Ich habe Licht gebracht!. Anja Zimmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anja Zimmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783867295666
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aber was das letztlich bringen wird … Wir können nur hoffen und beten, dass alles ein gutes Ende nimmt.«

      Dies war ein frommer Wunsch, denn seit Jahrzehnten gärte es in vielen deutschen Ländern. Nachdem die Franzosen anno 1789 ihren König geköpft hatten, war die revolutionäre Welle über die Grenze geschwappt. Französische Soldaten brachten Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zuerst in den Südwesten Deutschlands, wo die Mainzer 1793 den rheinisch-deutschen Freistaat ausriefen. Es gab eine demokratische Wahl, doch das Parlament ging unter im preußischen Kugelhagel.

      Jahre später hatte Napoleon Europa fest im Griff. In Dresden wohnte König Friedrich August I. Mehr als ein Wohnen kann man seine Tätigkeit nicht nennen, denn seine Regierungstätigkeit beschränkte sich darauf, Napoleon zu huldigen. Viel zu eng knüpfte er sein eigenes Schicksal an das des Franzosen. Solange dieser glorreich war, ging es auch dem sächsischen König gut. Als die Trikolore zu sinken begann, hätte sich Friedrich August gerne bei seinen früheren deutschen Amtskollegen gemeldet, worauf diese begreiflicherweise keinen Wert legten. Nicht einmal zum Wiener Kongress, der 1815 ganz Europa neu ordnete, luden sie ihn ein. Der Fortbestand Sachsens war unsicher. Das Land musste Gebietsverluste hinnehmen und Reparationen bezahlen. Glücklicherweise räumte man dem ehemals so bedeutenden Land einen Platz im Deutschen Bund ein, der Staatenversammlung, die man auf dem Wiener Kongress ins Leben rief.

      Viele Menschen in den deutschen Ländern hatten gehofft, dass ihr Leben nun besser würde, mussten aber erkennen, dass sich Zensur, Bespitzelung, ja sogar Hunger und Elend häuslich niederließen und nicht den Eindruck machten, als wollten sie Deutschland jemals den Rücken kehren.

      König Anton von Sachsen war an sich kein schlechter Mensch. Er trug sogar den Beinamen »der Gütige« mit einer gewissen Berechtigung, denn in Einzelfällen war er bereit, seinem Volk große Zugeständnisse zu machen – wenn ihm diese Einzelfälle überhaupt zu Ohren kamen. So ließ er konsequent alles Wild in den Gegenden bejagen, aus denen sich die Bauern erfolgreich über Wildschäden beschwert hatten. Allerdings verfügten sich die Wildschweine unter dem massiven Druck der Jäger in die Nachbarschaft, um dort ungestört zu wüten. So lange, bis es auch den dortigen Bauern gelang, sich Gehör zu verschaffen.

      Oder König Anton wollte auf seinen Reisen keinerlei Geschenke annehmen und sich auch nicht feiern lassen von den Städten, durch die er kam. Vielmehr legte er den Stadtvätern nahe, das gesparte Geld in die Verbesserung von Straßen, Krankenhäuser und eine bessere Bezahlung der Handwerker zu investieren.

      Ja, für dergleichen Anekdoten sorgte der gute König Anton; allerdings fehlte ihm ein Überblick über das Staatswesen an sich. Er hatte lediglich sehr vage Vorstellungen davon, wie die einzelnen Kräfte in seinem Staat ineinandergriffen, wie der Staatsapparat aus Beamten funktionierte, woher Gelder kamen, wohin sie flossen, an welchen Stellen womöglich der Korruption die Türen offenstanden.

      All diese Dinge waren Anton nicht wichtig. Er genoss das Leben mit seiner Gemahlin Therese, die beiden widmeten sich der Kultur und waren gerne und viel auf Reisen.

      Freundlicherweise hatte Herr Detlev von Einsiedel die schwere Bürde der Regierungsgeschäfte auf sich genommen und versah seinen Dienst so gewissenhaft, dass er niemandem sonst erlaubte, ihm dreinzureden. Im Laufe der Zeit hatte er sich eine Machtfülle angeeignet, die selbst den Sonnenkönig in Staunen versetzt hätte. Er allein hatte das Recht, bei König Anton vorzusprechen; ihm allein unterstand die sächsische Polizei. Seine Bergwerke erhielten Staatsaufträge, und als Unterstützer des Pietismus und einer lutherischen Orthodoxie hielt er seine Hand über jede einzelne Pfarrstelle, die im Königreich zu besetzen war.

      Einsiedel duldete keine Lockerung der Pressegesetze, jedes kritische Wort wurde auf die Goldwaage gelegt und brachte seinem Urheber oft Festungshaft ein.

      Die Sachsen ächzten unter der »Einsiedelei«.

      Einen weiteren Tiefpunkt erreichte König Anton, als er die Feiern zum dreihundertjährigen Jubiläum der »Confessio Augustana« absagte. Am 25. Juni 1530 hatten lutherische Fürsten auf dem Reichstag zu Augsburg dem Kaiser ihr Bekenntnis vorgelegt. Zwar hatten sie die Unterschiede zwischen ihrem Glauben und der katholischen Kirche dargelegt, aber auch Gemeinsamkeiten unterstrichen, um dem Kaiser die Anerkennung ihres Bekenntnisses so leicht wie möglich zu machen. Kaiser Karl V. hatte abgelehnt und die Fürsten verließen unter Protest den Reichstag und wurden fortan Protestanten genannt.

