Engel der Stille. Ditte Birkemose. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ditte Birkemose
Издательство: Bookwire
Серия: Kit-Sorél-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711451779
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      »Das kannst du vergessen!« Sie riß ihren Arm zurück. Der junge Mann hinter dem Tresen brachte die Gläser auf einem Tablett zum Klirren und schaute neugierig zu uns herüber.

      »Deine Mutter macht sich Sorgen um dich«, sagte ich. »Sie würde gern mit dir sprechen.«

      »Und was geht dich das an?« Sie starrte mich an. »Wer bist du überhaupt?«

      Sie war klein und ein wenig untersetzt, und ihr ovales Puppengesicht schaute ziemlich mürrisch drein.

      »Ich bin Detektivin«, antwortete ich. »Deine Eltern haben sich an mich gewandt...«

      »Die haben kein Recht, sich in mein Leben einzumischen«, sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich bin über achtzehn.«

      »Sie möchten wissen, wo du bist«, mein Blick streifte die blauen Flecken an ihrem Oberarm. »Vielleicht könntest du dich mal mit ihnen treffen und...«

      »Ich wette, daß der Alte dahintersteckt«, fauchte sie und kniff die Augen zusammen.

      »Bestell ihnen einen schönen Gruß und sag, sie brauchten sich keine Sorgen zu machen.« Ihre Freundin zog den Kaugummi aus dem Mund und warf ihn in den Aschenbecher. »Janne kommt sehr gut zurecht.«

      Wir standen im ziemlich dunklen hintersten Raum des Café Bankeråt.

      »Das kann Janne ihren Eltern doch selber sagen«, antwortete ich ruhig.

      »Nie im Leben!« Janne griff nach ihrem Mantel.

      »Warum nicht?«

      »Ich habe ihnen nichts zu sagen«, die beiden Freundinnen wechselten einen Blick. »Deshalb.«

      »Du brauchst doch nicht...«, fing ich an.

      Jahne sprang plötzlich auf, schnappte ihre Tasche und stürzte an mir vorbei.

      Ich trat einen Schritt vor.

      Ihre Freundin vertrat mir den Weg. »Laß sie in Ruhe«, sagte sie wütend.

      Wir schauten einander einen Moment lang an. Energisch schob ich sie dann beiseite.

      Ich lief am Tresen vorbei, riß die Tür auf und stieß mit einem jungen Mann zusammen, der gerade das Café betrat.

      »’tschuldigung«, murmelte ich.

      Er fuhr sich mit den Fingern durch seine langen braunen Haare, lächelte mir zu und rief nach seinem Dackel, der inzwischen seine Schnauze in meinen Mantel gebohrt hatte und den Geruch offenbar interessant fand.

      Ich schaute mich auf der Straße um. Janne war verschwunden.

      »Verdammt«, für einen Moment blieb ich ratlos stehen.

      Es nieselte, und in der Luft hing der Geruch von nassem Asphalt und Auspuffgasen.

      Dann ging ich langsam die Nansensgade hinunter.

      »Können Sie nicht versuchen, sie zu überreden?« Randi Nielsen blickte mich flehend an.

      Ich saß bei Jannes Eltern, die in einer Reihenhaussiedlung in Hvidovre wohnten.

      »Dann soll sie doch sehen, wie sie zurechtkommt«, Jan Nielsen erhob sich und stieß dabei so heftig gegen den Couchtisch, daß die Tassen in die Luft hüpften. »Wartet nur«, er stampfte im Zimmer hin und her. »Sobald auch nur das kleinste Problem auftaucht, kommt sie angerannt...«

      Ich sagte nichts dazu, ich dachte nur an die blauen Flecken auf Jannes Arm und blickte ihn an. Sein kariertes Hemd spannte um seinen Bauch, der über seinem Gürtel hervorquoll. Er war Anfang Fünfzig, mittelgroß und hatte schüttere braune Haare.

      »Hör doch auf, Jan«, Randi Nielsen klimperte nervös mit den Augen. »Du wolltest doch selber...«

      »Was sagst du da?!« Wütend starrte er sie an. »Warst du das denn nicht, die mir mit all ihren Horrorgeschichten von Drogen und Christiania in den Ohren gelegen hat? Und außerdem...«, er kratzte sich am Bauch, »wenn wir erst ihre Adresse haben, dann können wir ja selber...«

      »Ich weiß nicht, wo sie wohnt«, log ich. »Ich habe sie in einem Café in einer Gegend aufspüren können, in der einige von ihren Freunden wohnen.«

      Er schnaubte, ließ sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine aus.

