»Schauen Sie sich das an, meine Herren! Canaletto hätte es nicht schöner malen können, nicht wahr?«
»Die Blümchengardinen hätte Canaletto weggelassen«, dachte Julius, pflichtete der Tante aber höflich bei.
Die drei Schwestern hatten sich für einen Moment zurückgezogen. Die Tante vermutete, dass sie die Koffer auspackten. Dies taten sie tatsächlich. Allerdings nur, um ihre guten Kleider für die Stadt hervorzuholen und sich gegenseitig frisch zu frisieren. Louise beteiligte sich daran eher lustlos.
Unterdessen hatten die Herren mit der Tante im Wohnzimmer Platz genommen und ließen sich einen Sherry schmecken. Die Tante wusste, was gut war!
»Da die Mädchen keine Eltern mehr haben, bei denen Sie um ihre Hände anhalten müssten, haben Sie das wohl ganz unter sich ausgemacht, nicht wahr? Im letzten Jahr wurde endlich diese dumme Vormundschaft aufgehoben, so dass die beiden Ihnen selbst sagen konnten, ob Sie ihnen recht sind oder nicht. Aber trotzdem würde ich von Ihnen gerne erfahren, wen ich als meine angeheirateten Neffen hier in meinem Haus begrüße.«
Julius räusperte sich und schaute Heinrich an. Dieser gab ihm zu verstehen, dass er ihm den Vortritt ließ, und so begann Julius zu berichten: »Mein Name ist Julius Dennhardt, ich bin 33 Jahre alt und von Beruf Jurist. Antonie und ich werden in Oederan im Erzgebirge wohnen. Dort habe ich eine Stelle als Gerichtsdirektor in Aussicht.«
»In Aussicht?«, fragte die Tante eine Spur zu schrill und ließ ihr Sherryglas, das sie eben an ihre Lippen setzen wollte, wieder sinken. Beinahe hätte sie nach ihrem Lorgnon gegriffen, wenn Julius nicht eilig nachgelegt hätte: »Es ist schon alles unter Dach und Fach, Gnädigste. Der Vertrag ist unterschrieben, ich muss nur hinfahren und anfangen.«
»Und wann soll die Hochzeit sein?«
»Im November werden wir in Meißen im Dom heiraten. Solange arbeite ich noch als Jurist in Meißen. Aber in Oederan habe ich uns schon ein Haus gekauft und mit dem Nötigsten eingerichtet. Antonie wird sicher ihre eigenen Vorstellungen haben …«
»Nun, das klingt nicht schlecht. Sie verstehen sicher, dass ich nur das Beste für die Mädchen will, vor allem, da ihre Eltern nicht mehr leben. Und was gefällt Ihnen besonders an Antonie? Die großzügige Mitgift kann es ja schwerlich sein, aber ich will sehen, was ich machen kann.«
Die Frage der Tante ließ Julius verliebt lächeln, wie es sich für einen Bräutigam gehörte.
»Ich liebe einfach alles an ihr. Sie hat einen guten, festen Charakter, ist dazu fröhlich und immer gut gelaunt. Und sie gefällt mir mit ihrem blonden Haar, den blauen Augen …«
»Ja, so ist es recht, Herr Dennhardt. Und sie passt zu Ihnen, denn Sie haben dunkles Haar und dunkle Augen. Sie werden sicher einmal hübsche Kinder haben. – Und nun zu Ihnen, Herr …«
»Burckhardt, Heinrich Burckhardt. Ich bin dreißig Jahre alt und von Beruf Apotheker und Chemiker.«
»Oh, gleich zwei Berufe!«, rief die Tante anerkennend aus. »Und wo werden Sie wohnen?«
»Ich habe eine Apotheke in Mühlberg. Wir werden im nächsten Jahr heiraten und dann nach Mühlberg ziehen.«
»Mühlberg, Mühlberg. Kommt mir irgendwie bekannt vor. War da nicht einmal eine Schlacht?«
»Sehr wohl, Gnädigste. Die Schlacht von Mühlberg, im April 1547.«
»Ha!«, rief die Tante aus und zerstach mit ihrem Zeigefinger die Luft. »Die Schlacht von Mühlberg. Ging nicht gut aus für die Protestanten, aber da hätten Sie ein Vermögen machen können! Denken Sie doch nur an die viele Medizin, die Sie den Verwundeten hätten verkaufen können.«
»Ja, so betrachtet …«, erwiderte Heinrich gedehnt. »Aber die Mühlberger sind auch so genügend krank. Ich werde meine Familie sicher ernähren können.«
»Das freut mich zu hören – ich meine … nicht, dass ich den Mühlbergern Krankheiten wünsche, Sie verstehen … «
Heinrich verstand und schwieg. Er war erleichtert, dass diese Tante nicht ganz so fabelhaft war wie Tante Malchen, die weder ihm noch Julius zutraute, die Schwestern zu ernähren, und immer wieder nachfragte, ob man denn von »sowas« überhaupt leben könne.
