Das goldene Kalb. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718490
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lachte. „Das hätte ich Ihnen gleich sagen können.“

      „Ich han et Juliane doch auch jesagt … aber dat Kind will und will nich auf mich hören. Sie bildet sich glatt ein, sie weiß allet besser!“

      „Sie meint eben, weil der Arzt Herrn Holzboer Diät verschrieben hat …“

      „Ja, hat er … aber Willem kümmert sich nich ’nen Deut darum.“

      „Ich finde auch eigentlich gar nicht, daß er aussieht wie ein Mann, der Diät leben muß.“

      „Doktor Vogelsang …“

      „Ich will Ihnen mal was sagen, Tante“ – wie alle hier im Haus, gebrauchte auch Frau Bärlein für die Cousine der verstorbenen Frau Holzboer diese familiäre Anrede – „die Ärzte verschreiben vieles, besonders, wenn es ein Patient ist, der Geld hat. All die verschiedenen Fläschchen und Döschen, die er auf dem Nachttisch stehen hat. Ich muß manchmal lachen, wenn ich da aufräume. Und die Ampullen. Benutzen tut er das Zeug ja doch nur, wenn es ihm gerade einfällt. Wenn unsereiner krank wird, dann heißt es …’, stecken Sie Ihre Füße in kaltes Wasser, teure Medikamente kann die Krankenkasse nicht bezahlen.“

      „Ja, ja, das ist schon wahr …“

      „An Ihrer Stelle würde ich mir bestimmt keine Sorgen um Herrn Holzboer machen. Der wird hundert Jahre alt, sage ich Ihnen, der überlebt uns alle.“

      „Erzählen Sie das mal der Juliane. Das Kind ist ja rein verrückt mit seiner Diät für den Papa. Als ob so ’n bisken Zucker ’nen Mann wie Willem umkippen könnte.“

      „Fräulein Juliane ist überhaupt reichlich nervös, nicht wahr?“

      Frau Bärlein schob ihren leeren Teller von sich und stand auf. „Ich würde mir von meinem Vater bestimmt nicht soviel gefallen lassen!“

      „Das kommt ganz auf den Vater an, Frau Bärlein.“

      „Kann schon sein.“

      „Jedenfalls wird er es mit der Christiane nicht so leicht haben. Die kommt ganz auf seine selige Mutter – dat war en As auf der Baßjeije!“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Nur so. Man darf doch wohl noch reden?“

      „Vielleicht heiratet der Prokurist sie ja.“

      „Das wissen Sie auch?“

      „Mein Gott, Tante … regen Sie sich doch nicht auf. In so einem kleinen Nest wie Leuchtenberg hört man natürlich allerhand munkeln,“

      „Wenn das der Willem erfährt. Gott sei uns allen gnädig.“

      Frau Bärlein lachte. „Aber Tante … so schlimm wird’s doch nicht gleich werden. Es ist doch ganz normal, daß ein junges Mädchen …“

      „Erzählen Sie das dem Willem. Wenn Sie Mut haben … erzählen Sie das dem Wilhelm.“

      Frau Bärlein zuckte mit den Achseln. „Mich geht es ja schließlich nichts an. Wenn ich in alles meine Nase stekken wollte, was in diesem Hause passiert …“

      „Was wollen Sie damit sagen?“

      „Sie wissen doch genauso gut Bescheid wie ich … oder?“

      „Wollen Sie damit auf die Pakete anspielen, die Christiane …“

      „Mich geht’s nichts an, ich sagte es ja schon. Aber ich sehe, was ich sehe, und ich weiß, was ich weiß!“

      „Mein Gott … der arme Willem. Wenn der wüßte ..!“ Die Tante schlug die Hände zusammen.

      „Mir tut er nicht leid, daß Sie es nur wissen. Wenn ich das Geld von Herrn Holzboer hätte, ich wüßte mir eine bessere Beschäftigung, als meine Familie zu tyrannisieren. Sie sehen ja, was er davon hat … betrogen und belogen wird er von allen Seiten. Aber mich geht’s ja nichts an.“

      Mit einem Knall stellte Frau Bärlein ihren leeren Teller zu den anderen, sie wollte heißes Wasser in das Spülbecken gießen.

