Seewölfe Paket 22. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397815
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wie nahm der Seewolf diesen Versuch eines Überfalles auf? Hatte er etwas davon bemerkt – oder nahm er Geräusche zur Zeit kaum noch wahr? Nicht einmal der Kutscher wußte darauf eine Antwort zu geben. Alles war dem Zufall überlassen – und dem Schicksal. Wenn Hasard großes Glück hatte, überlebte er die Folgen des Eingriffs. Hatte er Pech, starb er. Sein Leben hing an dem sprichwörtlichen seidenen Faden, der zur Zeit erschreckend dünn war und jeden Augenblick reißen konnte.

      Noch während der Fahrt von den Grand Cays zu den Pensacola Cays hatte der Kutscher am 22. August das unmögliche gewagt. Er hatte die Pistolenkugel, die in den Rücken des Seewolfes eingedrungen und dicht vor dem Herzen steckengeblieben war, mit Unterstützung von Mac Pellew und den Zwillingen herausgeholt.

      Unter der Hand war ihm Hasard also nicht gestorben, wie er befürchtet hatte. Aber über den Berg war er noch lange nicht, denn seit dem Vormittag hatte das Fieber eingesetzt, und sie hatten ihn anschnallen müssen. Zwar war er noch bewußtlos, aber er bewegte sich hin und her und war unruhig. Sein Gesicht war fahl und schweißüberströmt.

      Immer wieder legten ihm die Zwillinge nasse Leinen zur Kühlung über die Stirn. Mit Mac Pellews Hilfe hatte ihm der Kutscher einen Sud eingeflößt, der das Fieber herabmindern und die Abwehrkräfte des Körpers gegen eine Blutvergiftung mobilisieren oder stärken sollte.

      Genau das war es, was der Kutscher insgeheim befürchtete. Aus diesem Grund wachten sie alle vier bei Hasard. Die Männer auf den Decks der „Isabella“ bewegten sich auf den Zehenspitzen und verständigten sich in der Zeichensprache miteinander. Sie konnten nichts, absolut gar nichts tun – nur warten und hoffen und beten oder die Hände zu Fäusten ballen. Diese Situation ging ihnen erheblich ans Gemüt, denn sie stellte eine Geduldsprobe ersten Ranges dar, weil die Männer zur völligen Untätigkeit verdammt waren.

      Aber nach Mitternacht hatte es dann eine völlig unerwartete, nicht herbeigesehnte Abwechslung gegeben, eine Überraschung übelster Art. Plymmie, die Wolfshündin, hatte als erste etwas davon gespürt – und dann hatte Smoky von der Back aus die heransegelnde Jolle erspäht. Ein leiser Zuruf voraus zur Landzunge hatte genügt, und die dort postierten Wächter aus der Mannschaft Siri-Tongs waren alarmiert. Kurze Zeit darauf waren auch alle Arwenacks an Deck der „Isabella“ gewesen und hatten sich mit schußbereiten Musketen und Tromblons hinter das Schanzkleid gekauert. Auch auf der „Caribian Queen“ hatten sich die Männer in Deckung gehockt.

      Als die fremde Jolle auf den Zugang der Bucht zusegelte, brüllte einer der Posten auf der Landzunge: „Halt? Wer da?“

      Das Gefluche, das daraufhin in der Jolle einsetzte, war eindeutig. Außerdem schien es sich dem Klang der Stimmen nach um die Kerle der „Lady Anne“ zu handeln, also die Besatzung von Sir John Killigrew.

      Sofort eröffneten die Männer der „Isabella“ das Feuer, und sie erzielten auch Treffer. Deutlich war zu sehen, wie von der Jolle zwei Gestalten ins Wasser kippten. Daraufhin drehte die Jolle ab und ergriff die Flucht. Ein paar Schüsse pfiffen noch hinter ihr her, dann trat wieder Stille ein.

      Die Rote Korsarin hatte ein Boot abfieren lassen. Juan und Mike Kaibuk, die beiden Bootsgasten, versuchten, die beiden im Wasser der Bucht schwimmenden Toten zu bergen, doch einer war bereits untergegangen. Daß es sich um Sir Robert Monk handelte, hatte keiner von ihnen bemerkt. Der andere hingegen, ein bulliger Kerl, trieb noch in den Fluten. Ihm näherten sich Juan und Mike mit wenigen Riemenschlägen, dann beugte sich Juan aus dem Boot und drehte den mit dem Gesicht und Bauch nach unten Liegenden auf den Rücken.

