Es war nicht Sir Edward, der jetzt als erster vor Stewart hintrat. In diesem einen Punkt hatte er sich verrechnet, und auch sonst lag er falsch. Die kalte Dusche begann, auf ihn niederzurauschen.
Vor den Hütten scharten sich rasch die Männer zusammen. Stewart hob den Kopf und blickte ihnen hochmütig entgegen. Er suchte Tottenham, konnte ihn aber nirgends entdecken.
Das macht nichts, dachte er, sie müssen ihn rufen. Es ist ihre Pflicht, und ihre Pflichten dürfen sie nicht vernachlässigen, schon gar nicht bei einem Mann wie Tottenham, der sich ständig auf die Dienstvorschriften beruft.
Noch immer befand sich Charles Stewart in dem Irrwahn, als Kapitän der „Dragon“ respektiert zu werden, beziehungsweise, herumkommandieren zu können.
Marc Corbett, der Erste Offizier der „Orion“, und Arthur Gretton, der Erste der „Dragon“, traten ihm entgegen. Stewart blieb vor ihnen stehen und warf einen prüfenden Blick auf die See. Die Jolle war nicht mehr zu sehen, sie mußte bereits hinter der Kimm verschwunden sein.
„Stewart“, sagte Corbett. „Was wollen Sie hier?“
„Das habe ich ihn auch gefragt“, sagte Ross.
„Ich will mit Kapitän Tottenham sprechen“, entgegnete Stewart gereizt. „Und ich verlange die sofortige Verfolgung meiner Jolle.“
„Ihrer Jolle?“ wiederholte Corbett. „Was ist denn geschehen? Wir haben sie gesichtet und auch Gebrüll gehört, wußten aber nicht, um was es sich handelte.“
„Man hat mich über Bord gestoßen“, erklärte Stewart. „Weil ich verlangt habe, die Insel wieder anzulaufen. Diese Insel. Verstehen Sie, was ich meine?“
„Nein“, erwiderte Corbett.
„Das müssen Sie uns genauer erklären, Mister Stewart“, sagte Gretton aufreizend langsam und unter besonderer Betonung des Wortes „Mister“.
4.
Stewart musterte Gretton aus schmalen, haßsprühenden Augen. Er überlegte sich, ob er ihn wegen der Anrede zurechtweisen sollte, verzichtete dann aber darauf. Er konnte sich jetzt nicht mit Fragen des Protokolls und der allgemeinen Formen aufhalten. Vordringlich war das Unternehmen, das er sich in den Kopf gesetzt hatte und unbedingt durchführen wollte.
„Das ist so“, sagte er. „Ich habe den Entschluß gefaßt, wieder zur Insel zurückzukehren, weil ich gestern die beiden Schiffe des Piraten Killigrew entdeckt habe.“
„Wo?“ fragte Corbett.
„Sie ankern in einer Bucht der Pensacola Cays etwa vierzig Meilen südöstlich dieser Insel“, erwiderte Stewart. „Letzte Nacht haben wir einen Angriff gewagt, und zwar auf beide Schiffe, aber der ist fehlgeschlagen.“ Er schilderte in knappen Zügen, was sich zugetragen hatte.
„Verrückt, das Ganze“, sagte Gretton. „So ganz ohne Pulver und Kugeln. Kaum zu fassen.“
„Den Angriff habe ich nur unternommen, um die beiden Schiffe für die Kameraden von der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ zu erobern“, sagte Stewart. Er blickte reihum in die Gesichter der Männer und versuchte, bieder dreinzuschauen. Aber ihre Mienen blieben verschlossen. Sie trauten ihm nicht. Bei ihnen hatte er verspielt. Trotzdem versuchte er, sich wieder durchzusetzen. Dazu gehörte wirklich Diplomatie.
„Wenn wir jetzt mit den Jollen – auch mit meiner, die dieser Schurke O’Leary mit seinem Gesindel entführt hat – den Angriff auf die beiden Schiffe wiederholen, dann haben wir natürlich eine sehr gute Aussicht, sie zu kapern“, fuhr er hastig fort. „Ist das nicht ein Angebot?“
„Reiner Wahnsinn“, sagte Gretton.
„Aber Sie meinen es gut mit uns, Stewart, nicht wahr?“ sagte Corbett in sarkastischem Tonfall.