»Und natürlich will ich auch von Ihnen wissen, weshalb sie sich in Francisca verliebt haben.«
»Wie ihre Schwester hat sie ein fröhliches Wesen. Und sie ist klug. Ich bin sicher, dass sie mir eine große Hilfe sein wird in der Apotheke. Und ihre braunen Locken, die bei jedem Schritt ein wenig mitwippen, haben es mir gleich angetan. Wir beide tanzen sehr gerne und bei einem Tanz haben wir uns kennengelernt. Und wir verstehen uns oft ganz ohne Worte. Als wir uns zum ersten Mal begegneten, da fühlten wir uns, als würden wir uns schon lange kennen …« Er wurde ein wenig rot und schwieg verlegen. Die Tante sah es mit Freude. Zu oft hatte sie schon Bräutigame erlebt, die nur eine Mitgift suchten, um ihr durch Verschwendung ruiniertes Geschäft wiederzubeleben. Diese beiden waren offensichtlich in ihre Bräute verliebt.
»Ja, Antonie und Francisca sind beide fröhliche Wesen, die in die Welt passen«, dachte die Tante. Aber Louise? Die Sorgen der Mutter auf ihrem Totenbett waren nur allzu verständlich gewesen. Wie sollte es mit Louise weitergehen, die immer so still und in sich gekehrt war? Sie konnte nur hoffen, dass die Kleine hier in Dresden ein wenig auftaute. Sicher würde sie Geschmack finden an Bällen und feinen Kleidern. Welches junge Mädchen hatte keine Freude daran?
In diesem Moment betraten Antonie und Francisca den Raum in schicken Kleidern und passenden Hüten. Hinter den beiden lugte Louise etwas skeptisch ins Zimmer.
»Wohin wollt ihr denn?«, fragte Tante Therese mit einiger Überraschung. »Seid ihr denn nicht müde von der Reise? Außerdem ist es schon so spät.«
»Wir wollen essen gehen und dann tanzen«, sagte Antonie und drehte sich, um ihren weiten Rock zum Schwingen zu bringen. »Du musst dir keine Sorgen machen, Tantchen. Wir haben unsere starken Beschützer dabei, die auf uns aufpassen.« Sie zwinkerte ihrem Julius zu. Die beiden Bräutigame hatten sich erhoben, um sich von der Tante zu verabschieden.
»Aber bringen Sie mir die Mädchen wohlbehalten wieder nach Hause! Ach, und eh ich es vergesse: Die beiden Herren können leider nicht in meiner Wohnung übernachten. Für Sie habe ich Zimmer reserviert in einem hübschen kleinen Gasthof, direkt um die Ecke. – Und nun habt viel Freude!«
Louise seufzte. Sie war müde und wollte, sie wäre schon wieder zu Hause.
Stunden später lag sie endlich in ihrem Bett. Sie war so übermüdet, dass sie nicht einschlafen konnte. An den gleichmäßigen Atemzügen der Schwestern hörte sie, dass die beiden längst träumten – wahrscheinlich von dem Ball, der Musik und ihren Bräutigamen. Für sie selbst war das alles eine einzige Tortur gewesen: der überfüllte Saal, die laute Musik, die Menschen, die alle durcheinanderredeten, sodass sie keiner Unterhaltung folgen konnte. Die Mühe, sich ständig krampfhaft gerade zu halten, damit man nicht auf den ersten Blick ihren Buckel bemerkte …
Natürlich verstand sie sich mit ihren Schwestern und war glücklich, dass sie viele ihrer Interessen teilten. Antonie und Francisca interessierten sich auch für Literatur, hörten genau wie Louise immer gerne zu, wenn während der Hausarbeit vorgelesen wurde. Und natürlich lasen sie selbst gerne. Sie nahmen Anteil am Tagesgeschehen, hatten sich gefreut, dass die Vormundschaft endlich aufgehoben war, nur um sich im nächsten Jahr in die Vormundschaft der Ehe zu begeben. In der Zeitung lasen sie zwischen den Zeilen – wohin die Zensur nicht schaute – von Missständen in Sachsen. Sie sahen ebenso die armseligen Schatten, die in den Straßen unterwegs waren, aber das alles schien sie nicht so tief zu treffen, wie es Louise traf. Woran lag das, dass sie so viel unbeschwerter durchs Leben gingen, fragte sich Louise oft. Würde sie ebenso werden, wenn sie im Alter der Schwestern war? Aber nein. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass sie dieses Anderssein schon lange spürte, auch als die Schwestern noch wesentlich jünger gewesen waren – in einem Alter,