„Ob sie uns das abnehmen?“ fragte Thomas Lionel.
„Laß das nicht deine Sorge sein“, entgegnete einer der Kerle. „Und halte besser weiterhin die Klappe. Die Dons hören uns sonst noch und kapieren, daß wir Engländer sind.“
„Sie kommen“, sagte O’Leary gedämpft.
Er hatte die Augen zusammengekniffen und verfolgte, wie von den beiden Galeonen, die jetzt ohne Fahrt in den Fluten lagen, Boote abgefiert wurden. Männer enterten an den Jakobsleitern ab, in erster Linie Seesoldaten, wie O’Leary und seine Kerle an den Helmen und Brustpanzern erkannten.
„Das Begrüßungskomitee“, zischte Simon Llewellyn. „Hölle, wie wäre es, wenn wir die aus den Booten hauen würden?“
„Wir haben kein Schießpulver“, murmelte der Kerl neben ihm auf der Ducht.
„Brauchen wir nicht.“
„Die Kanonen sind auch auf uns gerichtet, nicht nur die Drehbassen“, raunte O’Leary. „Wenn wir einen blitzschnellen Überfall auf diese Hunde riskieren, eröffnen sie von den Schiffen aus garantiert das Feuer auf uns.“
„Warum nehmen wir die Burschen nicht als Geiseln?“ fragte einer der Kerle leise. „Wir hätten dann auch ihre Waffen.“
„Es sind zu viele“, flüsterte O’Leary. „Gegen die haben wir kaum eine Chance. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, der Stewart unterlaufen ist. Wir dürfen uns nicht überschätzen. Vorsicht ist geboten.“
Er verstummte jetzt. Die voll besetzten Jollen näherten sich unter zügigem Riemenschlag. Einige der Seesoldaten hatten sich von den Duchten erhoben und richteten ihre Musketen unmißverständlich auf die Crew der „Lady Anne“. Es war offensichtlich: Die Spanier trauten ihnen nicht und ließen sich nicht auf das geringste Risiko ein.
Wie sahen sie denn auch aus, diese Engländer! Schmutzig und abgerissen waren sie, finster und verbiestert, und Thomas Lionels Kopfverband wirkte auch nicht gerade vertrauenerweckend. Alles in allem sah man ihnen an, daß sie eine Meute von Höllenbraten und Lumpenhunden waren. Kein Mensch der Welt hätte sie für fromme Seepilger oder gute Christenmenschen gehalten.
„He, ihr da!“ schrie einer der Spanier. Seiner Montur nach mußte er ein Schiffsoffizier sein, wie O’Leary richtig erkannte. Wenig später sollte er erfahren, daß es sich um den Ersten Offizier des Capitáns Don Gregorio de la Cuesta handelte. „Welches Boot?“ rief er.
O’Leary zuckte nur mit den Schultern, die anderen schüttelten die Köpfe. Die Killigrew-Brüder hatten die Münder halb geöffnet und blickten dümmlich drein.
„Seid ihr Spanier?“ rief der Erste Offizier.
O’Leary grinste und beschrieb eine Gebärde der Hilflosigkeit.
„Franzosen? Engländer?“
Wie sollte ein Mann, der des Spanischen nicht mächtig war, auch nur ein Wort verstehen? O’Leary gestikulierte, seine Crew schaute drein, als sei die ganze Welt ein riesiges Fragezeichen.
„Die verstehen nichts“, sagte der Erste Offizier. „Oder sie tun nur so. Aber das werden wir noch ergründen.“ Er ließ wieder anpullen und steuerte die Jolle an die Backbordseite des englischen Bootes. Von hier aus gab er den Kerlen durch Zeichen zu verstehen, daß sie vor ihm her zu den Galeonen pullen sollten.
Das taten sie nach einigem Hin und Her auch: O’Leary hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er mußte sich fügen. Was blieb ihm anderes übrig? Er gab seinen Kerlen ein Zeichen, und sie bewegten die Jolle auf die Kriegsgaleonen zu. Kurz darauf gingen sie längsseits und legten an. Dann mußten sie an Bord der Galeone des Capitáns Gregorio de la Cuesta aufentern.
Sie stellten sich weiterhin taub, aber auf die Dauer war es keine Taktik, die sie aufrechterhalten konnten. O’Leary wußte es bereits jetzt, aber er nutzte jede Chance, um Zeit herauszuschinden. Mit abgespreizten Beinen stand er auf dem Hauptdeck der Galeone, umringt von schwerbewaffneten Seesoldaten. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, was weiter geschah.
