Ich öffnete den Deckel und betastete die Lebensmittel. Sie waren noch nicht einmal angetaut.
Gedankenverloren steckte ich den Stecker wieder in die Dose und ging in die Küche nach oben.
»Was meinst du, Kit«, fragte Kamma gespannt, »hast du etwas entdeckt?«
»Ich würde den Fall gern übernehmen«, ich setzte mich Simone gegenüber.
»Aber... ich muß wirklich erst mit Hans Ulrik sprechen«, sagte sie hastig.
»Wann kommt er denn nach Hause?« Ich öffnete meine Tasche und zog eine Visitenkarte heraus.
»Heute abend«, sie schüttelte den Kopf. »Um sieben... glaube ich.«
»Wir gehen zu mir rüber«, schlug Kamma vor. »Dann kannst du da warten, bis Hans Ulrik kommt.«
»Er darf nicht wissen, daß du hier warst.« Simone sah mich an.
Ich hob die Augenbrauen. »Warum nicht?«
»Ach, weil...«, sie verstummte.
»Ja?« Ich wartete ab.
»Er... weil...«, sie biß sich auf die Lippe. »Wir müssen zuerst darüber sprechen, sonst...«, sie schlug die Augen nieder. »Er glaubt, es liegt an mir«, sagte sie dann. »Weil ich geistesgestört oder irgendwas in der Richtung bin...«
»Was für ein Blödsinn«, erklärte Kamma. »Natürlich bist du das nicht!« Als sie das sagte, schaute sie mich an.
»Ruf mich an, wenn du mit ihm gesprochen hast«, ich reichte ihr meine Karte, nahm meine Tasche und stand auf.
Der Nachtfrost kroch über das Land. Die Stromleitungen im Wilkensvej spannten sich in der Kälte an und sangen wie die Grillen über der Straße.
Obwohl der Heizkörper kochte, lag ich in meine Decken gewikkelt in meinem Bett, fror und machte mir so meine Gedanken. In meinem Inneren fand ein Marathonlauf von deprimierenden Zahlen statt.
Auf meiner neuen Steuerkarte, die ich vor einiger Zeit von der Gemeinde Frederiksberg erhalten hatte, war noch eine alte Steuerschuld eingetragen. Und damit hatte ich meinen Freibetrag verloren.
Ich drehte mich mit einem Seufzer auf die andere Seite. Meine Detektei warf wirklich nur bescheidene Summen ab. Während der letzten Monate hatte ich zwei gute Fälle angenommen und einen abgewiesen, es war dabei um ein Arbeitsverhältnis gegangen.
Auf einem Seminar für Detektive, bei dem ich kurz nach Eröffnung meines Büros gewesen war, hatte ich erfahren, daß ich auch mit allerlei Anfragen von Arbeitgebern rechnen könnte, die aus irgendeinem Grund einen Mitarbeiter loswerden wollten. Und die meine Hilfe brauchten, um dafür den passenden Vorwand zu finden.
Und einen solchen Auftrag wollte ich auf keinen Fall annehmen.
Aus der Wohnung über meiner erklang Musik. John Mogensens heisere Stimme kam durch die Decke: »Aber du bist wie ein rollender Stein, hast nie genug mit mir allein...«
Ina, die vor kurzem von ihrem Liebsten verlassen worden war, suchte offenbar Trost in der Musik.
Gereizt drehte ich mich noch einmal um und zog mir die Decke über den Kopf. Nach einigen weiteren Versuchen ließ ich das Einschlafen dann aber sein und stand auf.
Am Küchenfenster blühten Eisblumen.
Ich gähnte und setzte Teewasser auf. Vor knapp einem Monat hatte die Hausversammlung beschlossen, alle Fenster im Haus auswechseln zu lassen. Das mußte sein, würde aber zu einer ziemlichen und nicht zuletzt dauerhaften Mietsteigerung führen.
Ich hatte damals mein Reihenhaus in Galgebkken mit einer Zweizimmerwohnung im Wilkensvej vertauscht, weil mein Sohn Benjamin von zu Hause ausgezogen war, aber auch die billige Miete hatte mich gelockt. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher...
Ich lächelte säuerlich, dachte an die Vögel und die Lilien auf dem Felde, daran, daß nicht einmal Salomon in all seiner Pracht so schön angezogen war wie sie, und versuchte, meine Sorgen abzuschütteln.
