»Kit, also, hör zu«, sie schob ihren Teller beiseite, steckte einen Zigarillo an, zog daran und stieß eine Rauchwolke aus. Dann beugte sie sich zu mir herüber. »Ich habe mir erlaubt, meinem Nachbarn Hans Ulrik Berthelsen deine Telefonnummer zu geben.«
»Ja?« Ich nippte am Wein und blickte sie gespannt an.
Kamma räusperte sich. »Verstehst du... es geht eigentlich um seine Frau. Sie heißt Simone«, dann schwieg sie ein Weilchen. Schließlich blickte sie wieder auf. »Was ich jetzt sage, ist streng vertraulich«, erklärte sie wichtig und schaute Ingrid und Monica an.
Beide nickten mit offenkundigem Interesse.
Ich unterdrückte ein Lächeln.
»Die Sache ist die, daß ich Simone schon als halbwüchsiges Kind gekannt habe«, fuhr Kamma fort. »Ihr Vater, Frederik Morgan, war mein Nachbar. Er war Abteilungsleiter im Finanzministerium.« Sie zerbröselte zwischen ihren Fingern ein Stückchen Brot. »Seine Frau, Louisa, verließ ihn und die kleine Tochter, um mit einem französischen Arzt durchzubrennen...«
Wieder verstummte sie und starrte vor sich hin. »Louisa war schon eine etwas leichtfertige Person, aber... sie war auch zwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Ich glaube nicht, daß dies so gut ist?«
»Das kann bestimmt problematisch sein«, sagte ich, und meine Gedanken streiften die Frau meines Exmannes, die so alt ist wie unser gemeinsamer Sohn Benjamin, und Kammas Liebhaber, einen fünfzig Jahre alten Philosophen.
»Die Ehe wurde auch nicht besser, als sie ihren kleinen Sohn Martin verlor«, Kamma seufzte. »Es war einfach entsetzlich... Er lag im Garten im Kinderwagen und schlief. Als Louisa ihn ins Haus holen wollte, war er tot. Er war einfach eingeschlafen, niemand konnte sagen, warum...«
»Großer Gott!« rief Monica und hielt sich die Serviette vor den Mund. Ihr traten die Tränen in die Augen.
Inzwischen kam Wind auf, die Fensterhaken schlugen gegen die Scheiben.
Ingrid erhob sich vorsichtig und holte aus dem Küchenregal eine Flasche Wein.
Dann brach Kamma das Schweigen. »Simone, übrigens eine hübsche junge Frau, hat geheiratet und wohnt jetzt zusammen mit ihrem Mann Hans Ulrik in meinem Nachbarhaus. Sie ist schwanger, das Kind kommt im April.«
»Was ist mit ihrem Vater?« fragte ich. »Wohnt der auch noch da?«
»Ach, Liebste, nein«, ein Schatten huschte über Kammas Gesicht. »Frederik Morgan ist vor fast zwei Jahren gestorben und hat Simone das Haus hinterlassen.«
Ich dachte kurz darüber nach, wie wohl Kammas Beziehung zu Frederik Morgan ausgesehen haben mochte.
»Aha«, ich nickte und wartete ansonsten ab.
»Also, es ist so«, Kamma ließ sich in ihrem Sessel zurücksinken.
»Das Problem ist, daß irgend jemand Simone schikaniert... die Götter mögen wissen, warum.« Sie trank einen Schluck Wein und blickte nachdenklich vor sich hin.
»Schikaniert«, mein Interesse war geweckt. »Wie denn?«
Die Kerzen auf dem Tisch warfen ihr goldenes Licht durch das Zimmer.
Kamma zögerte ein wenig, hielt eine Weile das Glas in der Hand, nahm noch einen Schluck und sagte dann langsam: »Immer, wenn Hans Ulrik auf Reisen ist. Er ist Jurist und hat viel in Brüssel zu tun... irgendwas mit Umwelt und der EU...«, sie wischte sich ein wenig Asche von der Hose. »Wenn er unterwegs ist, ist Simone allein, und...« Sie blickte mir ins Gesicht.
»Irgendwer dringt dann ins Haus ein...«, sie verstummte.
»Hat Simone diesen Eindringling überrascht?« fragte ich.
