Engel der Stille. Ditte Birkemose. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ditte Birkemose
Издательство: Bookwire
Серия: Kit-Sorél-Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711451779
Скачать книгу
ließ sich fallen, schlug die Krallen ins Zieget und landete dann im Gras.

      Aus einem Hofflügel erklangen glasklare Flötentöne.

      »Das ist bestimmt Isolde, die an die frische Luft will«, meinte Kamma. Und eine Viertelstunde später schwenkte sie dann die Fessel, während Isolde in der Luft kreiste.

      »Manchmal«, Ingrids Blick ging jetzt ins Leere, »komme ich mir fast so vor wie meine Falken. Dann habe ich das Gefühl zu fliegen... ganz hoch«, sie schaute in den Himmel. »Und dann plötzlich...« Seufzend verstummte sie und schüttelte den Kopf.

      Isolde verschwand im Gleitflug zwischen einigen hohen Tannen.

      Ich lächelte Kamma zu. Von ihrer schmächtigen Gestalt gingen Freude und Autorität aus, ihr Gesicht strahlte.

      Ingrid war mit Ludmilla ins Haus gegangen, Monica war ihr gefolgt, um den Tisch zu decken.

      »Hat sich übrigens Berthelsen bei dir gemeldet?« rief Kamma, als ich gerade beschlossen hatte, ebenfalls ins Haus zu gehen, um Monica zu helfen.

      »Berthelsen?« Fröstelnd trat ich im feuchten Gras von einem Fuß auf den anderen. »Wer ist Berthelsen?«

      »Ach... dann hat er das nicht getan. Ich erzähl es dir später.« Sie reckte den Hals und stieß einen Pfiff aus. Gleich darauf tauchte Isolde wieder auf und setzte sich auf Kammas Handschuh. Kamma lächelte triumphierend und plauderte mit dem Vogel.

      Das Tor zum Hof hing schief, und die Angeln quietschten, als wir hindurchgingen.

      »Jetzt wird es uns bestimmt gut schmecken«, Kamma rieb sich die Hände.

      Ich nickte und schüttelte mich. Meine Schuhe waren naß, meine Füße kalt.

      Im Wohnzimmer setzte ich mich an den weißgescheuerten Holztisch und schaute mich neugierig um. Die Wand zur Küche war herausgebrochen worden, und deshalb war der Raum trotz der kleinen Fenster recht hell. In der ehemaligen Küche befand sich ausgetretener Steinboden, ansonsten war der Boden von abgehobelten Brettern bedeckt. Der Raum war spartanisch, aber gemütlich eingerichtet. An den Deckenbalken hingen Kräuter und allerlei Küchengeräte.

      Ich setzte mich auf einen Stuhl, streckte die Beine aus und genoß die Wärme des Holzofens, der mitten im Zimmer stand. In einem der beiden ramponierten Ledersessel, die neben dem Ofen standen, schlief eine dicke graugetigerte Katze.

      »Hier ist es wirklich gemütlich«, Monica setzte sich neben mich.

      »Sehr«, stimmte ich zu. Mein Blick fiel auf die vielen Fotos von Raubvögeln, die die ganze Wand neben dem Eßtisch bedeckten.

      »Die sind sehr gut«, sagte ich.

      »Ja, nicht wahr.« Kamma entfernte die Folie von der Lachsschüssel. »Die hat Ingrid gemacht. Sie ist ausgebildete Fotografin.«

      Ingrid wirkte ein wenig verlegen. »Vor fast zwanzig Jahren sollte ich die Bilder zu einem Buch über Raubvögel liefern«, sagte sie und stellte eine Schüssel auf den Tisch. »Und so hat dann alles angefangen...«

      »Die Wege des Schicksals sind unergründlich«, Kamma lächelte verschmitzt.

      »Hast du nie Angst, wenn du hier allein bist?« Monica ging zum Fenster und schaute hinaus. »Abends, wenn es dunkel wird?«

      »Nein«, antwortete Ingrid. »Das ist wirklich nicht an meinen schlaflosen Nächten schuld. Wer um Himmels willen sollte denn den ganzen Weg hier heraus kommen, nur um mich zu belästigen?«

      »Aber trotzdem...«, Monica setzte sich wieder. Sie kratzte sich am Oberarm und blickte Ingrid an.

      »Mmm«, ich beugte mich vor. »Das riecht ja wunderbar.«

      »Hasenragout«, Ingrid steckte einen Löffel in die Schüssel.

      »Beute von der Falkenjagd?« fragte ich.

