„Gold und Silber“, sagte einer von der Crew lachend. „Und Diamanten, Edelsteine, Perlen! Das wird ein Leben! In Saus und Braus!“
„Wir sehen ganz einfach zu, daß sich zu den beiden Goldkisten hier noch viele andere gesellen“, sagte O’Leary. „Für uns ist das keine Schwierigkeit, das haben wir ja wohl bewiesen. Wir dürfen nur keine Hohlköpfe wie Stewart oder Monk oder Doherty dabeihaben. Keine Fremden.“
„Und selber essen macht fett“, sagte ein Kerl mit zustimmendem Kopfnicken.
O’Leary warf wieder einen Blick auf die Karte, nachdem das Manöver vollzogen war und die Jolle hoch am Wind auf Kurs lag. Über Steuerbordbug liegend rauschte sie westwärts. Das fremde, vielverheißende Land Amerika schien schon bald zum Greifen nah zu sein.
Jetzt waren die Kerle wieder voller Hoffnung. Es wurden bereits die kühnsten Pläne geschmiedet, wie man die Spanier überfallen würde. Tollkühne Raids, denn diese Crew des Teufels schreckte vor nichts zurück.
O’Leary sagte: „Soweit mir bekannt ist, haben die Spanier eine feste Segelroute für ihre nach Spanien zurückkehrenden Schatzschiffe.“
„Solche Schiffe wie die ‚Santa Cruz‘“, sagte Thomas Lionel.
„Solche“, sagte O’Leary, warf ihm dabei aber einen finsteren Blick zu. „Also, die Route führt von Havanna durch die Florida-Straße zu den Bermuda-Inseln und von dort aus quer über den Atlantik und die Azoren nach Spanien.“
„Da kann man ganze Konvois aufbringen“, sagte einer der Kerle.
„Und in die Herde einfallen wie ein reißender Wolf“, fügte der Bootsmann grinsend hinzu. „Ja, so stelle ich mir das auch vor. Daß wir hier, in der nördlichen Florida-Straße, auf den Bastard Hasard Killigrew gestoßen sind, beweist ja auch, daß er in dieser Ecke ebenfalls herumräubert.“
„Und der räubert nur, wo es wirklich was zu holen gibt“, sagte Simon Llewellyn.
O’Leary spuckte kräftig ins Wasser und blickte dann voraus. „So ist es. Und was der kann, können wir auch. Oder hat einer von euch Angst?“
Die Kerle grinsten und lachten, und einige von ihnen ließen entsprechende Bemerkungen fallen.
„Hei, das wird ein feines Leben!“ rief einer von ihnen. „Nur noch tüchtiges Rupfen – und Weiber, Wein und Gold in rauhen Mengen!“
Simon Llewellyn hockte neben seinem Bruder und hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet.
„Bald sind wir alle steinreich“, sagte er. „Wunderbar. Irgendwo, auf einer wilden Insel, richten wir uns häuslich ein, und keiner kann uns was anhaben.“
Das war keine Utopie. Mit einer Meute wie dieser konnte man immer noch sehr viel auf die Beine stellen, wenn sie in der Zwischenzeit auch der Umstände halber um einige Männer vermindert worden war. Darauf verließ sich ein Mann wie Simon Llewellyn Killigrew. Sein Bruder Thomas Lionel dachte genauso. Sie würden Schiffe kapern und Festungen stürmen und bald die unumstrittenen Herren der Karibik sein. Der Seewolf war ohnehin erledigt – wer sollte ihnen da noch im Wege stehen?
5.
Genau sechs Tage zuvor, also am 18. August, hatte der englische Verband auf der Fahrt südwärts entlang der amerikanischen Ostküste das spanische Fort St. Augustine passiert – die erste spanische Niederlassung in Florida.
Weder Sir John Killigrew noch Kapitän Tottenham, Kapitän Stewart oder Rooke und Wavell hatten jedoch Notiz von dem Kastell oder dem Hafen genommen, zumal beide auch durch die davorliegende Insel Anastasia verdeckt waren. So waren sie völlig unbekümmert weitergesegelt: die „Lady Anne“, die „Orion“, die „Dragon“, die „Centurion“ und die „Eagle“.
Etwas später fand der Überfall auf die spanische Galeone „Santa Cruz“ statt, und diese Begebenheit zerriß den Verband. George Rooke und James Wavell, die Kapitäne der „Centurion“ und der „Eagle“, waren über Sir Johns Alleingang empört und sonderten sich ab, um unverzüglich zurück nach England zu segeln.
