Don Gregorio sah sie verblüfft an. Hatte sie wirklich gesagt, er könne die Galeone verlassen? Bei Gott, und er hatte sich im Geiste schon an einer Rah baumeln sehen!
„Im übrigen“, führ die Rote Korsarin fort, „können Sie Ihre Jollen mit an Land nehmen, ebenso Hieb- und Stichwaffen. Die Mitnahme von Schußwaffen erlaube ich nicht. Andererseits habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einige Werkzeuge mitnehmen wollen, um die Hütten wieder aufzubauen, die Sie selber zerschossen haben. Für immer werden Sie wohl nicht auf dieser Insel festsitzen, denn Sie haben ja die Möglichkeit, eine Jolle zur Küste von Florida hinübersegeln zu lassen, um von St. Augustine Hilfe anzufordern.“
Don Gregorio de la Cuesta atmete erleichtert auf. Tonnenschwere Lasten fielen ihm von der Seele, obwohl es nicht gerade erfreulich war, sein Schiff aufgeben zu müssen und auf einer Insel ausgesetzt zu werden. Aber er hatte Schlimmeres erwartet – für sich und seine Landsleute. Offenbar hatte er doch den richtigen Eindruck von dieser Frau gewonnen, die gemäß den Schilderungen des englischen Bootsmannes ein „blutrünstiges Piratenweib“ sein sollte. O’Leary hatte ohne Zweifel stark übertrieben. Er selbst war inzwischen fast schon geneigt, ein Prachtweib in ihr zu sehen.
Für einige Augenblicke floß Don Gregorio fast über vor Dankbarkeit, ja, er fühlte sich sogar genötigt, einen erlesenen Kratzfuß zu zelebrieren.
„Ich danke Ihnen zutiefst für Ihre Großzügigkeit, Señora“, sagte er, „und ich bin entzückt, Sie kennengelernt zu haben. Ich kann nur versichern, daß Sie mich und meine Landsleute fair behandelt haben.“
Darüber wunderten sich auch die Engländer, die ebenfalls weit Schlimmeres erwartet hatten.
Als erster räusperte sich Marc Corbett.
„Ich muß Sie darauf hinweisen, Madam“, sagte er, „daß sich drüben an Land noch etwa vierzig unserer Leute befinden, die zurückgeblieben sind, um uns Feuerschutz zu geben.“
„Nachdem sie sich ergeben haben, werden sie herübergeholt auf die spanische Galeone“, sagte Siri-Tong. „Ihre Waffen sind in einem gesonderten Boot unterzubringen.“
Mit dieser Entscheidung hatte Marc Corbett gerechnet, aber da war noch etwas, was geklärt werden mußte.
„Außerdem, Madam“, fuhr er fort, „befinden sich noch sieben Gentlemen aus dem Kreis des Sir Henry Battingham sowie zwölf Kerle des John Killigrew auf der Insel …“
„Dort werden sie auch bleiben“, unterbrach ihn Siri-Tong schroff. „Meinetwegen können sie den Spaniern Gesellschaft leisten.“
Don Gregorio de la Cuesta wurde von der Roten Korsarin entlassen, um das Übersetzen zur Insel zu organisieren. Einige Mannen von der „Caribian Queen“ wurden damit beauftragt, die Vorgänge zu überwachen.
5.
Siri-Tong wandte sich erneut den Engländern zu. Diesmal sprach sie direkt Charles Stewart an, der mit verbissenem Gesicht auf die Planken stierte.
„Was haben Sie mit Ihrem Überfall auf das Schiff des Seewolfs bezweckt, Mister Stewart?“
Stewart hob den Kopf und grinste spöttisch.
„Das ist – mit Verlaub gesagt – eine dämliche Frage, Madam“, erwiderte er geradezu provozierend. „Denn erstens einmal haben wir von Ihrer Majestät, der Königin, den Auftrag gehabt, einen Betrüger, Spion und Verräter namens Philip Hasard Killigrew zu fangen und nach England zu bringen. Zweitens hätte sich durch den Überfall für uns die Möglichkeit ergeben, uns in den Besitz von zwei Schiffen zu bringen, da die eigenen, die ‚Orion‘ und die ‚Dragon‘, ja bekanntlich von Ihnen versenkt wurden. Im übrigen, Madam, bin ich es als Offizier gewohnt, die Befehle Ihrer Majestät auszuführen. Ich sehe deshalb überhaupt nichts Verbrecherisches an meiner Handlungsweise, im Gegenteil – es wäre ein Akt des Ungehorsams gegen die Königin gewesen, wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie ich es getan habe.“
Marc Corbett fuhr empört dazwischen.
