„Knien sollten sie, Madam“, hatte Barba geflüstert, „knien wie auf einer Kirchenbank.“
Das aber war ihr wohl doch etwas zu weit gegangen, denn es lag nicht in ihrer Absicht, die Männer zu demütigen. Vielmehr ging es ihr darum, die Lage endgültig zu klären und die Ränke und üblen Machenschaften, mit denen die Engländer in der letzten Zeit den Seewolf und seine Männer verfolgt hatten, zu beenden.
Nach kurzem Schweigen räusperte sich Siri-Tong und verschränkte dann abermals die Arme. Ihre mandelförmigen, etwas schräggestellten Augen musterten die Engländer ohne jegliche Scheu. Indem sie sich sämtliche Floskeln ersparte, kam sie ohne Umschweife zur Sache.
„Sie, Mister Corbett“, begann sie, „haben vorhin nach dem Zweck dieser Aktion gefragt. Ich habe Ihnen eine Antwort versprochen, doch dazu ist es allerdings nötig, daß ich etwas weiter aushole und auf Ereignisse der letzten Zeit zurückgreife. Vielleicht werden Sie und die anderen Gentlemen mich dann verstehen.“
„Wir werden uns die größte Mühe geben, Madam“, entgegnete Corbett und deutete sogar eine leichte Verbeugung an. Er, der draufgängerische und tatkräftige Mann, konnte nicht verhindern, daß ihm diese Frau eine ganze Menge Respekt einflößte. O ja, das mußte schon eine ganz besondere Frau sein, die es schaffte, einen solch imposanten Dreimaster mit zwei Kanonendecks zu befehligen und alle die rauhen Kerle, die bei ihr fuhren, im Zaum zu halten. Corbett konnte ihr im stillen die Bewunderung nicht versagen, auch wenn er jetzt – wie die anderen – mit bangem und erwartungsvollem Gesicht zum Achterdeck hochstarrte.
„Da sind also“, fuhr die Rote Korsarin fort, „vier englische Kriegsschiffe und eine Karavelle in die Karibik ausgelaufen, mit dem Auftrag, nach Philip Hasard Killigrew, den man den Seewolf nennt, zu fahnden, ihn zu fangen und nach England zu verbringen, um ihn dort – man höre und staune – wegen Betruges, Unterschlagung sowie Hoch- und Landesverrats vor ein Gericht zu stellen. Eigentlich sollte man annehmen, daß man in England Ehrenmänner mit diesem Auftrag betraut hat. Doch kaum hatten diese fünf Schiffe die Bahama-Inseln erreicht, fielen diese Ehrenmänner, die der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen sollten, über eine spanische Handelsgaleone her, welche, wohlbemerkt, bereits die Flagge gestrichen hatte, und schossen sie brutal zusammen. Mehr noch: Die Besatzung wurde massakriert, nachdem ein gewisser, an dem Unternehmen beteiligter John Killigrew und seine Mannschaft die Galeone geentert hatten …“
„Eben“, unterbrach sie der stiernackige und verschlagen aussehende Charles Stewart und hielt seine gefesselten Hände hoch. „Das war Killigrew, Madam, und wir sind nicht für ihn verantwortlich.“
„Schweigen Sie!“ fuhr ihn Siri-Tong mit harter Stimme an. „Ich habe Sie nicht nach Ihrer persönlichen Meinung gefragt. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, daß gerade Sie als letzter das Recht haben, den ersten Stein nach einem anderen zu werfen.“
Damit hatte die Rote Korsarin den Nagel auf den Kopf getroffen. Die anderen Männer nickten bestätigend zu ihren Worten, und Arthur Gretton, der Stewart abgesetzt hatte, warf ihm sogar einen zornigen Blick zu.
„Dieser Mann, John Killigrew“, fuhr Siri-Tong unbeirrt fort, „plünderte die spanische Galeone aus, zumal sich dort eine Ladung Goldbarren befand. Um diese Beute für sich behalten zu können, nahm er aus den Reihen seiner Verbündeten einen gewissen Sir Andrew Clifford als Geisel und setzte sich unbehelligt mit seiner Karavelle und der Goldbeute von dem Verband ab. Danach leierte man an Bord der Karavelle den grandiosen Coup – der selbstverständlich mit dem eigentlichen Auftrag nicht das geringste zu tun hatte –, indem man sich sinnlos betrank und außerdem den Entschluß faßte, nach Süden zu segeln, wo man auf den Inseln Frauen zu finden hoffte. Genauer gesagt: Man war entschlossen, irgendwo Indianerweiber aufzutreiben, über die man das Recht zu haben glaubte, sie nach Gutdünken vergewaltigen zu können. Sir Andrew Clifford hingegen konnte mit einer nachgeschleppten Jolle von der Karavelle fliehen und wurde schließlich von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, aufgegriffen. Ins Verhör genommen, berichtete dieser ‚Ehrenmann‘, mit welchem Ziel die fünf Schiffe aus England ausgelaufen waren. So erfuhr Philip Hasard Killigrew, den vom Charakter her ganze Welten von seinem früheren Pflegevater, John Killigrew, trennen, von den ungeheuerlichen Beschuldigungen, die gegen ihn am königlichen Hof erhoben worden waren.“
Arthur Gretton unterbrach die Rote Korsarin.
