»Was?« Sie blickte mich verwirrt an.
»Wieso glaubst du, daß er eine andere hat?«
Anne Knudsen rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
»Also... er ist nie zu Hause... und auch... auch wenn er sagt, daß die Bank... weil da so viel zu tun ist, also in der Bank, aber ich glaube ihm nicht.« Ihre Worte purzelten durcheinander. Sie schwieg eine Weile und machte den Reißverschluß ihrer Jacke auf und zu. »So ist das sonst nicht«, sie schob das Kinn vor.
»Hm«, ich nickte. »Und er arbeitet also in einer Bank?«
»Ja.«
»Dann kannst du doch sicher verhältnismäßig leicht überprüfen, ob er bei der Arbeit ist?«
Sie machte ein hilfloses Gesicht. »Da geht doch nach Feierabend niemand ans Telefon, und außerdem«, sie schniefte, »er soll auf keinen Fall denken, ich wäre eifersüchtig.«
Ich wandte meinen Blick von ihr ab, unterdrückte ein Lächeln und fragte: »Und was machst du selber?«
»Ich bin Krankenpflegerin und arbeite in einem Pflegeheim. Jede zweite Woche habe ich Nachtwache.«
»Und wenn du Nachtwache hast, ist er nicht zu Hause?«
»Ja«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich rufe ihn immer wieder an, auch spät, aber niemand geht ans Telefon«, sie biß sich in die Lippe. »Ich kann mich überhaupt nicht auf meine Arbeit konzentrieren, ich denke die ganze Zeit nur an ihn, und dann muß ich wieder anrufen. Aber das bringt doch nichts... gestern habe ich mich krankgemeldet...« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
Ich nahm mir einen Zigarillo, wartete ab und schaute aus dem Fenster.
»Das ist noch kein Beweis«, sagte ich dann leise. »Vielleicht trifft dein Verdacht nicht zu.«
»Meinst du?« Sie schaute mich aus tränennassen Augen an und wischte sich die Nase am Handrücken ab.
»Es kann so viele Gründe geben«, ich spitzte den Mund. »Vielleicht müssen sie in der Bank wirklich Überstunden machen, man weiß ja nie. Aber vielleicht...«, ich fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, »vielleicht hast du recht, und er hat wirklich eine andere.«
»Aber hilfst du mir, das herauszufinden?« In ihrer Stimme lag Hoffnung.
»Ja«, ich schrieb ihren Namen ganz oben auf den Block. Anne Knudsen. »Und deine Adresse?«
»Ich wohne in Østerbro. Collinsgade 9, im Erdgeschoß.«
»Hast du ein Foto von deinem Mann?«
»Nein – ist das nötig?«
»Ich muß doch wissen, wie er aussieht.«
»Ach so«, ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Natürlich.« Sie dachte kurz nach. »Bist du heute nachmittag im Büro?« fragte sie dann.
»Ja, bis drei Uhr«, antwortete ich und widmete meinem halbleeren Terminkalender einige besorgte Blicke.
Sie schaute auf die Uhr, zog eine Busfahrkarte aus der Tasche und musterte sie ausgiebig. »Paßt es, wenn ich in zwei Stunden vorbeikomme?«
»Aber sicher«, ich lächelte. »Kein Problem.«
»Also dann«, sie stand auf und schloß den Reißverschluß ihrer roten Jacke.
Ich überlegte mir, daß diese Jacke immerhin warm aussah.
Sie blieb mitten im Zimmer stehen.
»Ja, entschuldige, aber... was machst du eigentlich?« fragte sie dann.
»Wie meinst du das?«
»Na ja«, sie zog einen Ärmel weiter nach unten. »Wie stellst du fest, ob er eine andere hat?«
»Ach, das«, ich schlug die Beine übereinander. »Das ist eigentlich ziemlich einfach. Als erstes rufst du bei deiner Arbeit an und sagst, daß du wieder gesund bist«, ich schaute ihr tief in die Augen. »Das ist wichtig«, betonte ich. »Und dann werde ich die Bank im Auge behalten.«
»Vielleicht geht er zuerst nach Hause«, wandte sie ängstlich ein.