»Nein.«
»Aber sie hat ihn zumindest gesehen?«
»Nein.«
Ich hob die Augenbrauen. »Woher weiß sie das dann?«
Kamma atmete tief durch. »Ja, weißt du... alles mögliche ist danach verstellt worden, Möbel und so...«
»Und sonst nichts?« Ich runzelte die Stirn.
»Nein.«
»Kann das nicht die Putzfrau gewesen sein?« fragte Monica, aber Kamma schüttelte den Kopf.
»Hm«, ich kniff die Augen zusammen. »Das klingt wirklich seltsam.«
Monica hustete.
»Ja«, Kamma nickte und ließ ihren Zeigefinger über die Kante ihres Weinglases gleiten. »Ich weiß, was du denkst«, sagte sie dann. »Aber ich glaube ihr. Irgendwo stimmt da etwas nicht.«
»Hat Hans Ulrik irgend etwas beobachtet?« fragte Ingrid.
»Nein«, Kamma schaute sie an. »Es passiert immer, wenn er nicht zu Hause ist.«
»Und wie sieht er die Sache?« fragte ich.
»Anfangs hat er das alles wohl nicht so ganz ernst genommen, aber dann...«, Kamma schüttelte den Kopf. »Er wollte unbedingt, daß sie mit einem Psychologen redet... vor allem wegen der Dinge, die in ihrer Kindheit passiert sind... der Tod ihres Bruders zum Beispiel.«
»Das klingt auch plausibel«, sagte ich. »Aber glaubt er denn nicht, was sie erzählt?«
»Ich möchte es mal so ausdrücken: Er weiß es nicht.« Kamma spitzte den Mund. »Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, sich an dich zu wenden.« Sie blickte mich mit angespanntem Gesichtsausdruck an. »Aber was meinst du, Kit, ist das überhaupt ein Fall, der dich interessieren könnte?«
Ich brauchte Bedenkzeit, und deshalb fragte ich: »Was ist dann passiert? Wollte Simone nicht mit einem Psychologen sprechen?«
»Sie war schrecklich unglücklich, und das kann ich eigentlich sehr gut verstehen. Sie denkt, daß niemand ihr glaubt.« Kamma hob die Hand und ließ sie dann auf den Tisch fallen. »Das muß entsetzlich sein«, sagte sie nachdrücklich.
Ich schwieg und begnügte mich mit einem Nicken.
»Aber was ist mit ihrer Mutter?« fragte Monica. »Hat sie Kontakt zu der?«
»Überhaupt keinen. Louisa war nicht einmal auf Frederiks Beerdigung«, antwortete Kamma kurz. »Und das hätte man doch wirklich erwarten können, und sei es nur ihrer Tochter zuliebe.«
Darauf folgte erst einmal Schweigen.
»Sie fühlt sich sicher sehr allein«, Ingrid kratzte Wachsreste vom Leuchter. »Wenn nicht einmal Hans Ulrik ihr glaubt...«
Ich musterte sie. Ihr Gesicht strahlte eine gewisse Wehmut aus.
»Ich glaube ihr«, erklärte Kamma mit fester Stimme. »Und ich kenne sie schließlich schon seit vielen Jahren.«
»Was macht sie eigentlich, hat sie Arbeit?« fragte ich.
»Sie ist Architektin und arbeitet in einer der Randgemeinden, wartet mal...«, Kamma runzelte die Stirn. »In Glostrup, glaube ich.«
»Warum bist du eigentlich Detektivin geworden?« fragte Ingrid.
»Hat Kamma nicht erzählt, daß du Theologie studiert hast?«
Ich nickte. »Ich mußte mich ein bißchen von Griechisch und Hebräisch erholen«, antwortete ich und fügte hinzu: »Außerdem war ich immer schon neugierig. Vielleicht, weil es in meiner Familie so viel Heimlichtuerei gegeben hat, daß man mindestens drei Detektive brauchen würde, um auch nur ein Körnchen Wahrheit zu finden...«
Die anderen lachten.
Monica hustete.
»Also?« Kamma betrachtete ihre Fingernägel. Dann hob sie den Blick und musterte mich fragend.
Ich gab mich geschlagen. »Wenn sie sich bei mir melden, sehe ich mir die Sache natürlich an...«
»Liebste«,