Seewölfe Paket 22. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397815
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mit ihm nichts mehr zu tun haben, denn er hatte seine Besatzung im Stich gelassen, als die ‚Dragon‘ sank. Für uns war das Grund genug, uns von ihm zu trennen, zumal er vorher versucht hatte, die ‚Orion‘ zu entern, weil sein Schiff im Gefecht beschädigt worden war …“

      „Lüge, alles Lüge!“ rief Charles Stewart dazwischen. „Die Kerle wollen sich Ihnen gegenüber nur herausreden, Madam!“

      Barba, der mit verschränkten Armen einige Schritte hinter Siri-Tong stand und die Gesprächsszene mit unbewegtem Gesicht verfolgte, setzte sich in Bewegung.

      „Soll ich diesen Kerl zur Ruhe bringen, Madam?“ fragte er.

      Siri-Tong vollführte eine abwehrende Geste.

      „Laß es, Barba“, erwiderte sie. „Wenn es nötig sein sollte, daß du dir die Hände an einem solchen Mann beschmutzt, sage ich es dir.“

      Barba trat wieder zurück, nicht ohne dem grobschlächtigen Stewart einen finsteren und vielversprechenden Blick zuzuwerfen.

      „Darf ich weiterreden, Madam?“ fragte Marc Corbett höflich.

      „Fahren Sie fort.“ Siri-Tong nickte mit ernstem Gesicht.

      Der Erste Offizier der „Orion“ räusperte sich.

      „Heute morgen kehrte Mister Stewart allein zurück und forderte uns auf, mit den Jollen Ihre beiden Schiffe bei den Pensacola Cays zu überfallen. Wir lehnten das jedoch ab und setzten ihn gefangen.“

      „Und was geschah mit der Jolle und den Kerlen von John Killigrew?“ fragte Siri-Tong.

      Marc Corbett lächelte beinahe schadenfroh.

      „Die Burschen warfen Stewart hier bei der Insel außenbords und segelten davon. Vermutlich, weil sie sich in den Besitz von zwei Goldkisten setzen wollten, die Stewart dem ‚ehrenwerten‘ Sir Henry Battingham mehr oder weniger entwendet hatte, bevor die ‚Dragon‘ unterging.“

      „Interessant!“ entfuhr es der Roten Korsarin. Dann warf sie Charles Stewart, der sie mit haßerfüllten Augen anstarrte, einen verächtlichen Blick zu. Nach kurzem Überlegen gab sie den Befehl, den spanischen Verbandsführer auf die „Caribian Queen“ zu holen. „Mal sehen“, sagte sie, „was unsere spanischen Freunde zu berichten haben.“

      Kurze Zeit danach hatte sich auch Don Gregorio de la Cuesta zu der Reihe derer gesellt, die nervös von der Kuhl zum Achterdeck hochblickten. Auch er tat es mit recht gemischten Gefühlen, denn im stillen rechnete er mit allem – selbst mit dem Schlimmsten. Was sollte er schon als spanischer Kapitän von den Engländern zu erwarten haben? Oder noch schlimmer: was würde sich dieses Piratenweib wohl einfallen lassen? O ja, Don Gregorio fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, und als man ihn auf den Zweidecker gebracht hatte, waren seine Knie regelrecht weich geworden.

      „Wie ist Ihr Name, Señor?“ fragte Siri-Tong, die die spanische Sprache sehr gut beherrschte.

      „Don Gregorio de la Cuesta“, lautete die Antwort, „Kommandant der Kriegsgaleone …“

      „Schon gut“, unterbrach ihn Siri-Tong, die von Adelstiteln und hochtrabenden Amtsbezeichnungen nicht sehr viel hielt. „Ich erwarte, daß Sie mir einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Vergessen Sie dabei nicht, daß Sie sich in meiner Gewalt befinden.“

      Bei diesem Hinweis schluckte Don Gregorio, obwohl er diesen Umstand bisher noch keinen Augenblick vergessen hatte.

      „Ich werde wahrheitsgemäß antworten, Señora.“

      Siri-Tong konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn sie auf die Kuhl hinunterblickte. Da standen sie, die Befehlshaber und Kommandanten, die sonst so Großen und Mächtigen. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, wirkten sie zerknirscht, nervös und verunsichert. Vor allem das hagere Gesicht des Spaniers zeigte eine auffallende Blässe.

