„Wahrscheinlich hast du wieder einmal recht, Madam“, entgegnete er. „Vielleicht halte ich die Dinge wirklich nicht genau genug auseinander. Die Mannen, die unter dem Kommando dieser Adelsaffen fuhren, mußten wohl oder übel nach deren Musik tanzen, zumindest, was das einfache Decksvolk betrifft.“
„So sehe ich das auch, Barba“, sagte Henry Scrutton. „Und ich muß zugeben, daß mein Zorn auf meine Landsleute schon größer gewesen war als jetzt. Ich habe mich inzwischen auch daran gewöhnt, die Dinge etwas nüchterner zu betrachten.“
„Als Engländer fällt dir das wahrscheinlich leichter“, meinte Barba und setzte ein Grinsen auf. „Mein Dickschädel aber ist ein bißchen härter, und manche Dinge brauchen eben etwas länger, bis sie da durch sind.“
Siri-Tong lehnte sich gegen die Querbalustrade des Achterdecks. Die oberen Knöpfe ihrer roten Bluse hatte sie geöffnet, weil die Sonne heiß vom Himmel brannte.
„Ich glaube, daß es in dieser Angelegenheit noch einiges zu klären gibt“, fügte sie ergänzend hinzu.
„Wie meinst du das, Madam?“ fragte Barba.
„Nun, ich kann eigentlich nicht mehr so recht glauben, daß die Mannschaften und Offiziere der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ immer noch darauf versessen sind, Hasard als Gefangenen nach England zu bringen.“
Barba blickte sie verwundert an.
„Warum sollten sie das denn nicht mehr sein? Schließlich war es doch von Anfang an das Ziel dieser Burschen gewesen, den Seewolf gefangen nach England zu schaffen, und zwar nur wegen der haltlosen Vorwürfe und Anschuldigungen dieser verdammten Adelsclique, die sich zudem noch persönlich daran bereichern wollte. Hat der versuchte Überfall in der vergangenen Nacht das nicht bestätigt?“
Siri-Tong schüttelte den Kopf.
„Nicht unbedingt“, erwiderte sie. „Ich denke sogar, daß es mit diesem Überfall eine andere Bewandtnis hat, zumal bis auf den Kapitän der ‚Dragon‘ und einen Adeligen nur Kerle aus der Horde des alten Killigrew in der Jolle hockten.“
„Hm“, meinte Barba nachdenklich. „Ein bißchen merkwürdig ist das schon. Vielleicht sollte man das bei Gelegenheit einmal klären, um endlich zu erfahren, was bei den Engländern eigentlich läuft. So langsam weiß man nämlich schon nicht mehr, wie man dran ist. Was man auch tut – es kann immer verkehrt sein.“
Siri-Tongs ebenmäßiges Gesicht wirkte entschlossen.
„Wir werden das schon noch herausfinden“, sagte sie. „Trotzdem meine ich, wir sollten nicht verhindern, daß die Engländer die spanische Galeone kapern – falls ihnen das überhaupt gelingt. Vielleicht sind sie dankbar, dann ein Schiff zu haben, mit dem sie aus der Karibik verschwinden können. Gute Erinnerungen werden sie an diese Reise ohnehin nicht knüpfen. Die meisten werden froh sein, wenn sie das alles hinter sich haben.“
Barba wiegte den Kopf hin und her.
„Gegen ihr Verschwinden hätte wohl niemand etwas einzuwenden, es wäre das Vernünftigste für sie und für uns. Wenn ihnen die spanische Galeone dabei hilft – meinetwegen, meinen Segen sollen sie haben. Zum Teufel, du hast mich wieder einmal überzeugt, Madam.“
„Das hat aber ziemlich lange gedauert“, bemerkte Henry Scrutton mit einem Augenzwinkern.
„Halt du dich da gefälligst raus, du Rohrkrepierer“, brummte Barba und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Allein dein englischer Vorname macht dich schon höchst verdächtig, den Kerlen in die Hand zu arbeiten. Großer Gott, wie kann man nur Henry heißen. Da fehlt nur noch der Sir, und wir hätten es schon wieder mit einem Sir Henry zu tun. Kann man das noch aushalten, Madam?“
Siri-Tongs Mandelaugen blitzten belustigt auf.
