Das goldene Kalb. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718490
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bloß kein Theater hier. Oder willst du, daß alle uns auslachen?“

      „Ich glaube, ich bekomme ein Kind, Helm.“

      Es war Wilhelm, als wenn das Eis unter seinen Füßen auseinanderbräche und er in einen dunklen, eisigen Abgrund geschleudert würde. Er stand da, die Lippen aufeinandergepreßt, die Augenbrauen zusammengezogen und starrte Erika Bogdan an.

      „Dann werden sie uns erst auslachen“, sagte sie.

      „Nein!“ brüllte er. „Nein!“ – Er achtete nicht darauf, daß neugierige Blicke sich auf sie richteten.

      „Was soll ich nur tun, Helm?“

      „Ist es wahr? Bist du sicher, daß es wahr ist?“

      „Ich glaube …“

      „Warst du bei einem Arzt?“

      „Bei wem?“

      „Ja, ich weiß … natürlich nicht … Erika, mein Gott, es ist … entschuldige, nur … es kommt so schrecklich überraschend.“

      „Für mich auch, Helm.“

      „Ich weiß, natürlich. Ich muß nachdenken. Wem hast du davon erzählt?“

      „Niemanden.“

      „Auch deiner Mutter nicht?“

      „Mutter? Die würde … ich weiß nicht, was die tun würde.“

      „Und Anni?“

      „Natürlich nicht.“

      „Sie ist doch deine Freundin … und ich dachte, Freundinnen erzählen sich alles.“

      „So was nicht, Helm.“

      In sein Gesicht, das vor Schreck kalkweiß geworden war, war das Blut wieder zurückgekehrt. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. „Komm, wir müssen hier weg, irgendwohin, wo wir allein sind … wo wir über alles reden können.“

      „Was soll das für einen Sinn haben?“

      „Wir müssen nachdenken.“

      „Ich habe nachgedacht, Helm … Tag und Nacht.“

      „Und?“

      „Es gibt keinen Ausweg.“

      „Unsinn. Es gibt immer einen Ausweg. Verflucht noch mal, wenn wir bloß Geld in der Hand hätten.“

      „Wir hätten, das eben nicht tun dürfen …“

      „Ich hätte es nicht tun dürfen, willst du wohl sagen.“

      „Es ist meine Schuld … und ich wollte dir doch nur zeigen, wie sehr ich dich liebe. Und jetzt …“

      „Jetzt bekommen wir ein Kind. Vor allen Dingen mußt du jetzt sehr vorsichtig sein, Erika … nicht mehr Schlittschuhlaufen und so etwas. Ich habe gelesen, das soll nicht gut sein, in deinem Zustand.“

      „Helm!“

      „Was starrst du mich so an?“

      „Du bist mir nicht … böse?“

      „Wir werden heiraten, Erika. Nicht jetzt gleich, das werden sie uns nicht erlauben. Aber wir werden heiraten, eines Tages. Ich habe dich immer heiraten wollen. Ich habe es bloß nicht gesagt, weil es albern war. Aber ich werde dich heiraten … das schwöre ich dir.“

      *

      Wilhelm Holzboer und Juliane durchschritten nebeneinander mit den gleichen kurzen, zielbewußten Schritten den Fabrikhof, in dem schmutzige, trübe Schneepfützen standen.

      Das Versandhaus „Jedermann“ war in einer alten Holzverarbeitungsfabrik untergebracht, deren altmodische und weitläufige Gebäude als Konkursmasse an die Stadt gefallen waren. Der alte Holzboer hatte sie vor sieben Jahren, als er für sein Warenversandhaus einen größeren Raum brauchte, für wenig Geld von der Stadt gepachtet. Damals hatte es noch bei weitem ausgereicht, allen Angestellten und Arbeitern einen Arbeitsplatz zu bieten. Im Laufe der Zeit aber war es, im gleichen Maße, wie sich der Vertriebsbereich des Geschäftes und das Warenangebot vergrößerte, der Raum immer knapper und knapper geworden. Jetzt glich das alte Gebäude, dessen hygienische Einrichtungen von Anfang an unzulänglich gewesen waren und an dem im Laufe der Jahre nur die notwendigsten Reparaturen durchgeführt worden waren – Wilhelm Holzboer behauptete, daß es Pflicht der Stadt als Vermieter sei, es in Stand zu halten – mehr und mehr einem „Ameisenbau“, wie Christiane einmal gesagt hatte.