      „Nee, lassen Sie das … auf den Schreck muß ich mir erst eine Tasse Kaffee genehmigen.“

      „Wenn Sie wollen …“ Frau Bärlein nahm die große Blechkanne, die ständig mit heißem Kaffee gefüllt war, vom Herd.

      „Nicht von dem Muckefuck … nee, ich habe mir gedacht, wir machen uns ’ne Tasse guten.“

      Frau Bärlein zögerte einen Augenblick. „Ich weiß nicht …“

      „Es wär’ ja noch schöner, wenn ich mir nicht mal ’ne Tasse guten Kaffee gönnen könnt. Und überhaupt, sie sind ja alle fort.“

      Frau Bärlein holte eine Blechdose aus dem Küchenschrank, schüttete eine Händvoll Kaffeebohnen in die elektrische Mühle und stellte sie an. Die Kaffeemühle surrte los, und die beiden Frauen schwiegen, weil man bei diesem Geräusch hätte schreien müssen, um sich gegenseitig zu verständigen.

      Die Küche war groß, düster und altmodisch. Die Möbel, teils alt gekauft, teils aus billigem Holz schnell zusammengeschlagen, waren schäbig. Der blitzblanke Eisschrank, Marke „Jedermann“, das Mixgerät, Marke „Jedermann“, zu dem auch die Kaffeemühle gehörte, und der kleine elektrische Herd, der ebenfalls zum Einkaufspreis aus der Firma „Jedermann“ bezogen war, hatten die optische Wirkung, die Küche wie eine alte Rumpelkammer erscheinen zu lassen, übrigens wurde der elektrische Herd fast nie benutzt, weil hohe elektrische Rechnungen Wilhelm Holzboer immer ein Dorn im Auge waren. Morgen für Morgen mußte Frau Bärlein sich bemühen, in dem großen altmodischen Kohlenherd ein Feuer zu entfachen und während der Hausarbéit alle halbe Stunde in die Küche laufen, um ein paar Holzstücke nachzuschieben, damit das Essen auch am Kochen blieb.

      Das veränderte Geräusch in der Kaffeemühle zeigte an, daß die Bohnen durchgemahlen waren. Frau Bärlein stellte die Mühle ab, schüttete das Mehl in eine Steingutkanne, die sie inzwischen vorgewärmt hatte, goß Wasser auf. Sie stellte Untertassen und zwei Tassen auf den Tisch, legte zwei Blechlöffel aus der Küchenschublade dazu, brachte eine angebrochene Büchse Kondensmilch und eine Dose Zucker. Dann schüttete sie sich und der Tante durch ein Sieb Kaffee ein.

      Die Tante bediente sich mit Milch und Zucker, dann tat sie einen kleinen, vorsichtigen Schluck und sagte seufzend: „Dat is jut.“

      Frau Bärlein nahm ihren alten Platz wieder ein, zog aus ihrer Schürzentasche eine Zigarettenschachtel und zündete sich eine Zigarette an.

      Die Tante sah auf. „Daß Ihnen so was schmeckt?“ sagte sie mißbilligend.

      „Es schmeckt mir eben“, sagte Frau Bärlein kurz und begann ihren Brief noch einmal von Anfang an zu lesen.

      In der Küche war es still. Man hörte nichts weiter als das laute Ticken des großen Weckers. Die Tante schlürfte ihren Kaffee und betrachtete Frau Bärlein mit kaum verhohlener Neugier.

      Endlich konnte sie es nicht länger aushalten. „Was schreibt er denn?“ fragte sie.

      Frau Bärlein sah hoch. „Der Brief ist nicht von meinem Mann.“

      „Nicht?“

      „Nein.“ Und nach einer Pause, die der Tante eine Ewigkeit dünkte, fügte sie hinzu: „Er ist von meiner Schwiegermutter.“

      „Ach so … und was schreibt sie denn?“

      „Sie war wieder mal beim Wohnungsamt, und anscheinend hat sie diesmal Erfolg gehabt. Man hat ihr ganz fest eine Dreizimmerwohnung für uns versprochen. Es soll ein ganzer Häuserblock für Flüchtlinge gebaut werden, die Wohnungen sollen im nächsten Herbst beziehbar sein.“

      „Die vom Wohnungsamt versprechen viel“, sagte die Tante. „Willem sagt immer: Wer sich auf die Ämter verläßt, der ist verlassen.“

      „Diesmal aber scheint es doch zu klappen.“

      „Sie sagen das, als wenn Sie