„Wie es scheint, sind wir in eine klug aufgestellte Falle gestolpert“, sagte der Zweite Offizier Don Gregorios. „Der Zweidecker muß wohl doch etwas mit den englischen Bastarden zu tun haben. Kaum drehte er nach Norden hoch, da werden wir auch schon von der Insel her angegriffen. Ich fresse einen Besen, wenn das keine abgesprochene Sache war, Señor Capitán.“
Fast schien es, als habe der Zweite mit dem rußgeschwärzten Gesicht diesmal recht, auch wenn es da noch einige Ungereimtheiten gab, für die man noch keine Erklärung gefunden hatte.
„Wir haben jetzt keine Zeit, über diese Vorgänge lange zu diskutieren“, sagte Don Gregorio erregt. „Ob wir in eine Falle gestolpert sind oder nicht, ist in unserer gegenwärtigen Lage ohne Bedeutung. Wichtig ist nur, daß wir alles tun, um diese Sache zu überstehen. Was ist mit der Gefechtsbereitschaft?“
Der Kapitän des Kriegsschiffes vollführte eine hilflose Geste.
„Meine Männer sind noch vollauf damit beschäftigt, die Galeone wieder gefechtsklar zu machen“, erwiderte er. „Solange unsere Schiffe ineinander verhakt waren, war das nicht in vollem Ausmaße möglich gewesen.“
Don Gregorios Gesicht wurde rot vor Zorn.
„Dann bringen Sie Ihre Schlafmützen gefälligst auf Vordermann!“ brüllte er wenig vornehm. „Wenn wir weitere Zeit verplempern, haben wir keine Chance mehr!“
Die Wuhling auf der Kriegsgaleone Seiner Majestät, des Königs von Spanien, nahm kein Ende.
Die Engländer hatten den zweiten Angriff der „Caribian Queen“ auf die spanischen Kriegsgaleonen mit größter Genugtuung beobachtet, und nahezu alle waren abermals in lautes Freudengeheul ausgebrochen, als sie sahen, welch verheerende Folgen der Angriff gehabt hatte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die zerschossene Galeone sinken würde.
Noch während die Kanonen des Zweideckers krachten, waren die Männer von der „Orion“ und der „Dragon“ mit ihren acht Jollen aus dem Uferdickicht hervorgebrochen und hatten die Boote über blitzschnell untergelegte handige Baumstämme zum Wasser gerollt. Dann waren sie auf das Kommando Marc Corbetts hin hineingesprungen und auf Teufel komm raus losgepullt. Sir Edward Tottenham hatte sich den Mannen angeschlossen. Er war von der Westseite her noch rechtzeitig auf den Trupp Marc Corbetts gestoßen, der die Boote aus dem Versteck geholt hatte.
An die 120 Mann waren es, die sich auf die acht Boote verteilt hatten. Die restlichen nahezu vierzig Kämpfer waren auf der Insel zurückgeblieben, um mit ihren Musketen den Kameraden Feuerschutz zu geben.
„Die Galeone kann jeden Moment sinken“, sagte Marc Corbett. „Fast sieht es so aus, als habe der Zweidecker die andere absichtlich für uns übriggelassen.“ Er saß auf der achteren Ducht einer Jolle, über seinen Knien lag eine feuerbereite Muskete.
Sir Edward zog die Stirn kraus.
„Hoffentlich haben Sie recht, Mister Corbett. Wenn der Zweidecker allerdings zurückkehrt und erneut angreift, bevor es uns gelungen ist, die Galeone zu entern, werden wir viel Glück brauchen.“
Die Nachmittagssonne webte einen flirrenden Hitzeschleier über der Bucht. Den Rudergasten, die echte Knochenarbeit leisteten, floß der Schweiß in Strömen über den Körper. Hinzu kamen die lästigen Moskitos, die in Ufernähe manch einem der Männer ein Fluchen entlockten. Dennoch wußten sie, auf was es ankam. Sie trieben die Boote mit allen zur Verfügung stehenden Kräften durch das kabbelige Wasser.
Marc Corbett, der die Galeone scharf beobachtete, entging die plötzliche Wuhling an Bord nicht, als sich die Boote schon ziemlich dicht an sie herangeschoben hatten.
„Die Dons scheinen uns bemerkt zu haben“, sagte er zu Sir Edward. Über sein braungebranntes Gesicht huschte ein spöttisches Grinsen. Im stillen hatte er sich längst über die Schlafmützigkeit der Spanier gewundert.
„Schade“, sagte Sir Edward. „Ich dachte schon, sie merken es erst, nachdem wir sie ins Wasser geworfen haben.“ Auch auf dem Gesicht des sonst so ernsten Mannes lag ein Lächeln.