      »Würden Sie noch einen Versuch machen?« Randi Nielsen beugte sich vor und legte mir die Hand auf den Arm. Ihr Zeigefinger war gelb vom Nikotin. »Wir bezahlen Sie natürlich«, fügte sie mit einem Seitenblick auf ihren Mann hinzu.

      »Natürlich«, ich lächelte.

      Jan Nielsen räusperte sich und wackelte mit dem Fuß. »Was sind wir Ihnen bisher schuldig?«

      Ich gab ihm die Rechnung, die er eingehend studierte. Nach einigen Minuten erhob er sich und ging ins Schlafzimmer, um sein Scheckheft zu holen.

      Ich ließ mich im Sofa zurücksinken, meine Blicke streiften umher. »Aber schien es ihr denn einigermaßen gutzugehen?« fragte Randi Nielsen mit leiser Stimme.

      »Ja«, antwortete ich. »Den Eindruck hatte ich.«

      »Sie haben ja keine Ahnung«, sie verstummte und biß sich auf die Lippen.

      Ich blickte sie abwartend an.

      Randi Nielsen war Ende Vierzig, eine Spur übergewichtig, und sie wirkte müde mit ihrer gebückten Körperhaltung. Ein paar schlaffe Locken in ihren blonden Haaren erzählten von einer alten Dauerwelle.

      Sie öffnete den Mund und wollte gerade etwas sagen, als Jan Nielsen zurückkehrte und einen Scheck auf den Tisch warf.

      Ich hatte das Gefühl, daß dieses Ehepaar ein Spiel spielte, das mich nicht unbedingt etwas anging, und deshalb steckte ich den Scheck ein und stand auf.

      »Ich rufe an, sobald ich etwas Neues weiß«, sagte ich und verabschiedete mich.

      Randi Nielsen lächelte schwach, ihr Ehemann grunzte.

      Ludmilla schwebte über unseren Häuptern.

      Ich steckte die Hände in die Taschen und schaute in den blaßgrauen Himmel. Es war Anfang November, die Luft war gesättigt mit dem Duft von Erde und feuchtem Holz, und über dem Waldrand hing ein leichter Dunst.

      Ingrid stand mitten auf dem Feld und schwenkte die Falkenfessel. Ihre grüne Jacke wurde in der Taille von einem Ledergürtel zusammengehalten, sie trug ein Paar kurze weiße Gummistiefel.

      Ludmilla zog langsam ihre Kreise, dann ließ sie sich fallen und schlug die Krallen in das Stück Fleisch, das an der mit Federn besetzten Lederschlinge befestigt war.

      »Ist sie nicht wunderschön?« fragte Kamma leise und schob ihren Arm unter meinen.

      Ich nickte. Der Jagdfalke auf Ingrids behandschuhter Hand verzehrte nun seine Beute, ein großes Stück Fleisch von einem der Hühner, die an diesem Morgen geschlachtet worden waren.

      »Ludmilla ist sehr scheu, nur Ingrid darf mit ihr trainieren«, erzählte Kamma. »Wenn ich hier bin, kümmere ich mich immer um Isolde. Das ist ein Zwergfalke, und sie wiegt bei weitem nicht soviel wie Ludmilla. Und das ist mir nur recht«, sie fuhr sich mit den Fingern durch ihre kurzgeschnittenen braunen Locken.

      Ich blickte in ihre himmelblauen Augen und lächelte. Meine Gedanken wanderten um fast ein Jahr zurück. »Nach dem Tode meines Mannes habe ich dann endlich meine Lebensfreude wiedergefunden«, hatte Kamma gesagt und mich mit diesem treuherzigen Blick bedacht. Wir lagen beide im Frederiksberg-Krankenhaus, dort hatten wir uns kennengelernt. Als ich, erfüllt, wie ich damals von meinen Plänen war, ihr erzählte, daß ich meine eigene Detektei eröffnen wolle, war sofort ihr Interesse geweckt. Sie bot mir sofort an, ein kleines Büro in einem Haus in der Smallegade zu mieten, das ihr gehörte. Und so kam es dann auch. Ich richtete das Büro ein, das aus einer Wohnung von zwanzig Quadratmetern, einer Kochnische von der Größe einer Besenkammer und einer Toilette im Treppenhaus bestand, und befestigte ein Schild an der Tür: Kit Sorél, Privatdetektivin.

      Das war der Anfang meiner Freundschaft zu Kamma, einer ausgesprochen wohlhabenden Frau von zweiundsiebzig Jahren,