Das goldene Kalb. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718490
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Er stapfte, gefolgt von Juliane, in die Büroräume hinauf.

      *

      Gleich von der Beerdigung aus war Philipp Wispert in sein Büro geeilt. Er hatte weder zu Mittag gegessen noch sich umgezogen, sondern er hatte sich gleich wieder in die Arbeit gestürzt, um die Zeit einzuholen, die er durch die Beerdigung verloren hatte.

      Das Zimmer, in dem Philipp Wispert von morgens sieben Uhr bis nachmittags um fünf als Prokurist des Versandhauses „Jedermann“ tätig war, glich einem dreckigen, unfreundlichen Loch. Das Fenster, das aus vielen winzig kleinen Scheiben zusammengesetzt war, bot genügend Licht, um den kleinen Raum zu erhellen, aber es war seit langem verklemmt und ließ sich nicht mehr öffnen, so daß Wispert die Tür aufmachen mußte, wenn er frische Luft hereinlassen wollte.

      Er tat das nur sehr selten, denn er liebte es, allein zu sein.

      Nicht, daß er die Einsamkeit benutzte, um zu träumen oder zu faulenzen – beides lag nicht in seiner Natur – aber er war glücklich, wenn er den Umgang mit seinen Arbeitskollegen auf das Notwendigste beschränken konnte, weil er sie alle für kleine Geister, „für durch und durch medioker“, um seinen Lieblingsausdruck zu gebrauchen, hielt. Sie kamen fast alle aus kleinen oder bürgerlichen, die meisten aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und hatten sich in den Bürodienst hinaufgearbeitet, während für Philipp Wispert die Stellung eines Prokuristen fast eine Erniedrigung bedeutete. Er war in dem Glauben aufgewachsen und erzogen worden, die angesehene Firma seines Vaters zu erben, aber bevor es noch soweit war, ging sie in Konkurs. Philipp hatte gewußt, daß der alte Holzboer an dieser Entwicklung der Dinge nicht unschuldig war, trotzdem hatte er die Möglichkeit, in seinen Betrieb einzutreten, mit beiden Händen ergriffen. Schon hundertmal hatte er diesen Sichritt bereut, aber immer dann, wenn er soweit war, zu kündigen, hatte Wilhelm Holzboer es verstanden, ihn mit unverbindlichen Versprechungen, angedeuteten Aussichten und betonter Herzlichkeit wieder dorthin zu bringen, wo er ihn haben wollte.

      Jetzt war Wispert sehr konzentriert dabei, die Posteingänge des heutigen Tages zu prüfen – er führte die verzweigte Korrespondenz mit den Lieferanten der Firma „Jedermann“, als sich die Tür öffnete und Christiane hereinschlüpfte.

      „Philipp!“ rief sie.

      Noch ehe er sich erheben konnte, war sie bei ihm, schlang ihren Arm um seinen Nacken und bot ihm die Lippen.

      Er küßte sie flüchtig, schob sie dann gleich wieder von sich. „Wie unvorsichtig, Christiane!“

      „Ach, bist du langweilig.“

      „Ich bin nicht langweilig, Christiane, ich bin nur vorsichtig.“

      „Ein Feigling bist du!“

      Er begann sich nervös die Ärmelschoner abzuziehen, die er über seinen guten, schwarzen Anzug gezogen hatte. „Wenn du nur gekommen bist, um mich zu beschimpfen …“

      „Aber, Philipp! Den ganzen Tag habe ich mich nach dir gesehnt … das kannst du dir doch denken … den ganzen Vormittag und die ganze Nacht. Ich eile auf Flügeln der Liebe zu dir, um dich mit der freudigen Uberraschung zu beglücken, daß wir am Wochenende zusammen nach München können … ich habe Vater weisgemacht, d^ß ich mir noch Trauerkleidung besorgen muß … ich freu mich wie ein Kind … und dann bist du so!“

      „Ich bin nicht so, Liebling …“

      Sie lachte. „Wenigstens dein Liebling bin ich noch … das ist doch etwas.“

      „Es tut mir leid, daß du mich für einen Feigling hältst. Christiane.“

      „Nein. Dafür halte ich dich doch gar nicht.“

      „Du hast es aber selber eben gesagt.“

      „Ach, sei doch nicht so schrecklich pedantisch. Wenn man sich ärgert, sagt man eine Menge Dinge, die man gar nicht so meint.“

