Das goldene Kalb. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718490
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      „Nein, aber du bist genau wie sie seine Tochter … eine Tochter Wilhelm Holzboers …“

      „Aber du bist Philipp Wispert, das scheinst du gar zu vergessen … kein Zeitungsschreiber und kein akademischer Maler. Du bist Prokurist unserer Firma. Vielleicht wird Vater sich sogar freuen, wenn du ihm sagst, daß wir heiraten wollen.“

      „Glaubst du das wirklich?“

      Sie schwieg einen Augenblick. Dann senkte sie den Kopf. „Nein“, sagte sie leise.

      Sie fuhren auseinander, als die Tür aufgerissen wurde, Wilhelm Holzboer stampfte herein, gefolgt von Juliane. In seiner Verwirrung stieß Philipp Wispert gegen die schwere Unterschriftenmappe, die polternd zu Boden schlug.

      „Wie oft han ich Ihnen jesagt, Wispert, dat Se nich aufspringen solln wie ’n Hampelmann, wenn ich reinkomme?“ dröhnte Wilhelm Holzboer.

      „Bitte, entschuldigen Sie, Herr Holzboer … ich war so in die Arbeit vertieft, daß ich …“

      Juliane versuchte, die Tür hinter sich zuzumachen, aber der Raum war so klein, daß die vier Menschen darin keinen Platz fanden. Christiane wäre gerne hinausgeschlüpft, aber der Vater versperrte ihr den Durchgang.

      „Worauf warten Se noch, Wispert? Heben Sie dat Buch schleunigst auf … oder soll ich etwa ..?“

      „Entschuldigen Sie, Herr Holzboer … ich dachte nur..“ Philipp Wispert, der sich gescheut hatte, sich zu bücken, um keine komische Figur zu machen, beugte sich rasch nieder und legte die Unterschriftenmappe wieder auf den Schreibtisch.

      „Dat is es jrade, weshalb ich mit Ihnen sprechen wollt, Wispert. Sie denken zuviel! Wat haben Se sich zum Beispiel dabei jedacht, dat Se heute morjen auf dem Friedhof erschienen sind?“

      „Ich hielt es für meine selbstverständliche Pflicht’ …“

      „Ihre Pflicht ist es, hier zu arbeiten, Wispert, dat Se es nur wissen. Ich bezahle Se nich, damit Se Ihre Zeit auf dem Friedhof vertrödeln.“

      „Ich wollte, Herr Holzboer … die verstorbene Frau Holzboer …“

      „Ich weiß, ich weiß. Sie han se karessiert. Dat war jut und schön, soweit Se dabei jearbeitet haben. Aber Trödelei während der Arbeitszeit dulde ich in meinem Betrieb nicht, verstanden?“

      „Jawohl, Herr Holzboer!“

      „Dat Se heute abend Überstunden machen, dat is Ihnen doch klar? Oder wollen Se, dat wir et Ihnen vom Gehalt abschreiben?“

      „Nein, nein, Herr Holzboer, natürlich hatte ich sowieso vor, die verlorenen Stunden einzuholen.“

      „Dat freut mich. Damit nur keine Mißverständnisse entstehen … Sie sind zwar der Sohn meines juten Freundes Wispert, aber zu unserer Familie gehören Se nicht … auch wenn Se mit die Mädchens schön tun.“

      „Ich hätte nie gewagt …“

      „Dann is et ja jut.“ Wilhelm Holzboer wandte sich Christiane zu. „Und du? Wat hast du hier zu suchen, Kind?“

      „Ich … ich wollte mit Wispert sprechen“, stotterte Christiane, dann fügte sie rasch hinzu: „Wegen der Expreßgutabteilung für Trauerfälle, Vater.“

      „Wat du nich sagst. Nu passe mal auf, Kind … ein für allemal … wenn du schon selber nicht arbeiten willst ..“

      „Vater!“ protestierte Christiane.

      „… dann halt wenigstens die anderen nicht auf. Schreib dir das hinter die Ohren, sonst kannste mal wat von deinem alten Papa erleben!“

      „Ich habe bestimmt nicht, Vater …“

      „Stehst du noch immer da rum? Du jlaubst wohl, du kannst für mein jutes Jeld die Zeit totschlagen, wat?“ Die Zornesader auf Wilhelm Holzboers Stirn schwoll bedrohlich an.

