Bei Einbruch der Dunkelheit hatten er und Estrelle ihren halbtoten Körper heimlich zu Desdemona geschafft. In ihrer Hütte hatte die alte Schamanin sie vollständig ins Leben zurückgeholt. Seither galt Baba als ein Mensch, der von den Toten zurückgekehrt war, und sie genoss unter den eingeweihten Sklaven eine besondere Beachtung.
Doch sie ahnte, dass sie diesmal nicht so viel Glück haben würde, sollte sie Hanson in die Hände fallen oder von den Soldaten des Gouverneurs geschnappt werden.
Von dieser Erkenntnis getrieben, rannte Baba nun durch den Park hinunter zum Flussufer. Nasse Äste schlugen ihr ins Gesicht, und ihre nackten Fußsohlen schmerzten von den spitzen Steinen. Einmal schlug sie der Länge nach hin, weil der Regen den Boden rutschig gemacht hatte. Sofort rappelte sie sich wieder auf und watete so tief wie möglich ins rettende Schilf, das zu dieser Jahreszeit besonders hoch stand. Wenn es ihr gelang, auf die andere Seite des Flusses zu schwimmen, war sie in Sicherheit. Denn dort begann der Mangrovenwald, und die hohen Bananenstauden auf dem Feld dahinter standen so dicht, dass sie einem Flüchtenden gut Schutz bieten konnten.
In Gedanken überdachte Baba ihren weiteren Fluchtweg. Bis zur Dämmerung wollte sie es bis zum Rio Nuevo schaffen. Von den bewaldeten Hängen der dahinterliegenden Berge aus würde sie dann am Flint River entlang den Rückweg in die Blue Mountains antreten.
Hinter ihr hallten die Rufe zahlloser Männer. Pferdegetrappel und das Bellen von Jagdhunden waren zu hören. Hastig streifte Baba ihr schwarzes Gewand ab und watete, bekleidet mit dem blauen Arbeitskittel einer Sklavin, den sie zur Tarnung darunter trug, ins Wasser.
«Durchkämmt den Park!», rief eine Stimme im Befehlston. Eine andere brüllte: «Auf zu den Hütten! Treibt alle Sklaven raus und befragt jeden einzelnen, ob er was Verdächtiges gesehen hat.»
Baba spürte die Nähe der heranrückenden Soldaten und der ihnen folgenden Meute beinahe körperlich. Bis zum gegenüberliegenden Ufer waren es vielleicht dreihundert Fuß. Die Strömung zog das Wasser gemächlich zum Meer, das nur ein paar Meilen entfernt war. Während das Gebell der Hunde immer lauter wurde, glitt sie mit dem gesamten Körper in die Fluten. Sie musste ein ganzes Stück in den Fluss hineinschwimmen, um komplett untertauchen zu können. In der Ferne sah sie, wie die ersten Häscher das Ufer erreichten. Mit ihren Pferden galoppierten die Soldaten flussaufwärts, in die falsche Richtung, doch es würde nicht lange dauern, bis sie ihren Irrtum bemerkten.
Baba atmete tief ein und tauchte ab. Sie war eine hervorragende Schwimmerin. Als Kind hatte sie nach Muscheln und Krebsen getaucht, um den kärglichen Speiseplan in den Sklavenunterkünften ein wenig zu bereichern. Später hatte sie dazu keine Zeit mehr gehabt, weil sowohl William Blake als auch sein Aufseher gleichermaßen einen Narren an ihr gefressen hatten. Als Anerkennung ihrer besonderen Dienste bekam sie manchmal ein Stück Stoff oder einen Beutel Tabak, den sie gegen Fleisch und Fisch tauschen konnte. Das ging so lange gut, bis William ihr nicht nur die Seele, sondern auch ihr geliebtes Kind genommen hatte.
Kurz tauchte Baba auf, um Luft zu holen.
«Da!», rief eine laute Stimme. «Da war was in der Mitte des Flusses, ich habe es deutlich gesehen.»
Der Rest seiner Worte ging für Baba im gurgelnden Wasser unter. Sie hielt die Luft an und starrte mit offenen Augen ins trübe Nass. Als plötzlich ein dunkler Schatten an ihr vorbeihuschte, war der Schreck größer als die Angst vor ihren Verfolgern. Ein Flussalligator! Gut zwei Meter lang.
Baba wusste, dass die Tiere in der Regel keine Menschen anfielen, doch was wäre, wenn er so ausgehungert war wie sie selbst? Oder wenn er sich von einer tauchenden Negerin bedroht fühlte? Dies war schließlich sein Revier. Halt dich von den Dämonen der Flüsse fern, dann tun sie dir nichts!, hatte ihre Großmutter immer erklärt.
Baba schwamm, so schnell sie konnte, unter Wasser weiter. Erst als sie spürte, wie ihr die Brust eng wurde, tauchte sie kurz auf und schnappte gierig nach Luft. Die Mangrovenwurzeln auf der anderen Seite des Ufers lagen nur noch ein oder zwei Beinschläge entfernt!