Die „Lady Anne“ wurde auf der Insel der Grand Cays vom Seewolf aufgebracht, Jean Ribault überführte sie samt ihrer Schatzladung zur Schlangen-Insel. Siri-Tong versenkte mit der „Caribian Queen“ die Kriegsgaleone „Orion“ und „Dragon“. Damit bestand der einst so stolze Verband nicht mehr, und das Unternehmen war gescheitert.
Dennoch war es gelungen, den „Bastard“ Philip Hasard Killigrew „zur Strecke zu bringen“, und darüber freute sich besonders diebisch Sir John Killigrew, der sich in der Vorpiek der „Isabella“ grinsend die Hände rieb.
Die Spanier von Fort St. Augustine hatten von diesen Geschehnissen nicht die geringste Ahnung. Aber die fünf Schiffe – vier Kriegsgaleonen und Sir Johns Dreimastkaravelle – waren von den Ausguckposten auf dem Wehrturm des Kastells natürlich gesichtet und auch als englischer Verband erkannt worden.
Als die Schiffe weitersegelten und schließlich ganz verschwanden, atmeten alle auf, besonders der Festungskommandant. Es hatte schon einige Überfälle auf St. Augustine gegeben. Bei einem solcher Raids war ein gewisser „El Lobo del Mar“ als lachender Dritter aufgetaucht und hatte die in der Festung lagernden Schätze mitgehen lassen. Das war der tollkühnste Handstreich gewesen, den es hier je gegeben hatte.
Der derzeitige Kommandant war erst seit ein paar Monaten in seinem Amt, aber man hatte ihm haarklein erzählt, wie es seinerzeit zugegangen war. Immer, wenn er daran dachte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.
Das Kastell war teilweise neu aufgebaut worden. Neue Kanonen standen auf den Wehrgängen, bereit, alles in Fetzen zu schießen, was sich in kriegerischer Absicht dem Hafen näherte. St. Augustine lag isoliert und war ein vorgeschobener Posten, der letzte Hafen für die Konvois, die die Karibik mit dem Ziel Spanien verließen, und der erste Zufluchtsort für Schiffe aus der Alten Welt, die sich vor Stürmen in Sicherheit bringen mußten oder Kranke oder Verletzte an Bord hatten.
Es war kein schöner Platz, dieses St. Augustine, denn es war von tückischen Sümpfen umgeben, die Giftschwaden verbreiteten und den Tod brachten. Das Sumpf- und Schüttelfieber hatte schon viele Soldaten getroffen, die hier ihren Dienst taten, und mancher hatte die Festung nur mit den Füßen voraus wieder verlassen.
Man konnte sich auch anstecken, wenn Kranke von den atlantiküberquerenden Galeonen hier abgeladen wurden. Das ganze Klima war ungesund. Hinzu kam die ständige Furcht vor Überfällen durch Piraten oder Indianer.
Nun, die Indianer waren in der letzten Zeit ruhig geworden. Die Timucuas, ein Stamm der von Ponce de Léon entdeckten Halbinsel, waren ohnehin friedlich. Die Seminolen schienen derzeit kein Interesse mehr an St. Augustine zu haben, sie hatten sich tief in die Sümpfe zurückgezogen. Das war gut so, befand der Festungskommandant, aber was blieb, war die Angst vor den Piraten, die völlig überraschend auftauchen konnten.
Engländer galten natürlich auch als Piraten, auch wenn ihre Schiffe zur Marine gehörten. England, dieses Armenhaus Europas, hatte sowieso keine richtige, sondern nur eine sogenannte Marine, wie die Spanier und auch die Portugiesen hochnäsig behaupteten. Daß diese „erbarmungswürdige Ansammlung von Wracks“ ihrer glorreichen Armada 1588 die Niederlage des Jahrhunderts beigebracht hatte, schienen sie inzwischen fast schon wieder vergessen zu haben.
Der Verband von fünf Schiffen war auf See erschienen wie ein Spuk und wie ein solcher auch wieder verschwunden. Sollte man dennoch Bedenken haben? Ja – es bestand aller Anlaß dazu.
Ganz unverhofft konnte dieser Fünfer-Verband von offensichtlich gut armierten Schiffen zurückkehren und möglicherweise St. Augustine angreifen. Man wußte nie, was in den Köpfen dieser angelsächsischen Dickschädel vor sich ging.
Darum war man in Fort St. Augustine alarmiert.