Das goldene Kalb. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718490
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die die Tante grade vor seinen Platz gestellt hatte, von sich. „Ihr wollt mich wohl verjiften, ihr Bagage, ihr!“

      „Bring das Fleisch hinaus, Tante“, sagte Juliane sehr ruhig. „Du hörst doch, daß Vater es nicht essen will.“

      „Ja, aber …“ Die Tante nahm hastig, als wenn sie fürchtete, geschlagen zu werden, die Schüssel mit dem Hühnerfleisch fort, und ging damit auf die Küchentür zu. „Ja, aber …“ stammelte sie. „Ja, aber …“

      Wilhelm Holzboer leerte ein großes Glas Sprudel in einem Zug, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und goß sich gleich wieder ein.

      Juliane hatte schon damit begonnen, aus der bauchigen Suppenterrine Erbsensuppe in die Teller zu füllen, die vor ihr aufgestapelt standen. Sie reichte den ersten Wilhelm Holzboer hinüber.

      Er wartete nicht, bis die anderen ihre Mahlzeit hatten, sondern begann sofort gierig zu löffeln. „Ätzezupp, dat is jut. Wer hat denn dat jekocht? Dat schmeckt jagroßartig.“

      „Frau Bärlein“, sagte Juliane und teilte weiter Suppe aus.

      „Siehst du, Kindchen, dat is ’n Essen für ’nen Mann der den janzen Tag schwer arbeitet. Kannste dat nicht verstehn? Mit so ’nem jeschmacklosen Hühnerfleisch kannst du doch kein Hund hinter dem Ofen vorlocken.“

      „Das hatte ich auch nicht vor, Vater.“

      „So … hattest du nicht?“ Er beobachtete sie lauernd über seinen Löffel hinweg.

      „Nein, Vater.“

      „Warum läßt du mir dann so’n Zeugs auf den Tisch stellen? Oder war es etwa die Tante, die …“

      „Nein, Vater, die Tante ist vollkommen unschuldig daran. Wenn du es für richtig hältst, dann kannst du mich ausschimpfen.“

      „Dat han ich mir jedacht, Kind. Du kannst mich nicht schnell jenug im Grab sehn, wat? Machi nicht so’n Jesicht, sonst muß ich dir eine knallen! Denkt ihr, ich weiß nicht, wat ihr euch wünscht? Ihr seht mich lieber dot als lebendig, ihr alle miteinander!“

      „Wenn das so wäre, brauchte ich mir nicht soviele Mühe mit deiner Diät zu geben.“

      „Diät! Wenn ich das schon höre.“

      „Doktor Vogelsang hat sie dir verordnet.“

      „Dieser alte Idiot!“

      Die Tante war zum Tisch zurückgekehrt und begann hastig ihre Suppe zu löffeln, so, als wenn sie Angst hätte, daß die anderen ihre Portion mit aufäßen. Niemand sagte ein Wort. Es war nichts zu hören, als das Klappern der Löffel und das schlürfende Geräusch, mit dem Wilhelm Holzboer seine Suppe hinuntersog.

      „War et eine schöne Leich?“ versuchte die Tante, ein Gespräch in Gang zu bringen.

      „Dat kann man wohl sagen“, erklärte Wilhelm Holzboer.

      „Ich wunderte mich, dat ihr alle so schnell zu Hause wart.“

      „Vater ist einfach gegangen …“ sagte Christiane.

      „Wat, Wilhelm, du bist jejangen?“

      „Ja, wat denn sonst? Meinst du, es hätt’ mir Spaß jemacht, mich vor diesem Volk zum Popanz machen zu lassen?“

      „Aber, Vater! Die Leute haben es doch gut gemeint. Es ist nun mal so Sitte, daß man bei einer Beerdigung konduliert“, sagte Juliane.

      „Pah, glaub’ ich nicht, dat die et jut jemeint haben. Die wissen janz jut … ich han mehr Jeld als die all zusammen.“

      „Ich fürchte, Vater, du hast die Leute schrecklich beleidigt, weil du so schnell gegangen bist“, sagte Christiane.

      „Die und beleidigt? Die kann man gar nicht beleidigen, Kind.“

      „Meinst du wirklich?