      „Sieh ihn dir an“, murmelte er. „Wirkt er nicht wie ein großer, primitiver Affe?“

      „Genau das“, erwiderte Mike. „Und weißt du, um wen es sich bei dem Kerl handelt?“

      „Ich glaube, das könnte der Profos von diesem Drecksack Clifford sein. Oder täusche ich mich?“

      „Meiner Meinung nach nicht.“

      „Was machen wir mit ihm?“

      „Fragen wir Siri-Tong“, erwiderte Mike.

      Juan ließ den toten Profos – daß sein Name Joe Doherty gelautet hatte, wußten sie nicht – wieder los, die Leiche trieb ein Stück von der Jolle weg. Juan griff nach dem Riemen, sie pullten wieder an und kehrten zur „Caribian Queen“ zurück.

      Die Rote Korsarin verzog keine Miene, als sie ihre Meldung vernahm.

      „Ich verstehe“, sagte sie nur. „Also, überlassen wir den Hundesohn den Haien. Er hat es nicht anders verdient. Besser wäre gewesen, wenn die Grauen ihn bei lebendigem Leib vertilgt hätten.“

      Das klang sehr grausam, aber auch die Männer der „Isabella“ teilten ihre Ansicht, als sie hörten, um wen es sich bei dem Toten handelte.

      „Der Hund“, sagte Roger Brighton. „Ein Leuteschinder und Sadist. Gut, daß er abgekratzt ist. Wieder einer weniger von diesem Lumpengesindel.“

      Sein Bruder stand mit verkniffener, finsterer Miene bei ihm. Um sie herum hatten sich auf dem Hauptdeck die anderen geschart – Shane, Ferris, Smoky und die ganze Crew bis auf den Kutscher, Mac und die Zwillinge, die auch während der kurzen Knallerei nicht von Hasards Lager gewichen waren.

      „Eins ist sicher“, sagte Ben. „Wenn Hasard durch den Überfall gelitten hat oder es noch schlimmer kommt, segeln wir zu der Insel der Grand Cays zurück und rechnen endgültig mit den Kerlen ab. Ihr habt ja auch alle sehr genau erkannt, wer in der verdammten Jolle saß, nicht wahr?“

      „Ja“, erwiderte Big Old Shane mit grollender, nur mühsam gedämpfter Stimme. „Stewart und fünfzehn, sechzehn Kerle von der ‚Lady Anne‘. Ganz klar. Schade, daß wir sie nicht alle in die Hölle befördern konnten.“

      „Sie hätten nur ein bißchen näher ranzukommen brauchen“, sagte Dan verhalten. „Aber sie hatten nur Blankwaffen.“

      „Keine Schußwaffen“, murmelte Matt Davies.

      „Oder keine Munition dafür“, meinte Smoky.

      „Egal“, sagte Ben. „Tatsache ist, daß ihnen ihr Angriff mißlungen ist. Was haben sie sich denn eingebildet? Daß sie uns einfach überrumpeln können?“

      „So haben sie sich das wohl vorgestellt“, brummte Ferris Tucker. „Wahnsinn. Aber sie dachten Wohl, wir sind durch Hasard abgelenkt und merken nichts, wenn sie sich anpirschen und längsseits gehen.“

      „Von wegen“, sagte Stenmark mit grimmiger Miene.

      Dan schickte einen Blick zur „Caribian Queen“ hinüber. „Achtung-, da kommt Siri-Tong.“

      Die Rote Korsarin ließ sich von Juan und Mike zur „Isabella“ übersetzen und enterte an der Jakobsleiter auf. Kaum war sie bei den Arwenacks eingetroffen, fragte sie: „Wie geht es Hasard?“

      „Er hat nach wie vor hohes Fieber“, entgegnete Ben.

      „Aber irgendwann muß der Sud wirken.“

      „Das hoffen wir alle.“

      „Stewart, dieser Bastard!“ zischte sie. „Ich habe es gewußt, daß man ihm nicht trauen kann. Dieser Hund! Wenn Hasard stirbt, töte ich den Kerl eigenhändig, das schwöre ich.“

      Keiner zweifelte daran, daß sie ihre Drohung wahrmachen würde. Der Haß steckte in ihnen allen, sie warteten nur darauf, etwas unternehmen zu können. Doch vorerst waren sie zum Warten verdammt, zum Warten und Hoffen, zum stillen Fluchen und Beten.

      „In der Jolle hat auch O’Leary, der Bootsmann vom Alten, gehockt“, brummte Carberry. „Ich habe nicht so gute Augen wie Dan, aber ich habe ihn erkannt.“

      „Und die Ferkelsöhne“, sagte Dan mit wütend verzerrtem Gesicht.

      „Thomas Lionel und Simon Llewellyn. Sie waren auch dabei.“

      „Der Teufel soll sie holen“, murmelte Al Conroy.

      „Hoffentlich tut er’s“, fügte Jeff Bowie hinzu. „Das wäre mir gerade recht.“