      Seither wurde der 25. Juni in Sachsen groß gefeiert. Erst recht, als sich dieser Tag zum dreihundertsten Male jährte, bereitete man sich auf ein großes Fest vor. Wein- und Essensvorräte wurden angeschafft, Festkleider bestellt. Musik, Theaterstücke und Umzüge wurden vorbereitet. Zunächst gaben sich die Behörden dem vorfreudigen Treiben gegenüber aufgeschlossen, doch Detlev von Einsiedel blickte weiter: Er ahnte, dass dieser Festtag von den Sachsen dazu benutzt werden würde, politische Kundgebungen abzuhalten, denn schon lange bestand die Forderung nach Gewerbefreiheit, nach einem Haushaltsplan. Um jegliche Demonstrationen in dieser Richtung im Keim zu ersticken, wurde nicht einmal ein Umzug der Kinder gestattet. Außerdem bliesen die Jesuiten ihrem katholischen König ins Ohr, dass dem protestantischen Treiben Einhalt zu gebieten sei – ausgerechnet im Mutterland der Reformation.

      Zu Recht waren die Sachsen empört und trafen sich trotzdem, um den Tag feierlich zu begehen. Was hätte man auch sonst tun sollen mit all den Weinvorräten und Festkleidern? Dies sah die Polizei als einen Verstoß gegen das Versammlungsverbot und schritt ein. Dabei wurde ein junger Mann getötet. Niemand konnte die Menschen daran hindern, zu dessen Beerdigung zu gehen, bei der man sich nicht auf fromme Grabreden beschränkte, sondern die Obrigkeit und vor allem die Polizei scharf kritisierte. Das Ganze artete zu einer regelrechten politischen Versammlung aus, doch kein Polizist wagte einzuschreiten.

      Dies war nicht der einzige Vorfall, der die Menschen gegen die Polizei aufbrachte. Auch wenn die Geschehnisse in Sachsen harmlos waren im Vergleich zu Paris, drängten weise Berater König Anton von Sachsen, seinen Neffen, den überaus beliebten Prinzen Friedrich August, zum Mitregenten zu erheben. Das war die eleganteste Lösung, um die Hinrichtung eines Königs zu vermeiden. Wer konnte schon ahnen, wozu die Sachsen fähig waren, wenn sie nur fuchdch3 genug wurden! Allen Beteiligten war klar, dass damit eine Absetzung Einsiedels einhergehen musste. Der Mitregent nahm sein Amt auf, während sich Einsiedel ins Private zurückzog. Nun war der Weg frei für Reformen, die Prinz Friedrich August gemeinsam mit den Herren Lindenau, Könneritz und Falkenstein in Angriff nehmen wollte. Die Sachsen setzten all ihre Hoffnungen auf den Prinzen und seine ebenfalls jungen Berater.

      Wie beliebt ein Herrscher sein kann, erlebte Louise im späten September 1830, als Prinz Friedrich August auf seiner Rundreise durch Sachsen auch nach Meißen kam.

      Diesmal hielt Familie Otto nichts in ihrem Haus. Mit allen ihren Mitbewohnern liefen sie hinaus auf die breiten Straßen, wo die Kutsche des hübschen Prinzen vorbeikommen würde. Dicht drängten sich die Menschen an den Straßenrändern, um einen Blick auf den Mann zu erhaschen, auf den sie ihre Hoffnung setzten. Prinz Friedrich August war schon jetzt für seine Güte und Volksnähe bekannt. Was sollte erst geschehen, wenn er allein an der Macht war und seine Güte Gesetz wurde? Man traute ihm alles zu und feierte ihn wie einen Messias.

      Wie in anderen Städten auch, hatten junge Männer am Stadtrand von Meißen die Kutsche des Prinzen angehalten und die Pferde ausgespannt, um die Kutsche selbst durch die Stadt zu ziehen. Jubel brandete ihm entgegen, Hüte und Taschentücher wurden geschwenkt, Vivat! und immer wieder Vivat!, rief die Menge.

      Und Louise schaute.

      Sie schaute von einer Treppe aus, auf die sich die Familie aus der Menschenbrandung geflüchtet hatte, auf dieses Meer aus fröhlichen Gesichtern. Hoffnung sprach aus ihnen. Hoffnung auf bessere Zeiten, auf Freiheit, auf Zeitungen, die wirklich schreiben durften, was in Sachsen geschah, oder einfach nur die Hoffnung auf einen vollen Magen. Kinder wurden der Kutsche entgegengehoben, als solle der Prinz sie segnen. Dicht und immer dichter drängten sich die Menschen zu der Kutsche hin. Sie schlossen einen undurchdringlichen Kreis aus großen Hüten, feinen Kleidern, Zylindern und Sonntagsstaat.

      Nur ganz am Rand, dort, wo niemand sich mehr drängte, wohin der Glanz des Prinzen nicht mehr fiel, da hoben dürre Arme zerlumpte Kinder in die Höhe. Dann war der