      „Du weißt genau, wie vorsichtig wir sein müssen, Liebling. Stell dir vor, wenn dein Vater jetzt plötzlich hereinkäme.“

      „Er kommt aber nicht.“

      „Weißt du das ganz genau?“

      „Natürlich. Er klettert mal wieder mit Juliane in dem langweiligen alten Neubau herum, und das arme Ding zittert natürlich die ganze Zeit, daß sie ins Stolpern gerät.“

      „Das klingt ein bißchen herzlos.“

      „So? Findest du? Dir tut Juliane wohl leid?“

      „Ja … dir etwa nicht?“

      „Kein bißchen. Wie man sich bettet, so liegt man … das solltest du doch am besten wissen!“

      „Was willst du damit sagen?“

      „Oh, nichts, gar nichts!“

      „Du weißt, wie sehr ich dich liebe, Christiane, aber manchmal …“

      Sie wandte sich ihm wieder zu, lächelte strahlend und verlockend zu ihm auf. „Liebst du mich wirklich?“

      „Natürlich.“

      „Natürlich ist keine Antwort. Sag ja oder nein!“

      „Ja oder nein.“

      „Du bist wirklich gräßlich.“ Sie legte ihren kleinen blonden Kopf wie schutzsuchend an Philipps Schulter. „Sag, daß du mich liebst … sag, daß du dich auf Samstag freust.“

      „Du weißt doch genau, daß ich dich liebe, Christiane, nicht wahr? Aber grade, weil ich dich liebe, muß ich dir immer wieder sagen, du mußt vorsichtiger sein. Wenn dein Vater irgend etwas von linserer … nun ja, von unserer Liebe merkt, dann …“ Er stockte.

      Sie blickte ihn an. „Was ist dann?“

      „Das weißt du selber ganz genau.“

      „Du meinst, er wird dich rauswerfen?“

      „Wahrscheinlich.“

      „Wäre das so schlimm? Du könntest doch irgendwo anders auch eine Stellung bekommen. Ich würde mit dir kommen und wir würden heiraten.“

      „Du redest wie ein Kind.“

      „Ich rede wie eine Frau, Philipp.“

      „Es ist ja auch gut möglich, daß er sich etwas anderes ausdenkt … er könnte zum Beispiel dich fortschicken, Christiane, hast du daran noch nie gedacht?“

      „Mich?“

      „Ja. Nach München … oder zu euren Verwandten ins Rheinland. Oder zu irgendeinem Geschäftsfreund …“

      „Und du meinst, davor soll ich mich fürchten? Philipp, was bist du doch für ein Esel. Ich wäre ja heilfroh, wenn ich endlich von hier wegkäme.“

      „Und ich?“

      „Du gehörst nicht zu Wilhelm Holzboers Familie, du kannst sowieso tun und lassen, was du willst. Du kannst mit mir kommen, du kannst aber auch bleiben. Du bist ein freier Mensch, Philipp.“

      „Ein freier Mensch – zunächst ohne Stellung, wenn dein Vater mich rauswirft.“

      „Aber das kann doch nicht so weitergehen mit unserer blödsinnigen Heimlichtuerei! Philipp, ich bitte dich … wir können doch nicht bis ans Ende unserer Tage ein heimliches Liebespaar bleiben.“

      „Nicht bis ans Ende unserer Tage, aber vorläufig. Was bleibt uns denn sonst übrig?“

      „Das fragst du? Du könntest doch zum Beispiel zu Vater hingehen und ihm sagen, wie es um uns steht und daß du mich heiraten willst.“

      „Christiane!“

      „Was ist denn schon dabei? Millionen junge Männer haben Millionen Väter schon gefragt, ob sie ihre Tochter heiraten dürfen. Den Kopf wird es dich nicht kosten.“

      „Ich bitte dich, Christiane. Du weißt genauso gut wie ich, daß das Wahnsinn wäre.“

      „Das weiß