffen brach der Schweiß aus allen Poren.
Als die beiden Jollen vom Ufer zurückkehrten, stand Sir Edward mit unbewegtem Gesicht auf dem Achterdeck und stützte sich auf den Handlauf der Querbalustrade. Nachdem man ihm den Vollzug des Todesurteils gemeldet hatte, wandte er sich Marc Corbett zu.
„Damit wurde ein weiterer Beitrag zur Wiederherstellung der Ehre Ihrer Majestät und der Ehre Sir Hasards geleistet“, sagte er.
Der Erste Offizier nickte mit ernstem Gesicht.
„Sie haben ihre Strafe verdient“, entgegnete er. „Es bleibt nur zu hoffen, daß sie dies vor ihrem Tod noch eingesehen haben.“
Sir Edward wandte sich um.
„Übernehmen Sie vorerst das Kommando, Mister Corbett. Ich werde mich für eine Weile in meine Kammer zurückziehen.“
„Aye, Sir.“
Marc Corbett blickte seinem Kapitän nach, als dieser auf die Achterdecksräume zuschritt. Sir Edward wirkte müde und erschöpft. Die Kriegsgerichtsverhandlung schien ihn ziemlich strapaziert zu haben.
Der Erste nahm die Zügel in die Hand, um zunächst dafür zu sorgen, daß alles an Bord wieder in gewohnten Bahnen verlief. Noch standen überall kleine Gruppen von Männern herum und debattierten über das Urteil. Aber es war niemand unter ihnen, der es nicht gebilligt hätte. Die gesamte Crew war sich darüber im klaren, daß die Hingerichteten den Bogen weit überspannt hatten. Alle hatten miterlebt, daß es sich nicht auszahlte, wenn man bestimmte Grenzen überschritt – selbst dann nicht, wenn man einen Adelstitel trug.
Marc Corbett gab einige Befehle, die Männer kehrten zu ihrer Arbeit zurück. Auch der Koch verholte mit seinen Helfern wieder in die Kombüse, denn es war an der Zeit, an das mittägliche Backen und Banken zu denken.
Corbett enterte wieder zum Achterdeck auf, doch dabei stoppte er abrupt seine Schritte. Irgendwo unter Deck war plötzlich ein Schuß gefallen. Das Geräusch war zwar nur gedämpft zu hören gewesen, aber er hatte es deutlich vernommen. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte es sich um einen Pistolenschuß gehandelt. Wer, zum Teufel, hatte diesen Schuß abgefeuert? Und warum? Marc Corbett fand dafür keine Erklärung.
Arthur Gretton, der sich noch auf dem Achterdeck aufhielt, sah Corbett fragend an.
„War das nicht ein Schuß, Mister Corbett?“
Der Erste Offizier nickte.
„Er könnte in den Achterdecksräumen gefallen sein. Wir sollten die Angelegenheit sofort überprüfen und notfalls Sir Edward Meldung erstatten.“
Die beiden Männer betraten wenig später den Gang, der das Achterkastell in zwei Hälften teilte. Doch dort war alles still, niemand schien sich in der Nähe aufzuhalten, auch die einzelnen Kammern waren leer.
„Merkwürdig“, sagte Arthur Gretton. „Vielleicht haben wir uns getäuscht.“
„Nein.“ Corbett schüttelte entschieden den Kopf. „Das war ein Schuß, daran gibt es keinen Zweifel. Am besten, wir befragen Sir Edward. Er müßte ihn ebenfalls gehört haben.“
Wenig später klopfte er an das Schott der Kapitänskammer. Aber es erfolgte keine Antwort. Sollte sich Sir Edward hingelegt haben und sofort eingeschlafen sein?
Corbett klopfte abermals, diesmal etwas kräftiger. Aber es rührte sich auch jetzt nichts. Die beiden Offiziere blickten sich fragend an.
„Sir Edward!“ rief Corbett dann. „Mister Gretton und ich möchten Sie gern sprechen!“
Alles blieb still, beinahe schon gespenstisch still.
Der Erste öffnete kurzentschlossen das Schott – und blieb wie angewurzelt stehen. Über seinen Rücken kroch ein eiskalter Schauer. Für einen Moment war er wie gelähmt.
Arthur Gretton, der ihm über die Schulter blickte, erging es nicht anders.
„Großer Gott“, murmelte er, „Sir Edward!“
In der Mitte des Raumes stand ein schwerer Eichentisch, der fest im Boden verankert war. Auf dem Stuhl davor saß Sir Edward Tottenham. Sein Oberkörper war nach vorn auf die Tischplatte gesunken. Die rechte Hand umklammerte noch den Griff einer Steinschloßpistole, aus einer Schläfenwunde sickerte Blut. Über dem Raum hing der Geruch von Pulverdampf.
Sir Edward Tottenham war tot. Die beiden Offiziere begriffen rasch, was hier geschehen war. Aber warum hatte sich ihr Kapitän eine Kugel durch den Kopf gejagt?
Mit bleichen Gesichtern näherten sie sich dem Tisch. Vor dem Toten lag ein Schriftstück, das mit einem Tintenfaß beschwert worden war.
„Er hat einen Brief hinterlassen“, murmelte Marc Corbett. „Wahrscheinlich geht daraus hervor, warum er das getan hat.“
Mit spitzen Fingern griff er nach dem Schreiben und begann mit gedämpfter Stimme vorzulesen:
„Pensacola Cays, am 30. August 1594. Was Sir Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Mister Charles Stewart aus niedrigsten Beweggründen getan haben, verabscheue ich zutiefst und bedaure sehr, daß es überhaupt geschehen konnte. Doch diese drei Männer haben dafür mit dem Leben bezahlt. Der Gerechtigkeit wurde in ihrem Falle Genüge getan. Aber ich, Edward Tottenham, kann mich selbst von Schuld nicht freisprechen. Auch ich habe anfangs den Verleumdungen und Intrigen gegen Sir Philip Hasard Killigrew geglaubt und bin leichtfertig davon ausgegangen, daß sich tatsächlich eine schriftliche Order Ihrer Majestät in den