„Ich rede, wann und wie es mir paßt.“
„Wir müssen hier wohl mal gründlich aufklaren“, sagte O’Leary. „Es gibt störende Elemente an Bord, die abgeräumt werden müssen.“ Er stieg über die Duchten und hatte Stewart jetzt fast erreicht.
In diesem Moment explodierte Stewart. Er wollte sich auf O’Leary stürzen, aber der war auf der Hut. Ehe Stewart auch nur einen Hieb landen konnte, hatte der Bootsmann eine Abwehrbewegung vollführt und rammte ihm gleichzeitig die Faust gegen die Brust. Stewart gab einen ächzenden Laut von sich und prallte zurück.
„Gib’s ihm!“ brüllten die Kerle. „Hau ihn zusammen, O’Leary!“
„Tüchtig Zunder!“ rief Simon Llewellyn.
„Mach ihn hin!“ kreischte Thomas Lionel, weil er es für angebracht hielt, ebenfalls einen Kommentar abzugeben.
Diesmal tadelte ihn niemand, und er war sehr zufrieden. Er saß da und meckerte wie ein Ziegenbock. Plötzlich aber zuckte er wie unter einem Peitschenhieb zusammen, denn seine Kopfwunde meldete sich mit stechendem Schmerz.
O’Leary schoß die Fäuste mit voller Wucht auf Stewart ab. Er war ihm voraus, Stewart schaffte es nicht mehr, eine Verteidigung aufzubauen. Ehe er sich’s versah, hatte er das Gleichgewicht verloren und kippte über das Dollbord.
„Bravo!“ schrie einer der Kerle. „Das war gut, O’Leary!“
„Raus mit dem Schwein!“ brüllte ein anderer.
Stewart landete im Wasser, die Fluten schlugen über ihm zusammen, er schien auf Tiefe zu gehen. O’Leary stand aufrecht im Heck der Jolle und rieb sich grinsend die schwieligen Hände.
„Na, wie haben wir das hingekriegt?“ fragte er grinsend.
„Das war prächtig“, sagte Simon Llewellyn. „Jetzt haben wir die Kisten.“
„Ob Stewart absäuft?“ fragte Thomas Lionel.
„Das ist uns doch egal“, erwiderte der Kerl, der zu seiner Rechten saß. „Hauptsache, er ist weg.“
Thomas Lionel warf einen Blick ins Wasser. Es war türkisfarben bis tiefblau. Einige Yards unter der Jolle war ein großer grauer Schatten zu erkennen. Stewart – oder ein Hai? Thomas Lionel kniff die Augen ein bißchen zusammen, konnte aber nichts erkennen.
Die Jolle hatte inzwischen auch die Ostspitze der Insel erreicht und stand etwas querab, ungefähr hundert Yards von ihr entfernt.
O’Leary warf nur einen kurzen Blick hinüber, dann gab er seinen Kerlen einen Wink. „Los, wir gehen sofort auf nördlicheren Kurs. Bei dem Wind aus Südwesten haben wir die Scheiß-Insel schnell hinter uns gebracht.“
„Jawohl“, sagte einer seiner Kumpane. „Die Hunde sollen alle verrecken. Auch die von der ‚Lady Anne‘.“
„Warum haben sie auch mit Steinen nach uns geworfen?“ brummte Simon Llewellyn. „So was tut man nicht.“
Er wollte zu den Kisten kriechen, aber ein Blick von O’Leary genügte, und er verharrte sofort wieder. O’Leary befaßte sich mit einer der Kisten, als sie weiter nach Norden hochgedreht hatten und sich mit zügiger Fahrt von dem Platz entfernten, an dem er Stewart ins Wasser gestoßen hatte.
„Dick verrammelt“, sagte er. „Aber das Schloß kriege ich auf.“ Er begann, mit seinem Messer an dem Schloß zu hantieren.
Die Kerle schauten ihm mit glitzernden Augen zu.
So mußte es sein, wenn man starb: Alles drehte sich, es rauschte, und man sank in unergründliche Tiefen, die keinen Grund zu haben schienen. Stewart spürte, wie ihm die Luft knapp wurde, ein heftiges Stechen setzte in seinen Lungen ein. Für kurze Zeit hatte er mit einem Ohnmachtsanfall kämpfen müssen, wegen der Hiebe, die er von O’Leary hatte einstecken müssen. Ein Faustschlag hatte seinen Bauch getroffen, und ihm war speiübel.