      »Nein, bist du verrückt?« Ingrid warf einen raschen Blick zu Kamma hinüber. »Falkenjagd ist in Dänemark verboten.«

      »Streng verboten«, bestätigte Kamma.

      »Aber warum denn?« Ich blickte die beiden überrascht an.

      »Ja, das ist wirklich eine gute Frage.« Kamma schnaubte. »Es ist schließlich eine uralte Jagdmethode. Im Mittelalter haben sich auch die Frauen daran beteiligt«, sie legte den Kopf leicht schräg und zeigte auf ein großes Plakat an der Wand gegenüber. »Da siehst du eine Falknerin mit einem Zwergfalken auf der Hand. Schön, nicht wahr?«

      Ich betrachtete das Plakat und nickte.

      »Wenn die Falkenjagd in Dänemark erlaubt wäre, würden auf diese Weise höchstens zwei bis dreihundert Stück Wild erlegt werden«, teilte Ingrid gelassen mit. »Das ist so gut wie nichts, verglichen mit den Tausenden, die von Jägern geschossen werden.«

      »Aber warum genau ist es denn verboten?« fragte ich.

      »Aus Ignoranz«, antwortete Ingrid ganz offen und zündete die Kerzen auf dem Tisch an. »Den Politikern tut offenbar die Beute leid.«

      »Aber so ist es doch auch in der Natur«, warf Monica ein. »Überall da, wo es Raubvögel gibt.«

      »Sag denen das mal«, Ingrid streckte die Hand nach der Weinflasche aus. »Ein Vorteil bei der Falkenjagd ist übrigens, daß die Tiere nie angeschossen werden. Nicht alles, worauf die Jäger schießen, fällt zu Boden...« Sie kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, blickte uns vielsagend an und füllte die Gläser.

      »Wir sollten lieber mit dem Lachs anfangen«, Kamma zeigte auf die Schüssel.

      »Meinst du, das Ragout bleibt warm?« Monica runzelte die Stirn.

      »Ich lege den Deckel darauf«, antwortete Ingrid und ließ ihren Blick über den Tisch wandern. »Brauchen wir sonst noch etwas?«

      »Liebste«, Kamma lächelte breit. »Wir haben alles, was wir uns wünschen können.«

      Ich betrachtete Ingrid. Sie war mittelgroß, hatte weizenblonde, hochgesteckte Haare und blaue, wache Augen. Ich schätzte sie auf Mitte Vierzig, aber eigentlich war das schwer zu sagen. Ihre Art hatte etwas Anziehendes. Ich überlegte mir, daß ganz besondere Eigenschaften nötig sein mußten, um ein so isoliertes Leben zu führen, fast immer allein, nur umgeben von Hühnern, einer Falkenschar und einer Katze.

      »In Chile holen Adler Kinder«, erzählte Monica und legte sich ein Stück Lachs auf den Teller. »In den Dörfern...«

      »Diese Geschichten kennen wir auch«, Ingrid lachte. »In Norwegen wurde vor einigen Jahren behauptet, ein Adler habe ein sechsjähriges Kind geraubt«, sie schnitt eine kleine Grimasse. »Aber das ist höchst unwahrscheinlich, Adler können nämlich nur eine Beute bis zu ihrem eigenen Gewicht heben. Solche Geschichten kommen in der Regel immer dann aufs Tapet, wenn Raubvögel unter Naturschutz gestellt werden sollen.«

      »Natürlich rauben sie keine Kinder«, sagte Kamma.

      »In Chile wohl«, Monica war nicht zu überzeugen, und alle schwiegen für einen Moment.

      Ingrid senkte ihren Kopf ein wenig.

      »Nimm doch noch was«, sagte Kamma fröhlich und hielt mir die Schüssel hin.

      »Leben Falken eigentlich in Paaren?« fragte ich harmlos.

      »Ja, in der Natur«, antwortete Ingrid. »In Gefangenschaft sollte man sie nur mit großer Vorsicht zusammenbringen. Nicht alle mögen sich nämlich gegenseitig leiden.«

      »Das Weibchen ist größer und mutiger als das Männchen«, warf Kamma dazwischen und fügte hinzu: »Und es ist anspruchsvoll. Seine erste Beute muß das Männchen unbedingt ihr abliefern. Sonst wird er verschmäht...«, sie kniff die Augen zusammen und lächelte schelmisch.

      »Das muß sie doch auch«, sagte Ingrid nüchtern und nahm sich eine Scheibe Schinken. »Er muß schließlich Futter für die Jungen fangen, und das schafft nur ein guter Jäger.«

      »Jetzt krieg’ ich aber wirklich keinen Bissen