„Señor O’Leary“, sagte der Kommandant. „Ich sehe die Masten von zwei englischen Kriegsgaleonen aus dem Wasser der Bucht aufragen. Es handelt sich also keineswegs um eine Dreimastkaravelle, und die könnte auch nicht hier liegen, wenn sie im Sturm gesunken wäre. Wollen Sie Ihre Aussage gefälligst revidieren und nunmehr die volle Wahrheit berichten?“
„Ich habe die Wahrheit gesagt“, erklärte O’Leary hartnäckig.
De la Cuesta deutete auf Thomas Lionel Killigrew. „Profos, Sie ziehen diesen Mann als ersten an der Nock der Großrah hoch und lassen ihn zappeln. Wir wollen doch mal sehen, ob die anderen sich dann endlich entschließen, die Dinge so zu erzählen, wie sie sich zugetragen haben.“
Thomas Lionel wurde kreidebleich im Gesicht und schien irgendwie Schwierigkeiten mit der Atmung zu haben. Er begann zu keuchen und zu röcheln. Es wirkte so, als würde er jeden Augenblick ohnmächtig zusammenbrechen und auf die Planken sinken.
Der Profos hatte plötzlich ein Tau in den Händen und schlug einen Knoten in das Ende, aus dem rasch eine Schlinge wurde. Er näherte sich Thomas Lionel, und der begann zu schlucken und zu würgen und Unverständliches zu stammeln.
„Ich lasse alle Gefangenen an die Rah hängen“, erklärte de la Cuesta mit scharfer, deutlicher Stimme. „Sie sterben, einer nach dem anderen, wenn sie sich nicht bequemen, auszupacken und die Wahrheit zu sagen.“
„Warum glauben Sie uns denn nicht?“ rief O’Leary. Es war der letzte verzweifelte Versuch, den Kommandanten doch noch zu täuschen.
De la Cuesta musterte ihn wieder eiskalt. „Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, O’Leary? Mir ist klar, daß zwischen den Männern an Land und Ihnen und Ihren fünfzehn Kerlen eine Verbindung besteht. Also, überlegen Sie es sich. Der Feigling dort drüben ist als erster dran, als nächster Sie!“
Das Tau wurde über die Großrah geworfen, die Schlinge baumelte bedrohlich und unheilverkündend herunter. Thomas Lionel setzte sich mit einem gurgelnden Laut auf die Kuhlgräting. Simon Llewellyn begann auch bereits zu wanken. Den anderen war jetzt ebenfalls schlecht, sehr schlecht sogar, denn sie waren davon überzeugt, daß dieser de la Cuesta ein eisenharter Mann war, der seine Befehle rigoros zur Durchführung brachte.
O’Leary beschloß zu reden – nicht, um Thomas Lionel das Leben zu retten, sondern um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Warum sollte er die „Affen“ von der englischen Marine auch decken? Was hatte er letztlich mit denen zu schaffen? Er hatte Stewart ausgebootet, genauso scham- und skrupellos würde er jetzt die anderen in die Pfanne hauen.
„Also gut“, begann er. „Wir haben alle zu einem Verband von fünf Schiffen gehört, der von England in die Karibik gesegelt ist, um den Seewolf zu jagen.“ Er berichtete alles, was er wußte, und gab de la Cuesta schließlich sogar noch den Hinweis, wo der berüchtigte „El Lobo del Mar“ zu finden wäre.
Damit lieferte er seine Landsleute in der Karibik an den gemeinsamen Feind Spanien aus, doch dieser Verrat bereitete ihm nicht die geringsten Gewissensbisse, denn schließlich rettete er dadurch die eigene Haut, und die bedeutete ihm mehr als alles andere auf der Welt.
7.
Capitán Don Gregorio de la Cuesta war ein Mann mit Erfahrung. Er war sehr methodisch veranlagt und erledigte aus diesem Grund zuerst die eine, vordringliche Sache, dann die andere. Ruhig hörte er sich an, was O’Leary zu berichten hatte, dann wandte er sich an seinen Ersten Offizier.
„Wir nehmen zunächst die Engländer auf der Insel aufs Korn“, sagte er. „Ich hoffe für sie, daß sie sich ergeben.“
„Was geschieht danach mit ihnen?“ fragte der Erste.