Die erfrischende Kühle des Wassers bewirkte aber, daß ihm doch nicht die Sinne schwanden. Er bewegte die Arme und Beine, und die Auftriebskraft nahm ihn zur Oberfläche mit. Er glaubte zwar, ertrinken zu müssen, und sein Brustkasten schien platzen zu wollen, dann aber schoß er hoch und war an der Luft.
Gierig, mit japsenden Lauten, schöpfte er frischen Atem. Die Schmerzen ließen fast augenblicklich nach. Er tauchte noch einmal kurz unter, hob den Kopf wieder über das Wasser und spuckte prustend etwas von dem salzigen Naß aus, das er in den Mund bekommen hatte.
Gerettet, dachte er und schnaufte. Haß und Wut stiegen wieder in seinem Inneren auf, doch er wußte nicht, wie er es bewerkstelligen sollte, sich an den Hundesöhnen zu rächen.
Die Jolle zog bereits ab – unerreichbar für ihn. Er konnte die Kerle noch sehen, und ihm entging auch nicht, daß O’Leary genau in diesem Moment aufschaute und ihn im Wasser entdeckte.
„He, Stewart!“ brüllte O’Leary. „Sieh zu, daß du Land gewinnst! Die Haie haben noch nicht gefrühstückt!“
„Fahr zur Hölle!“
„Danke, gleichfalls!“
Stewart hob die Faust aus dem Wasser und schüttelte sie in ohnmächtiger Wut. Es gab keine Chance mehr, er konnte dem Boot nicht nachschwimmen. Welchen Sinn hätte es auch gehabt? Die Kerle würden ihm sofort auf die Finger schlagen, wenn er versuchte, sich anzuhängen. Er war machtlos.
Anders ausgedrückt: Ausgebootet hatten sie ihn. Sie verspotteten ihn auch noch, ihr Hohngelächter drang an seine Ohren, während sich die Jolle immer weiter entfernte. Er fluchte, schluckte wieder Wasser, spuckte es aus und wandte sich der Insel zu.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als an Land zu schwimmen. Das Gold war er los, und die drohende Haigefahr saß ihm wie eine Faust im Nacken. Immer wieder sah er sich nach den grauen Mördern um, während er in hastigen Zügen zu schwimmen begann.
Noch zeigten sich keine Dreiecksflossen, aber er wußte, daß sie sehr schnell und völlig überraschend auftauchen konnten. Und die Barrakudas? Gab es die gefährlichen, räuberischen Pfeilhechte nicht auch in diesen Breiten? Mit Sicherheit. Sie traten in Schwärmen auf, und sie stiegen von unten hoch, nichts kündigte ihr Nahen an.
Stewart spürte, wie er im Wasser zu schwitzen begann. Sein Herz schlug heftig, sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Rückte das Ufer näher? Warum ging es nicht schneller? Er mußte es erreichen, bevor die Haie erschienen. Oder die Barrakudas. Und was war, wenn ihn ein Krake fing und in die Tiefe zerrte?
Gräßliche Visionen zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Er sah sich mit Haien kämpfen, mit Sharks, wie sie daheim in England genannt wurden. Ein Riesenschwarm Barrakudas fiel über ihn her und zerfetzte ihn, bis nur noch das Skelett von ihm übrig war. Gigantische Tentakel zerrten an ihm und würgten ihn, bis ihm die Augen aus dem Kopf traten.
Angst!
Nie zuvor hatte Charles Stewart, der sich selbst für einen harten Kerl hielt, sie so verspürt wie in diesem Augenblick. Am liebsten hätte er aufgeschrien. Seine Kräfte drohten ihn zu verlassen. Er konnte kaum noch schwimmen. Und das Ufer der Insel schien immer noch weit entfernt zu sein.
Das Hohngelächter, das zwar allmählich verebbte, aber noch immer in seinen Ohren nachhallte, verschlimmerte seinen Zustand. Er war ein Versager, nichts hatte geklappt. Er hatte es mit seiner eigenen Mannschaft verdorben, mit Tottenham und dessen Leuten und nun sogar mit den Galgenstricken, die sich auf seine Seite geschlagen hatte. Es gab keine Zukunft mehr für ihn – hoffnungslos. Er war erledigt.
Mit Ach und Krach erreichte er den Strand und ließ sich auf den feinen weißen Sand sinken. Wenigstens hatte ihn kein Raubfisch gepackt. Aber war das wirklich ein Vorteil, die Rettung, eine Wende des Schicksals?
Kaum. Er atmete tief durch. Die Schmerzen schwanden, er fühlte sich von neuer Energie durchströmt. Er setzte sich in den Sand, zog die Knie an den Körper und blickte der Jolle nach. Sie war jetzt nur noch ein kleiner Punkt an der Kimm.
Sollen