Flamme von Jamaika. Martina Andre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Andre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726292879
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jetzt tanzten die Wipfel der Palmen wild hin und her, weil der Sturm an Kraft zugenommen hatte. Im Saal wurde es dagegen still, und alle starrten wie gebannt auf das Podium, das William Blake mit einem triumphierenden Blick in die Runde bestiegen hatte.

      «Heute ist für mich ein ganz besonderer Tag», begann er feierlich, «denn mit Stolz blicke ich auf meinen einzigen Sohn, der eine ganz besondere Frau zum Traualtar geführt hat. Eine Frau, die den weiten Weg übers Meer nicht gescheut hat, um als zukünftige Herrin von Redfield Hall diese traditionsreiche Plantage zu führen. Und wie ich hoffe», ergänzte er grinsend, «sie mit vielen gesunden Nachkommen zu segnen.»

      Ein Raunen ging durch die Menge. Hier und da entschlüpfte einer männlichen Kehle ein unanständiges Lachen. Während Lena am liebsten im Boden versunken wäre, schien Edward mit den Worten seines Vaters durchaus einverstanden zu sein. Besitzergreifend hielt er ihre schmale Taille umklammert. Plötzlich blitzte und donnerte es heftig, sodass Lord William für einen Moment seine Rede unterbrechen musste. Der Sturm brandete heftiger auf, und der Himmel verdüsterte sich.

      Als der Schrecken der Gäste sich gelegt hatte, hob Lord William von neuem an und fuhr mit seiner Laudatio fort. Doch unvermittelt ging ein weiterer Aufschrei durch die Gästeschar. Lord William schaute irritiert auf. Es hatte keinen weiteren Donnerschlag gegeben, aber Lena sah, wie sich abrupt ein schwarzer Schatten aus dem Nichts herausschälte und vor das Podium trat. Die Gestalt hielt ein flatterndes Etwas in ihrer erhobenen Hand und schien damit ihren Schwiegervater zu bedrohen.

      «Ich verfluche dich, William Blake, und deinen vermaledeiten Sohn!», ertönte die schrille Stimme einer alten Frau in gebrochenem Englisch. «Der Leib seiner Frau soll eher verfaulen, als dass er Früchte hervorbringt. Und sollte der Teufel ein Einsehen haben und ihren Körper mit seiner Brut segnen, so soll sie eines grässlichen Todes sterben, noch bevor sie niedergekommen ist!»

      Alle Gäste standen wie angewurzelt an ihrem Platz. Keiner sagte ein Wort, geschweige, dass sich jemand bewegte. Alle schienen wie verhext. Lena stockte der Atem. Dann hob die Alte plötzlich eine Machete und schlug auf das immer noch flatternde Tier ein, ein Hahn, wie Lena nun unschwer erkennen konnte. Anschließend schleuderte sie den leblosen Kadaver in hohem Bogen durch die Luft und traf Lord William damit so hart am Kopf, dass dieser zunächst rückwärtswankte und dann mit voller Wucht in die Orchesterstühle stürzte.

      Mit einem Mal war überall Blut. Williams Gesicht und sein Anzug samt Kragen waren überströmt, und auf dem Boden bildete sich ein kleiner roter See. Es sah aus, als ob dem Lord selbst jemand die Kehle durchschnitten hätte. Erneut ging ein Aufschrei durch die Menge, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die ersten Männer aufsprangen, um zumindest den toten Hahn vom Boden aufzuheben. Das Tier war zwischen Lord Willams ausgestreckten Beinen gelandet, was – so wie es auf den ersten Blick aussah – zu keinen zusätzlichen Blessuren geführt hatte.

      Erst als Edward sich von ihr löste und zu seinem Vater rannte, erwachte auch Lena aus ihrer Schockstarre. Andere Gäste, darunter einige Soldaten, machten sich daran, hinaus in den Regen zu rennen, um die Täterin zu fassen. Doch die Frau war längst durch die offen stehenden Terrassentüren entkommen. Ein hektisches Durcheinander entstand, weil die meisten Gäste nun ebenfalls nach draußen eilten.

      Der Gouverneur rief Captain Peacemaker im Vorbeieilen ein paar eindeutige Befehle zu, in denen die Worte «Tot oder lebendig!» vorkamen. Lena ließ den Blick schweifen, um Maggie in dem Trubel auszumachen.

      «Nur keine Aufregung», sagte da eine vertraute Stimme neben ihr, und schon spürte sie Lady Elisabeths mollige Hand auf der Schulter. «Sie werden diese Verrückte schon schnappen.»

      «Wer in Gottes Namen war das?», stieß Maggie hervor, die sich durch die Menge gekämpft hatte und sich nun ebenfalls zu ihnen stellte.

      Ihr war die Verwirrung über dieses plötzliche Ereignis deutlich anzusehen.