      Nur ein Eingeweihter fand sich noch darin zurecht. Die einzelnen Abteilungen waren ineinandergeschachtelt, die Büroräume waren nur durch die Packräume zu erreichen, die Werbeabteilung befand sich hoch unter dem Dach, wo es im Sommer glühend heiß war, im Winter durch alle Fugen zog. Die Waren mußten mit Handkarren von einer Abteilung zur anderen gebracht werden, die breiten Treppen waren zur Hälfte auszementiert, so daß diese Karren hinauf- und hinuntergeschoben werden konnten, eine mühselige Arbeit, unter der die Männer keuchten und die viel Zeit verschlang.

      All diese Unzulänglichkeiten hätten Wilhelm Holzboer jedoch nicht gestört, wenn die Last und Unbequemlichkeit von seinen Arbeitnehmern hätte getragen werden müssen, tatsächlich verteuerten sich dadurch zwar nicht die Herstellungskosten – außer dem Ressort Bekleidung wurden alle Waren vom Großeinkauf fertig bezogen – aber doch die Auslieferung. Was ihn am meisten störte, war die Unübersichtlichkeit des alten Gebäudes, in dem es Faulenzern leicht gelang, sich in Ecken, Winkeln und Nischen eine Zigarettenpause zu verschaffen oder die Gelegenheit zu einem ausgiebigen Tratsch. Die Unruhe, daß die Leute sich für „sein Geld“ eine angenehme Zeit machten, trieb ihn oft zehnmal am Tag durch alle Abteilungen, und wehe dem, den er nicht an seinem Arbeitsplatz vorfand.

      Die Arbeiterinnen sahen nicht auf, als Wilhelm Holzboer, gefolgt von Juliane, in den Packraum stampfte. Er hatte es streng verboten, ihn zu begrüßen, weil er darin nichts als einen Zeit- und Arbeitsverlust sah.

      „Na, Bogdan“, sagte er zu dem älteren Expedient, der das Umladen der Waren überwachte, „alles in Ordnung?“

      „Jawohl, Chef!“ Bogdan hob salutierend die Hand zur Mütze. „Bloß …“

      „Na, reden Sie schon!“

      „Ich weiß ja nich, ob Sie det jern hören, Chef … aber det neue Verpackungsmaterial is unter aller Kanone!“ – Bogdan war seinerzeit mit den Holzboers aus Berlin nach Leuchtenberg gekommen. Er hatte schon im alten Kaufhaus „Jedermann“ gearbeitet, und er war einer der wenigen, von denen Wilhelm Holzboer ein offenes Wort vertrug.

      „Sie geben sich keine Mühe, Bogdan!“

      „Wir tun, wat mir können, Chef … aber, wenn ick Ihnen sage, det jeht nich. Det Zeugs reißt einem zwischen die Finger kaputt!“

      „Ich habe dir ja gesagt, Vater …“ mischte sich Juliane ein.

      „Wat hast du mir jesagt?“

      „Es hat keinen Zweck, am Verpackungsmaterial zu sparen. Wenn die Ware nicht unbeschädigt an den Empfänger kommt, haben wir nur Ärger und Verluste, die in keinem Verhältnis zu dem gesparten Geld stehen.“

      „Is doch schön, Bogdan, wenn man ’ne Tochter hat, die allet besser weiß, wat?“

      „In diesem Punkt, Chef, muß ich dem Fräulein Juliane recht jeben!“

      „Und wat würden Sie sagen, Wenn Ihre Tochter so ’n jroßes Maul hätte?“

      „Det hat unsere Erika auch, Chef … det is eben so bei die jungen Leute, da muß man sich dran jewöhnen!“

      „Na, Juliane, dann schreib mal an die Firma Tingelmann und sieh zu, wie du die Sache in Ordnung bringst! Ist schon alles von dem neuen Verpackungsmaterial ausjeliefert?“

      „Nein, Vater … bis gestern abend jedenfalls noch nicht.“

      „Dann telejrafier am besten gleich und stopp den Auftrag, verstanden?“

      „Ja,