«Da!» Die Stimme schallte über den Fluss. «Ich glaube, ich habe wieder etwas gesehen.»
Im gleichen Moment tauchte der schuppige Kopf des Alligators neben Baba auf. Die gelben Schlitze fixierten sie bösartig.
Fieberhaft dachte sie nach, wie sie dem Tier entkommen könnte. Sie konnte unmöglich aufspringen und wegrennen. Dann würden die Soldaten auf sie schießen!
«Das ist nur ein Krokodil», kam es vom anderen Ufer, «ich kann es ganz deutlich an seinem schuppigen Rücken erkennen, der aus dem Wasser ragt.»
Baba bekam unvermittelt eine Mangrovenwurzel zu fassen. Um den Alligator nicht aufzuschrecken, der noch immer reglos im Wasser verharrte, zog sie sich vorsichtig Richtung Ufer. Wie eine Meereskrabbe hangelte sie sich weiter voran, bis das Wasser ihr nur noch bis zur Brust reichte und eine Lücke zwischen den Wurzeln sichtbar wurde. Dort konnte sie ans Ufer kriechen.
Baba stemmte sich auf die Knie und wollte gerade in gebückter Haltung in den dahinterstehenden Wald laufen, als einer der Hunde lauthals zu bellen begann.
«Das ist sie!», brüllte einer der Männer übers Ufer. «Das muss die Frau sein, warum sonst wäre sie ins Wasser gegangen?»
So hastig und unsicher, wie Baba sich nun bewegte, mussten die Soldaten die richtigen Schlüsse ziehen.
«Ergreift sie!», schrie ein großer blonder Soldat, der sich anschickte, mitsamt seinem Pferd den Fluss zu überqueren.
Sein grüner Rock verriet, dass er ein Scharfschütze war – so viel hatte sie nach all den Jahren im Schatten der britischen Garnisonen gelernt. Er trug ein Gewehr, und er würde es nutzen. Hinter ihm folgten zwei weitere Reiter sowie eine Horde Bluthunde, die sich jetzt ebenfalls unerschrocken ins Wasser warfen. Es würde nicht lange dauern, bis ihre Verfolger das andere Ufer erreichten. Und ganz gleich, wie schnell sie ihre Beine trugen, Baba hatte kaum eine Chance, ihnen zu entkommen.
Atemlos kämpfte sie sich durch die ausladenden Bananenstauden mit ihren herunterhängenden, fleischigen Blättern. Immer wieder blickte sie zum Himmel, um sich am Stand der Sonne zu orientieren, die nach dem plötzlichen Gewittersturm mit ihrem gleißenden Licht aus den Wolken hervorbrach. Als Baba den Rand des Feldes erreicht hatte, blieb sie für einen Moment keuchend stehen. Ein kurzes Stück musste sie noch über eine freie Fläche laufen, dann wartete die bewaldete Anhöhe eines Hügels auf sie. Baba hoffte, sich dort im Unterholz verkriechen zu können.
Das Kleid klebte ihr klatschnass am Körper, der Schweiß lief ihr in Strömen das Gesicht und die Brust hinab, und ihr altes Herz raste vor Anstrengung. Als sie erneut das Bellen der Hunde vernahm, erschrak sie. Ihre geschundenen Füße wollten ihr den Dienst versagen, doch Baba zwang sich trotz der unsäglichen Schmerzen, den Weg über das harte Steppengras fortzusetzen.
Kaum dass sie am Fuße der rettenden Hügelkette angelangt war, vernahm sie das Getrappel galoppierender Pferde. Wie eine Schlange verkroch sie sich hinter einem umgestürzten Akazienbaum und spähte durch ein Loch in der Rinde. Mit durchnässten Uniformen saßen die Soldaten auf ihren schnellen Rotfüchsen und folgten den Bluthunden, die ihre dicken Nasen unablässig über den Boden schoben. Mal hier, mal da schnüffelnd, suchten sie vergeblich die Spur ihres Opfers. Offenbar hatte der Fluss ihren Geruch verschluckt.
Als die Männer vorbeigeritten waren, atmete Baba tief durch. Vorsichtig kroch sie weiter durchs Gebüsch und die verschlungene Anhöhe hinauf, bis sie auf einen ausgetretenen Waldweg stieß, der von einer hohen Baumgruppe umgeben war. Dabei schreckte sie ein paar Vögel auf, und sogleich schlugen die Hunde an. Für die Pferde war dieses unebene Terrain schwierig. Aber natürlich konnten die Hunde sie auch hier aufspüren, und die Angst, von ihnen zerfetzt zu werden, nahm mit jedem Schritt weiter zu. Aus Erfahrung wusste sie, dass die weißen Herren es gerne ihren Hunden überließen, flüchtende Sklaven mit schmerzhaften Bissen zu bestrafen. In Babas Fall würden die Soldaten sicher nicht einschreiten, bis die Bestien sie totgebissen hatten.
Schon hörte Baba ein Rascheln hinter sich, und das bösartige Kläffen kam unaufhaltsam näher. Sie fuhr