„Was dieser Kerl hier behauptet, ist ungeheuerlich, Madam. Er dreht und wendet den Spieß, wie es ihm in den Kram paßt und findet sogar noch Entschuldigungen für seine niederträchtige Verhaltensweise. Außerdem stimmt es nicht, daß ein Befehl Ihrer Majestät, der Königin, vorliegt. Er kann keinen Beweis dafür erbringen, denn ein schriftlicher Befehl oder Auftrag der Königin für die Gefangennahme Sir Hasards existiert höchstwahrscheinlich nicht. Mein Kommandant, Sir Edward“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn, „hat jedenfalls weder von der Königin noch vom Lordadmiral einen solchen Befehl erhalten.“
„Das ist sehr interessant, Mister Corbett“, sagte Siri-Tong. „Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“
„Nun, ich sagte ja bereits, daß der ‚Orion‘ kein schriftlicher Befehl vorlag. Außerdem haben bereits die Kapitäne Rooke und Wavell, die Kommandanten der ‚Centurion‘ und der ‚Eagle‘, von Sir Henry Battingham verlangt, einen solchen Auftrag einsehen zu dürfen, aber Sir Henry hat das abgelehnt und sich damit herausgeredet, Sir Andrew Clifford sei im Besitz dieser königlichen Order.“
„Wurde das jemals überprüft?“
„Nein, Madam, denn Sir Andrew war zu diesem Zeitpunkt bereits Geisel des John Killigrew und konnte demzufolge nicht befragt werden. Deshalb nahmen wir zunächst an, daß Ihre Majestät Sir Henry oder Sir Andrew vielleicht nur eine mündliche Order erteilt hat und darauf vertraute, daß diese sich bei den Kommandanten der vier Kriegsgaleonen durchsetzen würden.“
„Das ist eine sehr schwache Vermutung“, bemerkte Siri-Tong, „wenn nicht sogar eine sehr haltlose, mit der man lediglich versucht hat, seine Handlungsweise moralisch zu rechtfertigen. Immerhin aber führen die Spuren immer wieder zu diesem Mister Clifford und Mister Battingham, die ich eingangs als die Urheber der ganzen Intrigen bezeichnet habe.“
„Das mag durchaus sein, Madam, aber uns fehlte eben immer der Beweis für unsere Vermutungen, und solange wir nicht das Gegenteil beweisen konnten, mußten wir uns dem vermeintlichen Willen der Königin unterordnen …“
Siri-Tong sah Marc Corbett scharf an.
„Mußten Sie das wirklich, Mister Corbett?“
Der Erste Offizier der früheren „Orion“ senkte für einen Augenblick den Kopf.
„Nun ja, Madam, einige haben auch anders gehandelt. Die Kapitäne Rooke und Wavell zum Beispiel zogen aus dem Fehlen einer schriftlichen Order die Konsequenzen und verließen den Verband – das sei um der Wahrheit willen gesagt.“
Die Rote Korsarin richtete jetzt ihren Blick auf Sir Edward Tottenham, den Kommandanten der „Orion“.
„Und welche Meinung vertreten Sie, Mister Tottenham?“ fragte sie mit etwas Spott in der Stimme. Sie hatte längst erkannt, daß dieser Mann nicht nur sehr zurückhaltend, sondern auch ein Zögerer war und froh sein konnte, einen so tüchtigen und geradlinigen Kerl wie seinen Ersten Offizier zur Seite zu haben.
Sir Edward gab sich einen Ruck und bemühte sich, der Frau auf dem Achterdeck in die Augen zu sehen.
„Ich muß meinem Ersten Offizier beipflichten, Madam. Es gibt höchstwahrscheinlich keine schriftliche Order Ihrer Majestät, der Königin. Infolgedessen hatte ich mich inzwischen entschlossen, auch eine mögliche mündliche Order zu ignorieren, da sie ja als solche für mich nicht verbindlich ist. Sollte ich je nach England zurückkehren, werde ich einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des unseligen Unternehmens anfertigen und den Lordadmiral darauf hinweisen, daß es ein grober Fehler war, vier Kriegsgaleonen Ihrer Majestät ohne einen verantwortlichen Befehlshaber und ohne eine klare Order in See gehen zu lassen, noch dazu in der stillen Erwartung, die vier Kommandanten würden sich einer Gruppe von Höflingen unterordnen, die weder von der Seefahrt noch von der entsprechenden Kriegführung eine Ahnung haben.“
Marc Corbett bedachte seinen Kapitän mit einem überraschten Blick. Donnerwetter, sagte