Ich stand eine Weile am Fenster und schaute in den Hof hinunter. Der Mond schien, die weißen Bretter des Fahrradschuppens schimmerten bläulich.
Dann suchte ich meine dicken Skisocken heraus, zog sie an, trank eine Tasse Tee, aß ein Brot mit Leberwurst und machte noch einen Einschlafversuch. Diesmal glückte er.
Die Streukolonnen waren schon früh am Werk gewesen, den Bürgersteig vor dem Haus hatten sie schon erledigt. Hier und da lag gefrorener Hundekot.
Ich stand vor dem Wagen, kratzte Eis von den Scheiben und winkte meinem Nachbarn Herrn Wesselø zu, der gerade die Straße heraufkam. Er hütete offenbar Picasso, den Hund seines Enkelkindes, Picasso sprang vor ihm her.
Die Sonne schien von einem blauen Himmel, die Luft war schneidend kalt, und die kleinen Haare in der Nase erstarrten vor Frost.
»Das ist doch wirklich unmöglich«, Herr Wesselø zeigte auf die Hinterlassenschaften, mit dem des Menschen bester Freund den Bürgersteig versehen hatte. »Und dabei hat die Gemeinde doch sogar überall Tüten aufgehängt...«
Ich nickte zustimmend, bückte mich und streichelte Picasso.
Aus dem Flaschencontainer an der Ecke, wo eine junge Frau gerade eine Tüte leerte, ertönte ein lautes Klirren.
»Außerdem müssen wir mit dem Hausmeister sprechen«, Herr Wesselø schnaufte, »mit der Haustür stimmt etwas nicht... sie schließt nicht richtig.«
Ein kleines Mädchen mit gelber, tief in die Stirn gezogener Pudelmütze zog mit einem Schlitten los.
»Hör mal, du bist noch ein bißchen früh dran«, Herr Wesselø lächelte. »Willst du wirklich nicht auf den ersten Schnee warten?«
Ich fuhr auf den Dalgas Boulevard hinaus und bog in den Finsensvej ab.
An der Haltestelle vor dem Lindevangspark traten mindestens zehn frierende Menschen von einem Fuß auf den anderen. Sicher hat der Bus Verspätung, dachte ich, und kniff im scharfen Licht die Augen zusammen. Die Zweige der Bäume im Park waren weiß bereift.
Der Parkplatz hinter dem Rathaus von Frederiksberg war ziemlich voll, aber ich konnte doch noch einen Platz finden.
Am Bordstein, in der Nähe meines Büros in der Smallegade, stand ein schwarzer Citroën. Als ich die Haustür aufschloß, fühlte ich mich beobachtet. Ich schaute mich um. Der Fahrer saß hinter dem Lenkrad und blickte interessiert in meine Richtung. Ich ließ mich davon nicht stören, sondern öffnete die Tür und ging in mein Büro. – Vielleicht wartet er auf Kundschaft aus dem Laden, dachte ich optimistisch.
Als ich eine Viertelstunde später aus dem Fenster schaute, war der schwarze Citroën verschwunden.
Gegen Mittag wurde vorsichtig an die Tür geklopft. Draußen stand eine junge Frau mit klaren grauen Augen und brauner Pagenfrisur. Sie trug eine lange rote Daunenjacke, blaue Handschuhe und praktische braune Schnürstiefel.
»Ja, Entschuldigung... aber du bist doch die Detektivin?« fragte sie ein wenig verlegen und schaute mir ins Gesicht.
Ich nickte, trat einen Schritt beiseite und bat sie herein.
Sie setzte sich vor meinen Schreibtisch, zog die Handschuhe aus und öffnete den Reißverschluß ihrer Daunenjacke.
»Es ist kalt geworden«, sagte ich.
Sie nickte, zog ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.
»Für heute nacht sind achtzehn Grad minus angesagt.«
Noch eine Nacht mit Skisocken, dachte ich. Ich ließ meinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Ich schätzte sie auf Ende Zwanzig. »Was führt dich zu mir?« fragte ich.
»Mein Mann«, antwortete sie fast tonlos. »Ich glaube, er hat eine andere.«
Ich holte tief Luft. »Ach«,