Dafür, dass die beiden jungen Frauen der rührigen Lady bei der Organisation der Hochzeit alle Freiheiten gelassen hatten, inklusive Auswahl der Brautjungfernkleider, durften sie ab sofort ‹Tante Elisabeth› zu ihr sagen.
«Du siehst bezaubernd aus», schwärmte Lady Elisabeth, während sie die Braut einer eingehenden Betrachtung unterzog. Ein Kompliment, das Lena nicht einmal aus Höflichkeit hätte erwidern können. Die Lady hatte gemäß ihrem offiziellen Alter von fünfunddreißig Jahren, das hinter dem tatsächlichen Alter mindestens fünfzehn Jahre zurücklag, nicht nur auf Rosa für das Kleid bestanden, sondern sich auch noch entsprechend geschminkt. Und während in London seit Jahren jedes Zuviel an Farbe verpönt war, lebte die Lady anscheinend immer noch im ausgehenden Rokoko. Den Mund grellrot bemalt, die Brauen geschwärzt, wippte ihr sorgfältig weiß gepudertes Doppelkinn im Takt ihrer hastigen Bewegungen. In kleinen, abgehackten Schritten defilierte sie an der wartenden Gesellschaft vorbei, mit hocherhobenem Haupt und einem stolzen Blick, als ob es sich um ihre eigene Hochzeit handeln würde.
Lena verkniff sich ein Grinsen, als sie die rosafarbenen Blüten bemerkte, die zu allem Überfluss Tante Elisabeths hellblonde Perücke schmückten, deren Locken über den Ohren zu kunstvollen Schnecken gerollt waren.
«Ach, Kind, es ist jammerschade, dass dein Vater dich nicht so sehen kann», bemerkte sie wenig taktvoll und tätschelte Lenas Wangen.
Schon seit den Morgenstunden kämpfte Lena mit den Tränen, weil sie sich tief in ihrem Innern niemanden sehnlicher herbeiwünschte als ihren Vater.
Lady Elisabeth hingegen sah die ganze Angelegenheit weitaus pragmatischer und zauberte mit einem breiten Lächeln etwas hinter ihrem Rücken hervor.
«Dein Brautstrauß!» Voller Stolz überreichte sie ihr ein beeindruckendes Gebinde aus flammend roten Blüten, in deren Mitte zarte, gelbe Fruchtkelche hervorschauten. Das Ganze war umrahmt von hellgrünen Blättern.
«Daran habe ich überhaupt nicht gedacht», erklärte Lena beinah wie zur Entschuldigung.
«Das ist ja auch nicht deine Aufgabe», erklärte Lady Elisabeth mit mütterlichem Lächeln. «Dein zukünftiger Ehemann hat mich damit beauftragt, dir diesen Blütenreigen zusammenstellen zu lassen.» Liebevoll streichelte sie über die einzelnen Blütenblätter. «Wir nennen diese Blumenart die Flamme von Jamaika. Für die Eingeborenen dieser Insel drückt sie nicht nur Leidenschaft, sondern auch Kraft und Empfindsamkeit aus.»
Lena war gerührt, dass Edward tatsächlich an einen solch hübschen Brautstrauß gedacht hatte. Vielleicht war er doch nicht so gefühlskalt, wie sie in den letzten Wochen manchmal befürchtet hatte. Plötzlich fuhr der Wind kräftig in ihren Schleier, und Maggie half ihr, den Stoff zu bändigen.
Lady Elisabeth reichte Lena die Hand. Wie bereits bei den Proben an den vorangegangenen Tagen nahm sie ungefragt die Rolle der fehlenden Brautmutter ein – eine selbst gestellte Aufgabe, die sie in Ermangelung eigener Kinder sichtlich zu genießen schien.
Weder Edward noch Lord William schienen sich an dem unkonventionellen Verhalten der Lady zu stören. Im Gegenteil, die korpulente Frau brachte auf ihre Weise so etwas wie familiäre Normalität in den Ablauf der Vorbereitungen, die dem eher unpersönlichen Klima auf Redfield Hall eine vorübergehende Leichtigkeit verlieh. Eine solche zwischenmenschliche Nähe hatte Lena seit ihrer Abreise aus London schmerzlich vermisst. Ein Grund, warum sie Lady Elisabeth gerne gewähren ließ, obwohl die Frau zweifelsohne zur Aufdringlichkeit neigte.
Unter den annähernd zweihundert illustren Hochzeitsgästen herrschte eine gelöste Stimmung, als Lena sich in Begleitung ihrer Brautjungfern dem Hauptportal näherte.
Generalgouverneur Somerset Lowry-Corry, der 2. Earl Belmore, hatte höchstpersönlich dafür gesorgt, dass Lord William und seine Familie sich einer passenden musikalischen Untermalung während des Festes erfreuen durften. Die Musikkapelle des 61th Foot Regiments aus Fort Littleton wartete vor der Kapelle mit acht Musikern auf, die sich nicht nur auf Blechhorn und Dudelsack verstanden, sondern auch Geige, Cello und Klavier beherrschten.