»Kann schon sein«, ich fuhr mit der Hand über den Block. »Aber dann werde ich ihm bis zur Collingsgade folgen und da warten, bis...«
»Zur Collingsgade?« Sie kniff die Augen zusammen.
»Ja, wie du doch schon gesagt hast, vielleicht will er zuerst nach Hause...«
»Aber da wohnt er doch nicht«, rief sie.
Ich hob erstaunt die Augenbrauen. »Was?!«
»Er wohnt in Amager«, erklärte sie. »Ålandsgade 22.«
»Sag mal«, ich legte den Kugelschreiber hin, »wohnt ihr denn nicht zusammen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Aber... seid ihr gar nicht verheiratet?«
»Wir haben uns vor einem guten halben Jahr getrennt«, ihre Lippen zitterten, und ihr traten die Tränen in die Augen. »Gerade deshalb will ich doch...«
»Aber...«, ich wußte nicht mehr richtig weiter. »Setz dich doch noch einen Moment«, bat ich dann.
»Soll ich denn nicht das Foto holen?« Sie runzelte die Stirn.
»Das hat Zeit«, ich stützte mein Kinn in die Hand und betrachtete mein Gegenüber.
Sie rutschte an die Stuhlkante und blickte mich verwirrt an.
»Also, hör zu«, ich räusperte mich. »Ich weiß ja nicht so recht, ob es wirklich eine gute Idee ist, mich auf diesen Fall anzusetzen. Ich meine...«
»Warum nicht?« fiel sie mir überrascht ins Wort.
Ihr Gesichtsausdruck erinnerte mich an meinen Sohn, als er mit sieben Jahren erfuhr, daß er nicht mit seinem Kumpel allein zum Camping nach Spanien fahren dürfte. »Wieso nicht?«
»Ihr habt euch doch sicher nicht ohne Grund getrennt«, sagte ich vorsichtig.
»Aber... das wollte er ja unbedingt«, sie griff zu ihrem Taschentuch und putzte sich die Nase. »Ich begreife einfach nicht, warum...«, und dann verstummte sie.
Ach, Herzchen, dachte ich und fragte erbarmungslos: »Und was hast du vor, wenn ich feststelle, daß er eine andere hat?«
Sie dachte kurz nach.
»Das weiß ich nicht«, jetzt flossen die Tränen stärker.
Ich zögerte. Draußen auf der Straße lärmte eine Autohupe.
»Ich weiß, es ist schwer«, sagte ich dann, »aber vielleicht wäre es besser, wenn du versuchst, nicht soviel an ihn zu denken...«
»Ich kann nicht ohne ihn leben«, schluchzte sie, »nachts... ich habe Angst und kann nicht einschlafen...«
»Wie lange geht das schon so?«
»Die ganze Zeit... seit er ausgezogen ist«, die Tränen kullerten nur so über ihre Wangen. »Und jetzt ist auch noch bei den Nachbarn eingebrochen worden«, sie sah mich an, »ich wohne doch im Erdgeschoß...«
»Vielleicht solltest du dir eine andere Wohnung suchen«, regte ich vorsichtig an.
»Nein!« Sie starrte vor sich hin. »Ich will, daß er zurückkommt«, sagte sie dann. »Das muß er ganz einfach!«
Ich sagte erst einmal gar nichts, und ich bemerkte, daß sie ihre Fingernägel ganz abgeknabbert hatte. Dann beugte ich mich über den Schreibtisch und fragte mit ruhiger Stimme: »Hast du schon mal überlegt, ob du mit einer Psychologin sprechen solltest?«
Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Ich hab’s versucht«, sie knüllte ihr Taschentuch zusammen, »meine Freundin kennt eine...«