      „Nun, Señor“, fuhr sie fort, „ich möchte wissen, ob es ein Zufall war, daß Sie mit Ihren beiden Kriegsgaleonen hier auf die schiffbrüchigen Engländer gestoßen sind.“

      Don Gregorio schüttelte den Kopf.

      „Nein, das war kein Zufall, Señora“, erwiderte er. „Meine Schiffe befanden sich im Fort St. Augustine an der amerikanischen Ostküste. Als der englische Verband vorbeisegelte, erhielt ich den Auftrag, auszulaufen, um – nun ja, um die Absichten der Engländer zu überprüfen …“

      „Aha“, sagte Siri-Tong. „Und was sollten Sie nach dieser Überprüfung, wie Sie das nennen, tun? Sollten Sie nach St. Augustine zurückkehren, um Bericht zu erstatten?“

      „Nein, Señora, das heißt, später schon, aber …“

      „Aber?“

      „Zunächst hatte ich, wie bereits gesagt, den Auftrag, den Engländern nachzuspüren. Dann sollte ich Havanna anlaufen und den Gouverneur wegen dieses Verbandes warnen.“

      „Und wie erfuhren Sie dann, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gab?“

      Der Capitán zuckte hilflos mit den Schultern.

      „Das ergab sich fast von allein, Señora“, berichtete er. „Wir sichteten am heutigen Vormittag eine mit Westkurs segelnde Jolle, die wir stoppten und durchsuchten. Dabei entdeckten wir zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufwiesen. Wir waren deshalb davon überzeugt, es mit Piraten zu tun zu haben und sahen uns genötigt, die Jollenbesatzung gefangenzunehmen. Dabei erfuhren wir durch das Verhör eines englischen Bootsmanns, der O’Leary heißt, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gäbe. Da die Grand Cays nicht weit entfernt waren, sind wir hierher gesegelt.“

      Siri-Tongs Hände ballten sich zu Fäusten.

      „War das alles, was Sie von diesem O’Leary erfahren haben?“

      Der Spanier senkte einen Augenblick den Kopf, dann aber redete er weiter, wohl wissend, daß er keine andere Wahl hatte.

      „Nein, das war nicht alles, Señora. Der Bootsmann berichtete auch über die Ziele und Aufgaben des englischen Verbandes, und – und er sagte auch, wo El Lobo del Mar, der Seewolf, zu finden sei. Daraufhin habe ich die Engländer drüben auf der Insel zur Kapitulation aufgefordert. Angegriffen habe ich sie erst, nachdem sie sich geweigert hatten, sich zu ergeben.“

      Die Rote Korsarin nickte. Alle Mosaiksteinchen paßten überraschend gut zusammen, deshalb war sie auch davon überzeugt, daß Don Gregorio die Wahrheit gesagt hatte.

      „Den Ausgang dieses Kampfes kenne ich“, fuhr sie fort. „Wie aber sah Ihr weiteres Vorhaben aus – im Hinblick auf das, was O’Leary ausgeplaudert hatte?“

      „Danach“, erwiderte der Spanier, „wollte ich versuchen, den Seewolf zu finden und zu stellen, und zwar noch vor der Fahrt nach Havanna.“

      „Gerade so hatte ich mir das gedacht“, sagte Siri-Tong. „Wie viele Kerle befanden sich bei O’Leary, und was geschah mit ihnen?“

      „Es waren sechzehn, Señora. Ich nahm sie als Gefangene zunächst an Bord meines Schiffes, dann aber wurden sie von der Galeone da drüben wegen der besseren Platzverhältnisse übernommen. Dort befinden sie sich jetzt noch in der Vorpiek hinter Schloß und Riegel.“

      Marc Corbett und die anderen Engländer, die dem in Spanisch geführten Gespräch folgen konnten, horchten auf. Siri-Tong aber traf ihre ersten Entscheidungen.

      „Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben“, sagte sie. „Und nun sollen Sie erfahren, was mit Ihnen und Ihren Landsleuten geschehen soll.“

      Don Gregorios Gesicht verkrampfte sich in banger Erwartung. Was, um Himmels willen, hatte sich dieses Piratenweib ausgedacht? Eigentlich war diese Frau nicht nur hübsch und energisch, sondern machte auch einen anständigen Eindruck. Irgendwie wollte das landläufige Bild einer Piratin nicht zu ihr passen. Aber das konnte auch täuschen, das würde sich gleich herausstellen.

      „Sie werden mit Ihren Männern die