„Ja“, erwiderte Stewart. „Damit wir nicht mehr schiffbrüchig sind. Außerdem erfüllen wir damit den Auftrag Ihrer Majestät, den Verräter und Betrüger Philip Hasard Killigrew gefangenzunehmen.“
„Ja, wir schlagen also zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagte der Zweite Offizier der „Orion“.
„Und darüber sollten wir eigentlich froh sein“, sagte Bush, der Decksälteste der „Orion“. „He, warum freut sich denn keiner? Seid ihr etwa schwerhörig?“
„Aber zunächst muß meine Jolle verfolgt und aufgebracht werden“, sagte Stewart. „Das ist jetzt das allerwichtigste.“
Corbett erwiderte kalt: „Also gut. Wenn Sie Ihre Jolle zurückhaben wollen, können Sie ja hinter ihr herschwimmen. Was die anderen Jollen betrifft, so denke ich gar nicht daran, sie in einem leichtfertigen Angriff auf zwei ungewöhnlich kampfstarke Schiffe aufs Spiel zu setzen, geschweige denn Männer aufzuopfern – noch dazu in einem Kampf gegen einen Mann, der wohl der persönliche Feind einer gewissen Adels-Clique ist, aber niemals ein Gegner der Krone oder Englands, wie er wiederholt mit seinen Kämpfen gegen Spanien bewiesen hat.“
„Was?“ schrie Stewart plötzlich los. „Sie stellen sich auf die Seite dieses Piraten?“
„Ich sage nur, wie die Sachlage ist.“
„Der Killigrew-Bastard ist unser aller Feind!“ brüllte ihn Stewart mit hochrotem Gesicht an. „Hören Sie doch auf, sich was anderes vorzumachen! Er hat die Spanier bekämpft, um sich ihr Gold und Silber unter den Nagel zu reißen!“
„Und er ist dafür auch von Ihrer Majestät, der Königin, mit dem Ritterschlag geehrt worden“, sagte Corbett völlig ruhig.
„Sie haben sich mit ihm verbündet!“
„Ich diene nach wie vor der Marine.“
„Pirat!“ brüllte Stewart. „Ihr seid alle Piraten! Aber ich zeige euch, wie ich mit Lumpenpack wie euch umspringe!“ Er versuchte, Ross den Säbel zu entreißen und wollte sich damit auf Corbett stürzen. Doch Ross wich aus und riß die Muskete herum. Der Schaft traf Stewarts Brust und warf ihn zurück.
Stewart verlor völlig die Beherrschung und schlug wild um sich.
„Ich bringe euch alle um!“ schrie er. „Ihr seid Galgenstricke! Drecksgesindel! Nicht besser als O’Leary und die Crew von Bastarden!“
Bush, Ross und einige andere Männer der „Orion“ fielen über ihn her.
„Du blöder Hund!“ stieß Bush wütend hervor. „Leuteschinder! Du hast wohl schon vergessen, was du uns angetan hast, wie?“
Ein paar Schläge prasselten auf Stewart ein. Er ging zu Boden, versuchte noch, sich zu wehren, hatte aber keine Chance. Zuletzt schützte er seinen Kopf mit den Händen.
„Aufhören“, sagte Corbett. „Ihr bringt ihn sonst noch um.“
„Das hätte der Kerl verdient“, sagte Ross aufgebracht.
Aber die Männer ließen von Stewart ab. Die Tracht Prügel, die er bezogen hatte, wirkte auch so schon. Er blutete aus ein paar Platzwunden und Kratzern, auf seiner Stirn begann eine Beule zu schwellen. Halb benommen lag er auf dem weißen Sand, vor lauter Schmerzen konnte er ein Stöhnen jetzt nicht mehr zurückhalten.
Damit war der Traum, noch irgendeinen seiner dunklen Pläne zu verwirklichen, für ihn aus. Er hatte sich bei diesem Karibik-Unternehmen zu viele Übeltaten geleistet. Wie durch einen Schleier erkannte er die Gestalt von Sir Edward, als er aufblickte. Dieser war nun endlich erschienen und trat auf ihn zu.
„Fesseln und unter Bewachung in eine der Hütten sperren, den Mann“, befahl er.
„Sir“,