Don Gregorio de la Cuesta stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und hatte die Hände aufgestützt.
„Sind sie das alle?“ fragte er seinen Ersten Offizier.
„Ja, Señor. Sechzehn Mann.“
„Wer ist ihr Kapitän?“
„Ich weiß nicht, ob sie einen Kapitän haben. Aber der Wortführer scheint der Mann dort zu sein.“ Der Erste deutete auf O’Leary.
De la Cuesta betrachtete den grobschlächtigen Kerl. Er traute ihm auf Anhieb nicht, beschloß aber, sich an die Regeln zu halten.
„Treten Sie näher“, sagte er zu O’Leary.
Dieser grinste und legte den Kopf ein wenig schief. Er spielte seine Rolle gut. Zwar begriff er die Sprache nicht, aber es war natürlich nicht mißzuverstehen, was der Kapitän von ihm verlangte.
De la Cuesta winkte ihm mit der Hand zu. Jetzt tat O’Leary zwei Schritte und stand dicht vor der Querwand des Achterkastells. Den Kopf immer noch etwas schief gelegt, schaute er zu dem Kapitän auf.
Thomas Lionel konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Simon Llewellyn rammte ihm zwar sofort den rechten Ellenbogen in die Seite, doch die Spanier hatten es natürlich gehört. Aus dem Hintergrund löste sich die Gestalt eines bulligen Mannes, er trat auf sie zu und löste etwas von seinem breiten Ledergürtel, das sie nur zu gut kannten: die neunschwänzige Katze.
„Ich freß einen Dweil, wenn das nicht der Profos ist“, flüsterte Simon Llewellyn. „Genauso sieht er nämlich aus.“
„Halt’s Maul!“ raunte der hinter ihm stehende Mann der Crew.
Der Profos der Kriegsgaleone war ein Bulle, aber er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Kerlen vom Kaliber eines Joe Doherty. Er war groß und stark, sein nackter Oberkörper glänzte, als habe er ihn mit Öl oder Fett eingerieben. Er hatte einen schmalen Knebelbart, buschige schwarze Augenbrauen und eine Glatze, die ebenfalls wie poliert wirkte. Seine behaarte Brust zierte eine Kette, die – auf den ersten Blick – aus purem Silber zu sein schien.
Nur einmal zog er die Neunschwänzige durch die Luft, und schon zuckten die Killigrew-Brüder heftig zusammen. Er blieb neben ihnen stehen und sah sie an, ohne ein Wort zu sprechen. Thomas Lionel hätte sich am liebsten in ein winziges Mauseloch verkrochen. Simon Llewellyn schwitzte heftig und glaubte zu zerfließen.
De la Cuesta hatte unterdessen angeordnet, die Jolle der vermeintlichen Schiffbrüchigen – er war sicher, daß sie miese Schnapphähne waren – gründlich zu untersuchen. Vier Soldaten unter der Leitung eines Sargentos nahmen sich das Boot vor und stießen natürlich sofort auf das, was sich da unter der achteren Ducht befand und gleichsam magische Anziehungskraft zu haben schien.
„Wie heißen Sie, Señor?“ fragte de la Cuesta laut und deutlich den Bootsmann O’Leary.
Ja, O’Leary begriff – der Mann wollte seinen Namen wissen. Du kannst mich kreuzweise, dachte er, aber er sagte kein Wort. Wieder zuckte er nur mit den Schultern.
„Sie scheinen nicht fähig zu sein, überhaupt ein Wort herauszubringen“, sagte der Erste Offizier. „Vielleicht hat man ihnen die Zungen herausgeschnitten.“
„Eine Mannschaft von Stummen, meinen Sie?“ De la Cuesta schüttelte den Kopf. „Wissen Sie was? Das sind Engländer.“
„Soll ich Brandez rufen lassen?“ fragte der Erste mit gedämpfter Stimme.
„Ja, das erscheint mir angebracht.“
„Er hat gerade Freiwache.“
„Wir brauchen ihn jetzt“, sagte de la Cuesta. „Er wird uns weiterhelfen können.“
O’Leary gab sich redlich Mühe, so harmlos wie möglich dreinzuschauen, aber er registrierte natürlich, daß die beiden Spanier im Begriff waren, etwas