Unterdessen sorgte das 84th Rifle Regiment, das ebenfalls in Fort Littleton stationiert war, mit acht Berittenen unter dem Kommando von Captain Peacemaker für den nötigen Schutz der Veranstaltung. Seine Truppe hatte bereits den Gouverneur nebst Gemahlin von Spanish Town aus nach Redfield Hall begleitet.
Juliana Lowry-Corry war in ein langes, bordeauxrotes Kleid mit dazugehöriger kurzer Jacke gekleidet. Dazu trug sie erlesenen Goldschmuck, der mit rauchfarbenen Edelsteinen verziert war, und einen kleinen Federhut, der ihr aufgestecktes, ebenholzfarbenes Haar betonte. Ihr Mann war für sein fortgeschrittenes Alter recht attraktiv mit seinen grau melierten, kurz geschnittenen Haaren und den wachen, braunen Augen. Er trug einen königsblauen Frack, an dessen breitem Revers Dutzende Orden glänzten.
Eine größere Schar von Gästen entstammte dem europäischen Club, wie Lady Elisabeth ihr beiläufig erklärte – eine Versammlung jamaikanischer Honoratioren, die sich die Förderung wirtschaftlicher und politischer Ziele der Kolonie in die Statuten geschrieben hatten. Zutritt zu diesem elitären Kreis hatten ausschließlich vermögende Weiße, die aus Europa stammten und seit mindestens fünf Jahren über eine Residenz in Jamaika verfügten.
Lord William wurde dort als Ehrenmitglied geführt, und es war selbstverständlich, dass eine Abordnung an der Vermählung seines einzigen Sohnes teilnahm.
Vor den Lagerhäusern und Stallungen hatten sich in respektvollem Abstand zur noblen Gästeschar Hunderte einfach gekleideter Sklaven versammelt. Die Aufseher behielten die dunkelhäutigen Männer und Frauen stets im Auge und kontrollierten, dass sie in stummem Einvernehmen blau-weiße Papierfähnchen bereithielten, mit denen sie nach der Messe auf ein Zeichen hin dem Brautpaar zujubeln sollten.
Anlässlich der Hochzeit hatten bis auf die Haussklaven alle Schwarzen einen freien Tag erhalten sowie die Erlaubnis, das Fest auf ihre Weise feiern zu dürfen. Schon früh am Morgen hatten sie in den Strohhütten und benachbarten Dörfern unter lautem Getrommel zu tanzen begonnen. Für den späteren Nachmittag hatte der Lord ihnen eine Extraration Bier und Brot versprochen. Lenas Blick erfasste schmerzlich die Armut, aber auch die Sehnsucht nach einem besseren Leben, die ihr aus den dunklen Augen förmlich entgegensprang. Sie war fest entschlossen, sich um das Wohlergehen all dieser Menschen zu kümmern, sobald sie mit Edward verheiratet war. Wie die eleganten Damen in den Wohltätigkeitsorganisationen ihres Vaters würde sie den Bediensteten ihre Aufwartung machen und Müttern und Kindern kleine Geschenke mitbringen. Außerdem wollte sie dafür sorgen, dass die dringend benötigte medizinische Hilfe noch mehr Arbeitern zuteilwurde.
Während Lady Elisabeth immer noch an Lenas weißem Seidentraum herumzupfte, war Lord William hinzugetreten. Edwards Vater hatte sich selbstverständlich bereit erklärt, seine zukünftige Schwiegertochter in die Kirche zu führen.
Inzwischen hatten sich die Gäste hinter der Braut und Lord William zu einem zweireihigen Spalier aufgestellt. Die Militärmusiker erhoben ihre Instrumente und spielten mit konzentrierter Miene zum Hochzeitsmarsch auf.
Captain Peacemaker, ein hochgewachsener Blondschopf, der eine mit zahlreichen Orden geschmückte, graugrüne Uniform trug, hatte mit seinen Scharfschützen vor dem Eingang der Kirche Aufstellung bezogen. Beim Einmarsch würden seine Männer mit feierlicher Miene ihre Gewehre präsentieren und in einer Zweierreihe einen Durchgang für die Braut und ihr Gefolge bilden.
Plötzlich öffnete sich das Kirchenportal, und Pastor Langley trat zwischen den beiden Flügeltüren heraus. Erst vor wenigen Tagen hatte Lena mit dem asketisch aussehenden Mann die Zeremonie durchgesprochen. Der anglikanische Geistliche, dessen Nickelbrille viel zu weit vorn auf der Nase saß, war gleichzeitig Militärpastor des örtlichen Schutzkommandos und gehörte so gut wie zur Familie.
Milde lächelnd breitete er seine dürren Arme wie eine hölzerne Christusfigur aus, um sie in Empfang zu nehmen.
In ungeahnter Anspannung umklammerte Lena den angewinkelten Unterarm ihres zukünftigen Schwiegervaters und trat durch