„Ich denke schon. Solange unser Sir Henry nicht damit anfängt, ständig daneben zu schießen, nehmen wir sogar diesen Vornamen in Kauf, oder?“
„Schon gut, schon gut.“ Barba seufzte. „Ihr wißt ja, daß ich hart im Nehmen bin.“
Henry Scrutton und Barba enterten zur Kuhl ab. Es gab noch eine Menge für sie zu tun, zumal sie wußten, daß die „Caribian Queen“ zunächst nur nach Norden ablief, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten und dann notfalls erneut einzugreifen.
3.
Bei den Spaniern herrschte das reine Chaos.
Die seewärts treibende Galeone lief voll Wasser und würde in kurzer Zeit sinken. Durch den erneuten Angriff des Zweideckers hatte es Tote und Verletzte gegeben. Selbst Don Gregorio de la Cuesta, der es samt seinen Offizieren noch geschafft hatte, auf die andere Galeone überzuwechseln, sah in mancher Hinsicht aus wie ein gerupftes Huhn.
Sein Uniformrock war durch umherfliegende Holztrümmer am linken Ärmel aufgerissen worden. Über seine Stirn zog sich eine blutige Schramme, der er jedoch kaum Beachtung schenkte. Den furchterregendsten Anblick bot der Zweite Offizier, dessen feistes Gesicht von Ruß und Pulver geschwärzt war.
Über die Decks der inselseits ankernden Galeone dröhnten laute Flüche. Dem davonsegelnden Zweidecker wurden wilde Drohungen und Verwünschungen nachgebrüllt. Manche Männer, die dem Tod nur um Haaresbreite entgangen waren, kniffen stumm die Lippen zusammen und schickten ein stilles Stoßgebet zum Himmel.
Ihre bleichen Gesichter wurden immer noch von der Angst geprägt, die sie durchgestanden hatten. Wußte der Himmel, was als Nächstes geschah. Die meisten waren davon überzeugt, daß der kampfstarke Zweidecker abermals wenden würde, um auch noch die eine verbliebene Galeone zu versenken.
Don Gregorio de la Cuesta war außer sich vor Wut.
„Die Bastarde haben ein regelrechtes Zielschießen auf uns veranstaltet!“ stieß er hervor. „Es sollte mich nicht wundern, wenn das üble Piratenweib, das den Zweidecker befehligt, auch noch versuchen würde, uns auszuplündern. Irgend etwas muß sie mit ihren Angriffen bezwecken.“
„Vielleicht steht sie mit den Engländern drüben auf der Insel im Bunde“, sagte der Zweite und wischte sich über sein kohlrabenschwarzes Gesicht.
„Unsinn!“ erwiderte Don Gregorio. „Die beiden Schiffe der Engländer wurden ebenfalls versenkt. Wahrscheinlich hatte auch da der Zweidecker die Hände im Spiel. Fast drängt sich der Eindruck auf, daß die Piraten Schätze auf dieser gottlosen Insel versteckt haben und deshalb jeden vertreiben wollen, der sich ihr nähert.“
„Diese Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen“, bemerkte der Kapitän der inselseits ankernden Galeone mit blassem Gesicht. „Die Frau auf dem Achterdeck des Piratenschiffes muß schon ein Teufelsweib sein.“
„Wem sagen Sie das!“ stieß Don Gregorio wütend hervor. „Es mag zwar ungewöhnlich sein, daß ein Schiff von einer Frau kommandiert wird, aber damit wird dieser Zweidecker nicht minder gefährlich für uns. Wenn man uns auch noch diese Galeone abschießt, die ohnehin beschädigt ist, werden wir selber zu dieser verdammten Insel hinüberschwimmen müssen. Nur fragt sich dann, ob uns die Engländer überhaupt an Land gehen lassen. Wir stecken in einer verteufelten Situation, Señores.“
Daran hegte niemand einen Zweifel, und alle Offiziere waren sich darüber im klaren, daß sie im Falle eines erneuten Angriffs mit dem ihnen verbliebenen Schiff alles auf eine Karte setzen mußten.
Der Kapitän der Galeone brüllte nach Absprache mit de la Cuesta den Befehl zum Ankerhieven über die Decks. Das Schiff mußte schleunigst Abstand zu der sinkenden Galeone gewinnen und manövrierfähig werden. Gleichzeitig wurde die totale Gefechtsbereitschaft angeordnet.
Doch die Señores auf dem Achterdeck sollten bei ihren Vorbereitungen empfindlich gestört werden, und zwar von ganz anderer Seite, als sie erwartet hatten.
Der Kapitän des Schiffes war es, der plötzlich mit ausgestrecktem Arm zur Insel hinüberdeutete.
„Verdammt!“