„Wie lange?“
„Über Ihr Schicksal beziehungsweise die Dauer der Gefangenschaft hat der Kronrat in Spanien zu entscheiden“, erwiderte der Erste Offizier. „Sie haben einen Aggressionsakt verübt, und zwar das Aufbringen und Versenken einer spanischen Galeone, der ‚Santa Cruz‘. Daher müssen Sie als Feinde der spanischen Krone betrachtet werden.“
Tottenham schwieg eine Weile. Es hatte keinen Zweck, darauf hinzuweisen, daß es schließlich Sir John Killigrew gewesen war, der die „Santa Cruz“ gekapert hatte. Immerhin hatte seine „Lady Anne“ zu dem Verband gehört, wenn er, Tottenham, inzwischen auch eingesehen hatte, daß es besser gewesen wäre, dieser unglückliche Verband hätte England niemals verlassen.
„Geben Sie mir ein paar Minuten Bedenkzeit“, sagte er zu den beiden wartenden Spaniern. „Ich muß mich kurz mit meinen Männern beraten.“
„Tun Sie das, Señor“, sagte der Erste Offizier. „Wir warten hier solange auf Sie.“
Tottenham kehrte ins Dickicht zu seinen Männern zurück.
„Das klingt alles nicht sehr gut“, sagte er. „Und alles wegen dieses verdammten Überfalls auf die ‚Santa Cruz‘, aus dem sich in der Folge diese unmögliche Situation, in der wir jetzt stecken, entwickelt hat. Gleichzeitig muß ich allerdings auch sagen, daß sich diese Spanier sehr korrekt verhalten.“
„Ja, Sir, in diesem Punkt pflichte ich Ihnen bei“, sagte Corbett. „Aber das heißt noch lange nicht, daß sie auch Nachsicht üben. Sie werden uns zur Zwangsarbeit verurteilen, und das ist noch das günstigste für uns. Im schlimmsten Fall werden wir erschossen oder erhängt.“
Daß sich die O’Leary-Bande an Bord der einen spanischen Galeone befand, hatten sie inzwischen durchs Spektiv erkennen können. Somit war alles klar. Die Spanier hatten die Goldkisten gefunden und daraus einige sehr klare Schlußfolgerungen gezogen. Außerdem hatten sie die Kerle mit Sicherheit zum Sprechen gebracht.
„Ja, damit müssen wir natürlich rechnen“, sagte Tottenham. „Andererseits können wir aber auch nicht gegen Schiffskanonen kämpfen.“
„Wir können es, Sir“, sagte Corbett. „Wir haben den Dschungel als Deckung. Wenn sie an Land kommen, greifen wir sie aus dem Hinterhalt an.“ Ganz kühl und sachlich erklärte er: „Ich bin für Widerstand. Wir haben genug Munition. Wir können uns halten. Aus dem Dschungelkrieg, den wir hier führen werden, ergibt sich vielleicht sogar eine Chance zum Gegenangriff und Entern der beiden Galeonen.“
„Ja, das könnte mit viel Glück klappen“, sagte Gretton. „Aber auch mit Einsatzbereitschaft. Daran mangelt es bei uns nicht, schätze ich.“
„Bestimmt nicht“, murmelten die Männer der „Orion“ und der „Dragon“. Die Kerle der „Lady Anne“ und der Adelsclique äußerten sich nicht dazu.
„Ich für meinen Teil ziehe den Kampf einer ungewissen Gefangenschaft vor“, sagte Corbett mit harter, entschlossener Miene. „Wir könnten auch auf einer Galeere landen – oder in einem Steinbruch oder in einer Silbermine. Dort geht ein Mensch innerhalb weniger Jahre elend zugrunde. Sir, ich ziehe es vor, hier zu sterben, im Kampf. Das entspricht eher der Würde eines englischen Seeoffiziers.“
„Im übrigen ist die Insel durchaus zu verteidigen“, sagte Gretton.
„Richtig. Sie können nur mit Booten landen“, fügte Corbett hinzu.
„Die müssen wir vorher durchlöchern.“
„Darauf kommt es an.“
„Damit hindern wir sie am Landen“, fuhr Gretton fort. „Wer dann noch ans Ufer schwimmt, der kann keine Schußwaffen mehr verwenden, sondern ist auf seine Blankwaffen angewiesen. Dann folgt der Dschungelkampf, wie Corbett gesagt hat.“
„Wir müssen unsere besten Schützen für das Feuer auf die Boote absetzen“, sagte Marc Corbett. „Wenn die Spanier keine Boote mehr haben, ist bereits ein Unentschieden erreicht.“
Tottenham sagte: „Da muß ich Ihnen recht geben. Auch ich lege keinen Wert darauf, mich in spanische Kriegsgefangenschaft zu begeben.“
Dem stimmten auch die übrigen Offiziere, die Seesoldaten und die Decksleute beider Schiffe zu.