      Lady Elisabeth sammelte sich als Erste.

      «Mit Sicherheit war das keine geplante Hochzeitsüberraschung. Der Sprache nach könnte es eine Sklavin gewesen sein.»

      «Eine Sklavin?» Lena sah sie entrüstet an. «Warum sollte sie so etwas Niederträchtiges über mich sagen? Sie kennt mich doch gar nicht!»

      «Vielleicht hat es etwas mit den Aufständen zu tun, die Edward in letzter Zeit des Öfteren erwähnt hat?», überlegte Maggie, nur um sich gleich darauf selbst die Antwort zu geben. «Wobei es in seinen Schauergeschichten immer nur um entlaufene Sklaven und brennende Plantagen ging. Von fliegenden Hühnern war nie die Rede.»

      Mit einem Seufzer deutete sie auf das tote Tier, das nun unweit des Orchesters am Boden lag und auf Befehl des Gouverneurs einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden sollte.

      «Kopflose fliegende Hühner, wohlgemerkt», fügte Maggie tonlos hinzu.

      «Allem Anschein nach ist es ein Hahn», fügte Lady Elisabeth nüchtern hinzu.

      «Hat das irgendeine Bedeutung?» Maggie sah sie neugierig an.

      «Keine Ahnung», gab Elisabeth nachdenklich zurück. «Ich weiß nur, dass die Neger solche Opfergaben manchmal für etwas benutzen, das sie Obeah-Zauber nennen.»

      «Ich glaube nicht an Zauberei», erklärte Lena unmissverständlich und wandte sich suchend um. «Wo ist Edward überhaupt?»

      Sie hatte noch gesehen, wie er seinem Vater auf die Füße geholfen und sich von seiner Unversehrtheit überzeugt hatte. Danach musste er nach draußen gerannt sein. Er würde vielleicht am ehesten eine Ahnung haben, was hier soeben geschehen war.

      «Wahrscheinlich gibt er Mr. Hanson und seinen Leuten Anweisungen, um nach der Übeltäterin zu suchen», vermutete Lady Elisabeth.

      Unter den noch anwesenden Gästen rumorte es unterdessen, als ob man in ein Hornissennest gestochen hätte. Die Frauen zogen sich ängstlich in den hinteren Teil des Saales zurück, während die Männer zu Degen und Pistolen griffen, sofern sie welche mit sich führten.

      «Aber ganz gleich, was noch folgt», beschied Lady Elisabeth und blickte auf das verwaiste Buffet. «Eine solche Aufregung macht hungrig.»

      Ohne Skrupel begab sie sich zu den ganz in Weiß gekleideten Haussklaven, die ratlos und verunsichert umherschauten, und verlangte die Herausgabe jeglicher Köstlichkeiten, die ihre angespannten Nerven beruhigen würden. Lena hingegen war der Appetit gründlich vergangen. Sie sah, wie Lord William gegen seinen Willen auf eine Chaiselongue gebettet wurde, damit Dr. Lafayette ihn untersuchen konnte. Kurz entschlossen ging sie zu den beiden hin. Lord Williams Gesundheit erschien ihr inzwischen stabil genug, um ihm ein paar Fragen zu stellen.

      Kapitel 8

      September 1831 // Jamaika // Obeah- Zauber

      Mit ihren fünfzig Sommern war Baba längst nicht mehr die Jüngste. Aber das Leben in den Blue Mountains hatte sie in all den Jahren der Entbehrung zäh gemacht, und so war sie immer noch flink und konnte bei Gefahr wie eine Ferkelratte in jedem sich bietenden Loch verschwinden.

      Im Park hinter dem Herrenhaus wimmelte es bereits von Verfolgern. Auch ein paar Neger waren darunter, aber vor ihnen hatte Baba keine Angst. Geriet sie jedoch in die Hände der Weißen, war sie so gut wie tot, und diesmal würde es endgültig sein.

      Mit Schaudern dachte sie an jene schicksalhafte Nacht zurück, als sie sich im Schlafzimmer von William Blake die Adern mit einer Machete geöffnet hatte. Danach hatte der noch junge Trevor Hanson ihren blutenden, erschlafften Körper in einen dunklen Schuppen geschleppt. Ohne Gnade hatte er sie in ihrem ohnmächtigen Zustand noch einmal vergewaltigt, bevor er sie in den White River geworfen hatte. Sicher in der untrüglichen Absicht, sich die Finger nicht noch schmutziger machen zu müssen und die Entsorgung ihres Kadavers getrost den hungrigen Krokodilen zu überlassen. Im Wasser treibend, hatte sie zwar das Bewusstsein wiedererlangt, war jedoch zu schwach gewesen, um sich aus eigener Kraft ans Ufer zu retten. Dann war ihr endgültig schwarz vor Augen geworden, und