»Ja... du hustest. Carl hat dich doch hoffentlich nicht angesteckt?«
»Nein«, Monica schüttelte den Kopf. »Ich bin bloß ein bißchen erkältet.«
»Ist Carl krank?« fragte ich freundlich.
»Ja, er hat die Grippe«, antwortete Kamma.
Deshalb bin ich also zur Chauffeuse ernannt worden, dachte ich, und unterdrückte ein Lächeln.
Nach dem Essen machten wir einen langen Spaziergang durch den Wald.
Es war noch immer ziemlich windig. Die hohen Tannen schwankten, zerfetzte Wolken jagten über den Himmel.
Ich fröstelte, klappte den Mantelkragen hoch und bohrte die Hände tief in die Taschen.
Wir erreichten eine kleine Lichtung und blieben stehen. Zwischen den Blättern auf dem Waldboden raschelte es. Ich bückte mich, lauschte. Vielleicht war es eine Maus.
»Vor fast fünfzehn Jahren hat ein Orkan jeden siebten Baum in diesem Wald umgeworfen«, Ingrid, die vor uns her ging, drehte sich zu uns um.
Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund.
»Warum heißt dieser Wald eigentlich Gribskov?« Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht und schaute mich um.
»Das kommt vom Wort ›gribe‹, greifen«, erklärte Ingrid. »In alten Zeiten war Gribskov mal Boden, der allen zur Verfügung stand.«
»Erzähl Kit doch von dem bodenlosen See«, sagte Monica.
»Ach, der große Gribsø.« Ingrid blickte mich schelmisch an.
»Der ist ein Stück von hier entfernt. Angeblich hat dort früher einmal ein Nonnenkloster gelegen. Aber Gott ärgerte sich über die Nonnen, weil die sich viel zu sehr für die Mönche im Kloster von Esrum interessierten«, sie lächelte. »Eines Tages wurde es ihm zu arg, und er war so wütend, daß er der Erde befahl, sich zu öffnen und das Kloster und alle Nonnen zu verschlingen. Wenn es windstill ist, kann man abends manchmal in der Tiefe des Sees die Glocken läuten hören.«
»Und was wurde aus den Mönchen?« fragte ich. »Ist denen denn gar nichts passiert?«
»Offenbar nicht«, antwortete Ingrid.
»Typisch«, Kamma schüttelte den Kopf.
Wir folgten einem schmalen Weg durch das Unterholz. Ein besonders kräftiger Windstoß wirbelte Zweige und Blätter vom Waldboden auf.
»Als Kind habe ich immer davon geträumt, einen Förster zu heiraten«, ich lachte. »Und mit ihm in einem großen Haus am Waldrand zu wohnen und zwei Kinder zu haben, ein Mädchen und einen Jungen. Und in der Adventszeit wollte ich im Wohnzimmer sitzen und den Kindern auf dem Klavier vorspielen, während mein Mann im Garten beschäftigt war und überall Vogelfuttergarben anbrachte.«
»Wie romantisch«, Monica lächelte und legte mir eine Hand auf den Arm.
»Spielst du Klavier?« fragte Ingrid.
»Nein«, ich schnitt eine Grimasse. »Aber ich hatte das wirklich vor... in einem Versuch, meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, habe ich Klavierunterricht verlangt. Damals war ich zwölf...« Ich unterbrach mich, schaute vor mich hin, sog den Waldduft ein und sagte dann: »Aber meine Mutter meinte, das hätte keinen Sinn, wo wir doch gar kein Klavier hatten. Immerhin trieb meine Großmutter eine gebrauchte Gitarre auf und schenkte sie mir zum Geburtstag. Ich saß in meinem Zimmer, klimperte darauf herum, fand aber nie die richtige Melodie. Nach zwei Wochen sagte meine Mutter: ›Du bist nicht musikalisch.‹ Ich schlug vor, sie sollte mir Unterricht geben lassen. ›Was wir nicht in uns haben, lernen wir auch nie‹, war ihre Antwort. ›Echtes Talent kommt von innen.‹«
Ingrid prustete los.
Draußen vor den Fenstern verdüsterte sich der Himmel. Ich stand vor dem Holzofen, rieb mir die Hände und genoß die Wärme. Die Katze sprang aus dem Sessel und strich mir um die Beine. Ich bückte mich und streichelte sie.