      „Komm schon, Christiane!“ Juliane faßte ihre Schwester bei der Hand und zog sie mit hinaus auf den Flur.

      „Hierbleiben!“ donnerte Wilhelm Holzboer.

      Erschrocken blieben die beiden Mädchen stehen.

      „Dich mein ich, Hinkebein! Du wolltest doch mit dem Wispert sprechen, oder … ?“

      Juliane errötete. „Ja, Vater“, sagte sie leise.

      „Na also … Verstand wie ’n Huhn!“ – Genauso abrupt wie er gekommen war, wollte Holzboer hinausstapfen.

      „Herr Holzboer!“ rief Wispert.

      „Noch etwas?“ Wilhelm Holzboer wandte sich ärgerlich um.

      „Ein Zufallj Herr Holzboer, man hat mir eine kleine Münze in die Hände gespielt … und ich dachte … wenn Sie sich vielleicht dafür interessieren …“

      „Lassen Sie sehen!“

      Philipp Wispert zog aus seiner Hosentasche ein kleines Kästchen, klappte es auf, eine goldene Münze glänzte auf schwarzem Samt.

      Wilhelm Holzboer beugte sich darüber, in seinen Augen stand unverhohlene Gier. „Janz schön“, sagte er gleichgültig.

      „Siebzehntes Jahrhundert, Herr Holzboer.“

      „Dat brauchen Se mir nicht zu sagen, dat sehe ich selber. Und wat wollen Se mit dem Ding?“

      „Ich dachte, Herr Holzboer, wenn diese Münze vielleicht zufällig in Ihrer Sammlung fehlte …“

      Wilhelm Holzboer nahm die Münze aus dem Kästchen, wog sie in der Hand, warf sie in die Luft und ließ sie auf die andere Seite fallen. „Wat soll dat Ding kosten?“

      „Dreihundertachtzig.“

      „Mann! Sind Sie wahnsinnig? Mehr als dreihundert is et bestimmt nich wert.“

      „Der Händler verlangt dreihundertachtzig.“

      „Dat kann ich nicht zahlen … dreihundertfünfzig und keinen Pfennig mehr. Für dreihundertfünfzig nehm’ ich sie.“

      Er nahm Philipp Wispert das Kästchen aus der Hand, legte die Münze behutsam hinein, schloß es und steckte es in die Hosentasche.

      „Aber, Herr Holzboer … sie gehört ja noch gar nicht mir … ich habe sie Ihnen nur mal zeigen wollen … und der Händler verlangt dreihundertachtzig.“

      „Dann bestellen Sie ihm ’nen schönen Gruß von mir, mehr als dreihundertfünfzig is dat Ding janz bestimmt nicht wert … und die kann er von mir kriegen …“

      Wilhelm Holzboer zückte seine Brieftasche, blätterte sieben zerknitterte Fünfzigmarkscheine heraus, legte sie auf den Schreibtisch. „Hier nehmen Se dat und bringen Se die Sache in Ordnung. Sie sind doch ein Kaufmann, wat? Dann müssen Se auch handeln können. Oder …“

      „Jawohl, Herr Holzboer.“

      „Und wenn Se nochmals so ’n Ding finden, dann bringen Se es ruhig mir. Ich zahl jute Preise.“ Er schob zur Tür. „Mahlzeit!“

      Juliane und Philipp Wispert sahen sich an.

      *

      Die Morgensonne war dunstig verhangen. Schneewasser tropfte von den Dächern.

      Frau Bärlein aß gedankenverloren ihr Butterbrot, während sie einen Brief las, der neben ihrem Teller auf dem Küchentisch lag. Sie hob nur kurz den Kopf, als die Tante das Tablett mit dem Frühstücksgeschirr hereinbrachte. Dann las sie weiter.

      „Ach je …“ stöhnte die Tante, „ach je …“ Sie setzte das Tablett neben dem Spülstein ab.

      „Mir platzt der Kopf“, fuhr sie fort, als sie sah, daß die Haushälterin nicht reagierte.

      „Wir haben Föhn“, murmelte Frau Bärlein, ohne von ihrem Brief aufzusehen.

      „Wenn et bloß dat wär!“ Die Tante ließ sich aufseufzend