„Wenn ich dazu etwas bemerken darf, Madam“, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es war nicht unsere Aufgabe und lag auch nicht in unserer Macht, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen, die Sie gerade angesprochen haben, zu überprüfen.“
Siri-Tong schüttelte zornig den Kopf.
„Wollen Sie damit sagen, daß Sie und auch diese anderen Männer sich einer Strafexpedition großen Ausmaßes angeschlossen haben, ohne von deren Richtigkeit und Notwendigkeit überzeugt zu sein?“
„Äh – nein, Madam, das wollte ich damit nicht sagen“, erwiderte Gretton sichtlich verlegen. „Man hat uns vielmehr deren Richtigkeit glaubhaft versichert.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte Siri-Tong. „Offensichtlich hat man deren Notwendigkeit sogar der englischen Königin glaubhaft versichert, sonst hätte sie wahrscheinlich niemals diesem Unternehmen zugestimmt. Fest steht auf jeden Fall, daß Sir Andrew Clifford und Sir Henry Battingham, zwei Männer von Adel, aber nicht mit adliger Gesinnung, die Anstifter dieser Intrige waren. Das gleiche trifft auf John Killigrew, den dritten im Bunde, zu. Drei Verbrecher haben es demnach fertiggebracht, einen anderen Mann in Abwesenheit zu verleumden, schmutzige Verdächtigungen auszusprechen und zu erreichen, daß ein Verband zu seiner Gefangennahme in Marsch gesetzt wurde.“
Siri-Tong schwieg hier einen Moment. Sie hatte ruhig und sachlich gesprochen. Jetzt aber wurde ihr Ton eine Nuance schärfer.
„John Killigrew und seine Mannschaft“, fügte sie hinzu, „wurden in der Bucht dieser Insel von Philip Hasard Killigrew und mir gestellt und überwältigt. Als Ehrenmann forderte der Seewolf, dessen Gradlinigkeit und Fairneß selbst den Spaniern ein Begriff ist, Genugtuung für die schändlichen Verleumdungen seiner Person. Ich habe ihm abgeraten mit der Begründung, Lumpen könnten einem Mann ohne Fehl und Tadel nicht die Ehre nehmen. Doch der Seewolf blieb bei seiner Entscheidung, und ich mußte sie akzeptieren, denn wer eines Mannes Ehre verletzt, muß auch bereit sein, dafür geradezustehen und zu kämpfen. Ich weiß nicht, inwieweit ich von Ihnen erwarten kann, mir in diesem Punkt beizupflichten …“
„Natürlich müssen wir Ihnen da beipflichten, Madam“, sagte Marc Corbett.
Sir Edward und Arthur Gretton nickten bestätigend, während Charles Stewart nur höhnisch grinste.
„Sehen Sie“, sagte Siri-Tong, „nicht mehr und nicht weniger als das forderte Philip Hasard Killigrew von diesen beiden Männern. Jetzt konnten sie ja zeigen, wie ernst ihre Absicht war, im Auftrag der Krone einen Betrüger, Hoch- und Landesverräter zu stellen und im Kampf Mann gegen Mann ihr Ziel durchzufechten. Philip Hasard Killigrew ließ ihnen sogar die Wahl der Waffen. Sir Andrew Clifford als erster wählte die Pistole, John Killigrew den Säbel. Das Pistolenduell fand dort drüben am Strand statt. Die Duellanten sollten sich Rücken an Rücken und mit geladener Pistole aufstellen, dann losmarschieren und durften sich erst umdrehen und schießen, wenn der Befehl ‚Feuer frei!‘ gegeben wurde. Aber was tat der Ehrenmann Andrew Clifford? Nach etwa vier Schritten drehte er sich um und schoß Philip Hasard Killigrew eine Kugel in den Rücken. Clifford büßte für diese feige Tat, denn er wurde von einem Pfeil durchbohrt, den ein Mann aus der Crew des Seewolfs abgeschossen hatte. Dieser Pfeilschuß ersparte uns, Clifford an die Rah zu hängen. Alles weitere wissen Sie, Gentlemen. Was ich jedoch noch nicht weiß, das möchte ich jetzt von Ihnen erfahren: Warum hat dieser Mann“, Siri-Tong deutete auf Charles Stewart, „zusammen mit Männern aus der Crew des John Killigrew in der letzten Nacht noch einmal versucht, das Schiff des Seewolfs zu überfallen? Hatte er dazu einen Auftrag?“
Es war abermals Marc Corbett, der einen Schritt vortrat und erregt den Kopf schüttelte.
„Nein, einen Auftrag hatte er nicht, Madam“, sagte