»Die ist aber dick«, meinte Monica. »Kriegt sie Junge?«
»Ja«, antwortete Ingrid, die gerade kochendes Wasser in die Kaffeekanne goß. »Und sie kann jetzt jeden Tag niederkommen.«
»Vielleicht«, setzte ich an und unterbrach mich dann. Seit einiger Zeit spielte ich mit dem Gedanken, mir einen Dackel anzuschaffen, der Sofus heißen sollte. Eine Katze dagegen...
Kamma schaute zu mir hin und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Wäre das etwas für dich?« fragte sie dann. »So ein Kätzchen?«
»Doch«, ich zögerte, »vielleicht.«
»Von mir aus gern«, Ingrid stellte die Kaffeekanne auf den Tisch und steckte neue Kerzen in die Halter. »Ich kann dich ja anrufen, wenn sie da sind.«
»Aber ich will einen Kater«, beschloß ich.
»Warum denn?« fragte Monica.
Ich lächelte. »Weil er Sofus heißen soll.«
»Detektivin... das ist eigentlich ein seltsamer Beruf.« Ein Klient, dem ich eben den entscheidenden Beweis dafür geliefert hatte, daß seine Frau ihn betrog, beugte sich über den Schreibtisch und musterte mich aufmerksam. Er hatte abgeknabberte Nägel.
»Tja«, ich zuckte mit den Schultern.
»Ist es nicht schwer, dabei zu überleben... ich meine, rein finanziell?«
»Es geht schon.«
»Aber so viele Klienten wenden sich doch sicher nicht an Sie?«
»Ach, das ist ganz unterschiedlich.« Ich knüllte die leere Zigarettenschachtel zusammen, warf sie in den Papierkorb und blickte den Mann an. Vermutlich wollte er die Aufmerksamkeit von den peinlichen Gegebenheiten in seinem eigenen Leben ablenken. Diese Situation war mir nicht unbekannt. Manche der Menschen, die mich aufsuchten, gaben mir einen Einblick in ihr Privatleben, das sie im Grunde doch lieber nicht mit einer Außenstehenden teilen wollten.
»Sind Sie verheiratet?«
»Finanziell gesehen komme ich schon zurecht... wenn Sie das meinen sollten.«
»Aber...«, er rutschte in seinem Sessel hin und her. »Was haben Sie früher gemacht, ehe Sie Detektivin geworden sind?«
»Theologie studiert«, antwortete ich.
»Theologie«, dieses Wort ließ er sich auf der Zunge zergehen.
Es fiel ihm offenbar schwer, es herunterzuschlucken. »Muß man denn dann nicht Pastor werden?«
»Manche werden das ja.«
»Ich glaube weder an Gott noch an den Teufel«, er stieß ein kurzes Lachen aus und fügte dann hinzu, »unser Gemeindepastor hat sich kürzlich zum zweiten Mal scheiden lassen...«
»Ach«, ich nickte. Der Geruch seines Rasierwassers kitzelte mich in der Nase, und ich hatte das Gefühl, gleich niesen zu müssen.
»Ich meine nur«, er machte eine Handbewegung, schaute mich an, »wenn nicht einmal der Pastor das schafft, wer soll denn dann...«
Dazu sagte ich nichts, ich senkte den Kopf, um ein Lächeln zu verbergen.
Ich finde es wirklich erstaunlich, daß viele, die sich von Kirche und Christentum abgewandt haben, zugleich äußerst konservative Vorstellungen mit beidem verbinden. Vielleicht entspringt diese Haltung im Grunde der bürgerlichen Moral.
Ich rechnete mit dem Klienten den Auftrag ab, schloß hinter ihm die Tür und atmete tief durch.
Inzwischen machte ich mir schon seit einer ganzen Weile keine Gedanken mehr darüber, was aus meinen Klienten wurde, nachdem sie mein Büro einmal verlassen hatten.
Ich parkte in der Nansensgade, vor dem Haus, in dem Jannes Freundin wohnte. Ich hoffte, daß jemand zu Hause sein würde, es war bereits mein dritter Versuch.
Die