Bald nach ihrer Abreise aus Dresden war Gustav schon zu schwach, um sie in Meißen zu besuchen. Ein Brief kam. Louise erkannte kaum Gustavs Handschrift, so unsicher waren die Buchstaben.
»Das Schwert des Damokles hängt über jedes Menschen Haupt, und die Glücksgöttin wendet uns oft heimtückisch gerade da den Rücken, wo wir uns ihrer Gunst am sichersten glaubten. – Aber was bedürfen wir denn auch noch zu unserem Glück? Unsere Seelen sind so innig verschwistert wie unsere Herzen, und sie werden es bleiben über Zeit und Raum hinaus. Halte an dieser Gewissheit fest, sie wird dich mit Ergebenheit tragen lassen, was über uns beschlossen ist.«9
Weinend sank sie auf ihr Bett. Ja, es war schon beschlossen. Bilder stiegen in ihr auf. Die bleichen Gesichter ihrer Mutter, ihrer Schwester, ausgemergelt, mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Sie sah Clementine vor sich, wie sie in ihrem Bett lag, vom Husten geschüttelt wurde und immer mehr Blut spuckte. Die Angst um Gustav schnürte ihr die Kehle zu, denn es war sein Gesicht, das ebenso bleich und eingefallen vor ihrem inneren Auge schwebte. Ihr war, als packe eine riesige Klaue aus Eis ihr Innerstes.
Francisca schrieb ihr einen sehr liebevollen Brief, um sie zu trösten. Selbst Antonie ließ sich zu warmherzigen Worten hinreißen, aber Louise hatte das Gefühl, als stehe zwischen Antonies Zeilen die Erleichterung, dass sich »diese Sache« nun auf diese Weise erledigte.
Tante Malchen schwieg, wofür Louise ihr dankbar war.
Dresden – Strehlen, im April 1841
Gustav hatte sich auf Anraten seines Arztes eine Sommerwohnung in Strehlen genommen; eine kleine Wohnung am Stadtrand gelegen, mit einem Garten und großen Fenstern, die die Sonne einließen.
Louise nahm sich eine Wohnung in der Nähe und war Tante Malchen wiederum dankbar, dass sie mitgekommen war, um sie bei der Pflege ihres sterbenden Bräutigams zu unterstützen. An den schönen Tagen saßen sie in Gustavs Garten, er eingehüllt in eine Wolldecke. Wenn kein Besuch da war – der Gustav mehr und mehr anstrengte – las Louise ihm mit leiser Stimme vor.
»Louise!«, flüsterte er und legte seine Hand auf ihren Arm. »Du wirst noch lange leben. Du musst leben. Du musst schreiben. Die Menschen werden dich und deine Schriften brauchen. Deine vielen Romane, die du noch schreiben wirst. Deine Gedichte und Artikel. Du musst sie alle veröffentlichen. Du bist die Stimme der armen Menschen. Sie haben keine außer dir.«
Louise konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. »Gustav, so gerne wäre ich mit dir gemeinsam ihre Stimme.«
»Ich muss fort. Ich sollte trauern, dass ich dich verlassen muss, meine Braut. Fälschlicherweise sind es immer die Lebenden, die so sehr trauern. Weine nicht um mich. Mir wird es bald gut gehen. Freue du dich für mich, dass ich bald erlöst bin, und lass mich trauern, dass ich dich verlassen muss.«
Louise wollte ihn umarmen, doch Gustav verwehrte es ihr, denn zu groß war die Gefahr, dass er ihr mit seiner liebenden Umarmung auch den Tod brachte.
Am ersten Mai 1841 wurde Gustav auf dem Johannisfriedhof in Dresden beerdigt. Louise war bis zum letzten Atemzug bei ihm gewesen, hatte ihm eine ihrer Locken auf die Brust gelegt, bevor der Sargdeckel über ihm geschlossen wurde. Nun konnte sie nicht mehr. Während Gustavs Sarg in die Erde gesenkt wurde, kniete sie betend in ihrem Zimmer. Für sie gab es nichts mehr als den Gedanken an ihn.
Ihre Schwestern und Freundinnen wollten sie in dieser schweren Zeit auffangen, ihr beistehen, aber Louise wollte nichts und niemanden sehen und hören.
Das erste Gedicht, das sie veröffentlichte, stand auf seinem Grabstein:
In meinem Herzen steht Dein Bild,
Dein Name klingt durch meine Lieder!
Mit Bild und Tönen nah ich mild
Trotz Leid und Grab zu Dir mich wieder:
Denn zweier Seelen reine Harmonie
Verstimmt des Todes schriller Misston nie!
Deine Louise
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