„Wir haben durchaus eine gute Chance, die Spanier abzuwehren“, sagte Gretton. „Zumal durch die Crew der ‚Orion‘ und dank der Umsicht von Corbett ja tatsächlich Pulver und Schußwaffen in genügender Menge vor dem Untergang der Schiffe an Land gebracht worden sind.“
„Dann sind wir uns also einig?“ fragte Corbett.
„Natürlich“, erwiderte Tottenham. „Ich teile es jetzt dem Parlamentär mit, und der Dolmetscher wird es ihm übersetzen. Danach sollten wir uns schleunigst tiefer in Deckung zurückziehen.“
„Aus dem Kinken treten“, sagte Corbett. „Alle Mann in den Urwald – bis auf freiwillige Beobachter beziehungsweise die Scharfschützen an der unmittelbaren Front, das heißt, in jenem Bereich, den die Spanier unter Kanonenbeschuß nehmen werden.“
Er veranlaßte alles Erforderliche, während Tottenham das Gebüsch verließ und zu dem wartenden Ersten Offizier und dem Dolmetscher Brandez zurückkehrte. Er blieb ziemlich dicht vor ihnen stehen und sagte: „Leider können wir eine Übergabe nicht akzeptieren.“
„Also Kampf?“ fragte der Erste Offizier.
„Ja.“
„Sie wissen nicht, welchen Fehler Sie begehen.“
„Ich weiß genau, was ich tue“, sagte Tottenham ruhig. „Verlassen Sie sich darauf. Bestellen Sie Ihrem Capitán einen Gruß und richten Sie ihm aus, daß wir bis zum letzten Blutstropfen kämpfen.“ Er grüßte militärisch knapp, dann sah er ihnen nach, wie sie sich umdrehten und zu ihrem Boot eilten. Sie pullten durch die Bucht zu den Schiffen zurück, die wie zwei graue Schatten unter dem greller werdenden Licht der Sonne wirkten.
Ich weiß auch, was ich zu tun habe, wenn ich als einziger übrigbleibe oder euch in die Hände falle, Señores, dachte Tottenham. Dann drehte er sich auf dem Absatz im weichen, weißen Sand um und gesellte sich zu seinen Männern.
Don Gregorio de la Cuesta reagierte genauso, wie Marc Corbett von ihm erwartet hatte. Die spanischen Kriegsgaleonen begannen zu manövrieren und legten sich in die Einfahrt der Bucht, wobei die Mündungen ihrer Kanonen durch die offenen Stückpforten drohend auf das Ufer gerichtet waren. Rufe waren zu vernehmen, gebrüllte Befehle, die bis zur Insel schallten.
Corbett, Gretton und die besten Männer der „Orion“ und „Dragon“ lagen zu diesem Zeitpunkt längst in ihren Stellungen, die sie sich als die strategisch besten ausgewählt hatten.
„Jetzt geht es los“, sagte Corbett zu Bush, dem Decksältesten der „Orion“, der links neben ihm platt auf dem Bauch lag. „Sie eröffnen ein hübsches Breitseitenfeuer auf die Hütten.“
„Der Teufel soll sie holen.“
„Es tut mir leid um die Hütten, Mister Bush.“
„Ach, mir eigentlich nur um die Arbeit, die wir darauf verwendet haben“, brummte Bush, dann spähte er über den Lauf seiner Muskete hinweg zu den Galeonen. Kommt bloß her, ihr Hunde, dachte er, dann werdet ihr schon sehen, was ihr davon habt.
In diesem Moment begannen die Kartuschenladungen in den Rohren der Geschütze zu explodieren, ein heißer Gluthauch, begleitet von Rauch, schoß aus den Mündungen. Schwerer Donner grollte, wie ein Eisengewitter rasten die Siebzehnpfünder-Kugeln heran. Zwei volle Breitseiten – sie hagelten in die gesamte Strandregion und zerhackten als erstes die Hütten, die wie morsches Holz auseinanderbrachen. Trümmerteile wirbelten durch die Luft. Sandfontänen stoben hoch. Es dröhnte und prasselte, und eine fette schwarze Rauchwolke wälzte sich von den Schiffen zur offenen See davon.
Von den Hütten blieb nicht mehr viel übrig. Nur ein paar Balkenreste ragten noch wie anklagend aus dem Sand