      „Ja, dat mein ich. Die leben ja alle von unserem Jeld.“

      „Sicher, Vater“, sagte Juliane, „aber ich glaube, sie tun es nicht gerne.“

      „Wer zwingt sie denn dazu? Ich etwa?“

      „Ich will dir keinen Vorwurf machen, Vater …“

      „Dat hätt noch jrad jefehlt. Ich will dir mal wat sagen, Kind, dat janze Volk hier is eine Bagage, dat sage ich! Denen is es janz ejal, ob du sie mit dem Stiebei in den Hintern trittst, wenn sie dann bloß mit der Nase ins Jeld fallen.“

      „Dat ist aber doch schad, Willem“, sagte die Tante, „so he schöne Leich. Bei uns zu Hause …“

      Der junge Wilhelm, der bis jetzt lustlos in seiner Suppe gestochert hatte, unterbrach sie. „Könnten wir nicht zur Abwechslung mal von etwas anderem sprechen?“ sagte er heftig.

      Wilhelm Holzboer wandte sich ihm zu. „Wat soll dat heißen? Paßt es dir etwa nicht, von was wir reden?“

      „Ich finde …“ begann der junge Wilhelm, aber er stockte mitten im Satz, Christiane hatte ihn unter dem Tisch heftig gegen das Schienbein getreten.

      „Ärgere dich nicht, Papa.“ Sie benutzte bewußt das Kosewort aus der Kinderzeit und lächelte ihrem Vater herzlich zu, „Wilhelm ist ein bißchen durcheinander von der Beerdigung und dem allen. Er redet nur so daher.“

      „Dat will ich hoffen.“

      „Es war ja auch überwältigend, nicht wahr, Papa?“ fuhr Christiane mit ihrem schönsten Lächeln fort. „All die vielen Menschen, ich glaube, die halbe Stadt war auf dem Friedhof. Wenn der Bürgermeister selber sterben würde … so viele Leute wie bei Mutter kämen bestimmt nicht.“

      „Das gehört sich auch so“, sagte Wilhelm Holzboer befriedigt.

      „Es war ein richtiges Volksfest“, redete Christiane weiter, um den Vater in gute Laune zu bringen.

      „Dat kann man wohl sagen. Und der Philipp Wisbert mittendrin. Der hat sich wohl auch jedacht, er kann sich von meinem Jeld ’nen juten Tag machen, wie?“

      „Er wird bestimmt heute nachmittag wieder im Büro sein“, sagte Juliane.

      „Dat möcht ich auch jehofft han!“ Wilhelm Holzboer stieß seinen leeren Teller von sich. „Und was jibt’s jetzt Jutes?“

      „’ne Schokoladenspeis, Willem“, sagte die Tante und stand auf.

      „Her mit dem Zeugs.“

      „Vater … du weißt ganz genau …“ begann Juliane.

      „Dat stimmt“, unterbrach Wilhelm Holzboer sie. „Ich weiß janz genau, was mich schmeckt … und wat mich schmeckt, bekommt mich auch …“

      „Doktor Vogelsang hat gesagt, Süßigkeiten sind Gift für dich.“

      „Bleib mir vom Leib mit dem! Oder willst du mich bös machen, Hinkebein?“

      „Nein, Vater.“ Julianes Stimme klang tonlos. Sie verteilte die süße Nachspeise, die die Tante inzwischen hereingebracht hatte, auf die kleinen Dessertteller und duldete es regungslos, daß ihr Vater einen zu sich zog.

      Wilhelm Holzboer aß schmatzend und mit bestem Appetit.

      „Hör mal, Papa“, wagte Christiane einen Vorstoß, als sie sah, wie es dem Vater schmeckte, „kann ich wohl am Samstag frei kriegen?“

      „Wo du dich von der Arbeit drücken kannst …“

      „Nein, ich hol’s nach, ganz bestimmt! Ich müßte bloß dringend nach München!“

      „Wat willst du denn da, Kind?“

      „Ich habe gar nichts anzuziehen, Vater, nichts Schwarzes, meine ich … und in diesem Kaff hier ist wirklich nichts zu kriegen. Ich muß unbedingt …“

      Wilhelm Holzboer hob abwehrend die Hand, er starrte einen Augenblick wie geistesabwesend über sie hinweg, dann