„Sie werden – in bewährter Manier – ihr weiteres Leben in einem der spanischen Bergwerke verbringen.“
„Was tun wir, wenn sie nicht kapitulieren?“
„Wir eröffnen das Feuer, das ist doch logisch“, entgegnete de la Cuesta. „Sie werden noch heute ihr Leben auf diesem Eiland beenden. Anschließend widmen wir uns dem Seewolf.“
„Ist das der Mann, der seinerzeit auch in Fort St. Augustine war?“
„Ja.“
„Ein Teufelskerl, nicht wahr?“
„Soll das heißen, daß Sie Sympathien für ihn hegen?“ fragte de la Cuesta streng.
„Natürlich nicht, Señor Comandante.“
„Nach Aussage von O’Leary soll der Mann ziemlich stark verletzt sein.“
„Wäre das nicht eine gute Chance für uns, ihn zu stellen und zur Strecke zu bringen?“
„Allerdings“, sagte de la Cuesta. „Wir müssen sie entsprechend nutzen. Beeilen wir uns also. Wir brauchen einen Parlamentär.“
„Ich melde mich freiwillig für diese Aufgabe, Señor Comandante.“
„Sehr gut. Nehmen Sie Brandez mit.“
„Als Dolmetscher, jawohl, Señor“, sagte der Erste Offizier.
„Zwei Seeleute werden sie als Rudergasten begleiten“, fuhr de la Cuesta fort. „Hören Sie jetzt genau zu. Ich will, daß die Verhandlung kurz und mit aller Entschlossenheit durchgeführt wird. Wir geben den Engländern eine Gelegenheit zur Rettung und richten uns nach den Geboten der Fairneß, wie sie es nennen.“ Er sprach nur noch wenige Worte, dann entließ er den Ersten mit einem knappen Kopfnicken.
Kurze Zeit darauf wurde der Erste Offizier als Parlamentär von zwei Decksleuten in die Bucht gepullt. Ihm gegenüber saß Brandez auf der Ducht, blickte immer wieder über die Schulter zum Ufer und bereitete sich innerlich auf alles vor. Was geschah, wenn die Engländer die Gesetze der Neutralität mißachteten und den Ersten, die beiden Bootsgasten und ihn als Geiseln nahmen?
Dann hatten sie ein Faustpfand, mit dem sie de la Cuesta erpressen konnten. Freies Geleit würden sie fordern. Wie aber verhielt sich der Kommandant in diesem Fall? Ging er auf das Verlangen der Erpresser ein, oder opferte er seine vier Männer – im Interesse der Sache oder weil der Zweck die Mittel heiligte?
Alles das ging Brandez durch den Kopf, während sich die Jolle in die Bucht der Insel schob und an den aus dem Wasser aufragenden Masten der gesunkenen Galeonen vorbeiglitt. Eine leichte Brandung erfaßte das Boot, hob es ein wenig hoch und ließ es sanft auf dem Ufersand aufsetzen.
Der Erste hatte die weiße Flagge auseinandergerollt und schwenkte sie mit der rechten Hand hin und her. Als sich nichts regte, stieg er aus dem Boot auf den Strand und bewegte sich ein paar Schritte auf das dichte, verfilzt und undurchdringlich wirkende Gestrüpp zu.
„Sagen Sie Ihnen, daß wir Sie zur Übergabe auffordern, Brandez“, sagte der Erste.
Brandez rief: „Wir wissen, daß Sie sich im Urwald versteckt halten! Ergeben Sie sich! Dieses Angebot unterbreiten wir Ihnen nur einmal, dann eröffnen wir das Feuer! Wir wissen, daß Sie Engländer sind!“
Corbett wollte aus dem Dickicht treten, doch Tottenham hielt ihn am Arm zurück und verließ selbst den Schutz der Mangroven und Lianen. Er ging einige Schritte auf die beiden Spanier zu, dann blieb er stehen. Sein prüfender Blick wanderte zu den Männern im Boot. Sie schienen, soweit er erkennen konnte, unbewaffnet zu sein.
Sir Edward Tottenham sah den Ersten Offizier der spanischen Kriegsgaleone, dann den Dolmetscher an.
„Mein Name ist Tottenham“, sagte er. „Ich bin der Kapitän der ‚Orion‘ und Kommandant des Verbandes, der jetzt nicht mehr existiert. Wie sind die Bedingungen, unter denen unsere Kapitulation zu geschehen hätte?“
„Ihnen und Ihren Männern wird kein Haar gekrümmt“,