„Wir müssen von jetzt an mit ihrer Gegenwehr rechnen“, fuhr Marc Corbett fort. Danach gab er den Befehl an die Scharfschützen, bei der ersten Reaktion der Spanier das Feuer zu eröffnen. Mit dem Trupp, der an Land geblieben war und sich je zur Hälfte auf die West- und Ostseite der Bucht verteilt hatte, war vereinbart worden, daß beim ersten Schuß, der fiel, mit dem Deckungsfeuer begonnen werden sollte.
„Mit ihren Kanonen können die Dons jetzt schon nichts mehr anfangen“, sagte Marc Corbett triumphierend. „Wir liegen bereits unterhalb ihres Schußwinkels, sie können höchstens noch über unsere Köpfe schießen …“
Mitten in seine Worte hinein blitzten auf der Galeone die ersten Musketenschüsse auf. Für die Engländer war das das Zeichen, den beabsichtigten Enterkampf einzuleiten.
„Feuer!“ brüllte Marc Corbett.
Gleich darauf krachten auch die Musketen und Tromblons der eigenen Scharfschützen. Wie das der Erste Offizier der früheren „Orion“ mit seinen Mannen abgesprochen hatte, feuerten nicht alle auf einmal, sondern stufenweise – getrennt nach den einzelnen Jollen. Während die einen schossen, waren die anderen schon wieder dabei, ihre Musketen nachzuladen.
Auch am West- und Ostufer der Bucht krachten plötzlich die Musketen. Die Spanier befanden sich plötzlich in einem Kugelhagel, der von drei Seiten auf sie einprasselte.
Mitten in das Getöse hinein brüllte plötzlich eine Kanone an der Backbordseite der Galeone auf. Eine Feuerzunge stach aus dem Rohr und trieb die schwere Eisenkugel fauchend über die Köpfe der Engländer weg. Sie schlug viele Yards hinter ihnen ins Wasser der Bucht.
Offenbar hatten die Dons die Einsatzmöglichkeiten der Geschütze überschätzt. Die Wirkungslosigkeit der Kugel schien sie jetzt davon überzeugt zu haben, daß auf die kurze Distanz mit den Kanonen nichts mehr auszurichten war. Sie schwiegen deshalb, dafür aber begannen zwei Drehbassen zu wummern, die schwenkbar auf das Schanzkleid montiert waren und eine weit größere Gefahr darstellten.
Weder Marc Corbett noch Sir Edward oder Arthur Gretton konnten verhindern, daß einige Männer getroffen wurden. Zwei sanken tot, drei andere verletzt von den Duchten.
Die Scharfschützen nahmen die Seesoldaten an den Drehbassen sofort verstärkt unter Feuer, um sie in Deckung zu zwingen. Dabei trafen sie zwei mit ihren Musketenkugeln.
Niemand konnte die anrückenden Engländer aufhalten. Noch bevor die Spanier weiteres Unheil anrichten konnten, hatten die Engländer die Kriegsgaleone erreicht. Den Dons war nicht einmal die Zeit geblieben, die Anker zu lichten. Als sie die Angreifer gesichtet hatten, mußten sie sich zunächst auf die Gefechtsbereitschaft konzentrieren, aber nicht einmal dazu hatte die Zeit ausgereicht.
Jetzt kam ein neuer Umstand hinzu, der ebenfalls nicht geeignet war, die Kampfmoral zu stärken. Die von der „Caribian Queen“ zusammengeschossene Galeone begann zu sinken.
Das Schiff war ein Stück seewärts abgetrieben und lag stark nach Steuerbord gekrängt im Wasser. Zunächst wurde das Vorschiff überflutet, nur das Heck ragte noch aus dem Wasser und bot einen gespenstischen Anblick. Wohl jeder – ob Spanier oder Engländer – hatte das Sterben eines Schiffes schon miterlebt. Trotzdem kroch allen ein kalter Schauer über den Rücken, als auch das Heck mit einem lauten Zischen und Gurgeln versank. Wenig später ragten nur noch die Mastspitzen aus dem Wasser. Planken, Taue und leere Fässer wurden an die Oberfläche getrieben.
Die Engländer rissen sich schon nach wenigen Sekunden von diesem Anblick los. Sie hatten die ankernde Galeone erreicht und mußten jetzt alles auf eine Karte setzen. Ihr weiteres Schicksal hing vom Gelingen dieser Aktion ab, darüber war sich jeder von ihnen klar.
Trotz des Widerstandes der Spanier flogen die ersten Enterhaken an der Backbordseite hoch und verkrallten sich im Holz des Schanzkleides. Die Männer hangelten in Windeseile nach oben, um sich den Weg an