Flamme von Jamaika. Martina Andre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Andre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726292879
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Pflegerin, bot sich an, sie ein wenig herumzuführen.

      Bereitwillig erklärte sie den beiden Frauen, dass der Arzt alle zwei Wochen vorbeikam, um den Zustand der Insassen zu überprüfen.

      «Nur alle zwei Wochen?», fragte Maggie.

      «Soweit ich weiß», gab Lena zu bedenken, «betreibt Dr. Lafayette neben seiner Anstellung im Militärhospital in Fort Littleton auch noch eine Privatpraxis. Da bleibt anscheinend nicht viel Zeit.»

      Lena und Maggie waren entsetzt über das, was sie im Inneren des Hauses erwartete. Boden und Wände wirkten ungepflegt, das Mobiliar war hoffnungslos veraltet. Es gab keine Betten, sondern nur abgewetzte Strohmatratzen mit grauen Wolldecken, die schon lange keinen Waschbottich mehr gesehen hatten.

      Die Luft war stickig, und die anwesenden Patienten schliefen oder starrten lethargisch ins Nichts. Maggie warf Lena einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Ob Edward und sein Vater gar nicht wussten, wie schlecht es den Kranken dort erging?, überlegte Lena verdrossen.

      Sie wunderte sich, warum Edward ihr so stolz von der Krankenstation und dem behandelnden Arzt erzählt hatte.

      «Die meisten der Männer hier vertrauen ohnehin keinem weißen Doktor», erklärte Anny. Was sie anstelle dessen zur Heilung ihrer Leiden bevorzugten, verriet sie allerdings auch nicht.

      Mit einem parfümierten Tüchlein vor Mund und Nase schritt Lena die Pritschen der Kranken ab, dicht gefolgt von Maggie, die den Rundgang am liebsten so schnell wie möglich beendet hätte.

      «Seltsam, dass bei annähernd tausend Sklaven nur insgesamt vierzehn Männer den Krankensaal bevölkern», wunderte sich Lena.

      Einige schienen von der Schwindsucht ergriffen zu sein, weil sie Blut spuckten und stark abgemagert waren. Lena wusste, dass die Krankheit auch bei den Ärmeren auf den Straßen von London und Hamburg auftrat, aber auch längst die Salons der Großstädte erreicht hatte. Es hieß, Licht und Sonne würden die Leiden lindern, was in Anbetracht der Lage, dass sie sich hier auf einer tropischen Insel befanden, wohl nicht zu stimmen schien.

      «Die meisten von ihnen haben während der Arbeit an der Zuckermühle Quetschungen erlitten», erklärte Anny mit Bedauern in der Stimme. «Die Heilung ist zu langwierig, um sie anderweitig einzusetzen.»

      Lena machte an der Pritsche eines noch jungen, ausgemergelten Sklaven halt, dessen rechte Schulter unter der verfilzten Wolldecke verborgen lag. Er schien sie überhaupt nicht zu bemerken, denn sein fiebriger Blick ging ins Leere. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

      «Was ist mit ihm?», fragte sie Anny besorgt.

      «Nichts von Bedeutung, Madame», beeilte sich die Pflegerin zu sagen und drängte Lena weiter.

      «Nichts?»

      In der untrüglichen Ahnung, dass an der Geschichte was faul sein musste, hob Lena die Decke an. Was sie sah, nahm ihr förmlich den Atem. Dem Mann fehlte der gesamte rechte Arm. Der Verband an seiner Schulter, der auch seine Brust umspannte, war schmutzig und von übel riechenden Sekreten durchtränkt.

      «Um Himmels willen!», rief sie und wandte sich entsetzt ab.

      Auch Maggie war kaum fähig, ein Würgen zu unterdrücken. «Was ist ihm bloß widerfahren?»

      Anny zuckte mit den Schultern. «Er ist vor drei Monaten mit der Hand in die Zuckermühle geraten. Das hat ihm den Arm abgerissen. Der Doktor hat ihn operiert, aber das Fleisch will nicht heilen.»

      «Es sieht mir nicht danach aus, als ob er eine anständige medizinische Versorgung bekäme.»

      Trotz Übelkeit erwachte Lenas Kampfgeist. Offenbar kümmerten Edward und sein Vater sich nicht besonders um den Zustand der Kranken.

      «Der Master sagt, wir dürfen kein weiteres Geld für Arzt oder Medizin ausgeben. Entweder er schafft es von alleine, oder Gott wird ihn zu sich holen.»

      «Und bis es so weit ist, soll er leiden wie ein Hund?», stieß Maggie spöttisch hervor.

      «Bitte, Madame», flehte Anny und sah Lena mit großen Augen an. «Sagen Sie dem Master nicht, dass ich Sie zu ihm geführt habe. Er wird ihn sonst ganz aus dem Hospital verbannen und mich schwer bestrafen.»

      Lena glaubte, sich verhört zu haben.

      «Nichts dergleichen wird geschehen!»

      Sie kramte in ihrem perlenbesetzten Stoffbeutel, den sie passend zu ihrem hellgrünen Batistkleid trug, und zog ein paar Silbermünzen hervor. Diese drückte sie Anny in die Hand.

      «Kaufen Sie dafür so viel Laudanum, Chinin und Verbandmaterial, wie Sie bekommen können. Die Wunden müssen mit heißem Wasser gesäubert werden und benötigen täglich einen frischen Verband. Außerdem muss er viel trinken und frisches Obst essen. Dessen Beschaffung dürfte auf dieser Plantage wohl kaum ein Problem darstellen. Ich werde in zwei Wochen wiederkommen und mich selbst vom Gesundheitszustand dieses Mannes überzeugen.»

      Anny nickte verdattert, und auch der Kranke schenkte ihr plötzlich seine, wenn auch zurückhaltende Aufmerksamkeit.

      «Woher weißt du so genau, wie man ihm helfen kann?», fragte Maggie verblüfft.

      «Ich bin doch in einem Pensionat erzogen worden», erinnerte Lena ihre Freundin. «Eine meiner Lehrerinnen hat während der Napoleonischen Kriege im Lazarett gearbeitet und uns immerzu von der Behandlung der Verletzten erzählt. Es war so schauderhaft, dass ich mir einiges davon gemerkt habe.»

      «Gott schütze Sie», stammelte Anny und vollführte eine unbeholfene Verbeugung.

      Lena war das Verhalten der Frau unangenehm.

      «Es ist unvorstellbar, in welchem Zustand die Kranken vor sich hinsiechen», erklärte sie, bevor sie mit Maggie die Krankenstation verließ. «Wenn ich erst Herrin dieses Hauses bin, wird sich einiges ändern!»

      Auf dem Rückweg zum Haupthaus fehlte von Tom Doe merkwürdigerweise jede Spur.

      «Vielleicht hat er den Anblick der halbtoten Patienten nicht ertragen können», gab Lena zu bedenken, als Maggie sich nach allen Seiten umsah.

      «Kann uns nur recht sein», erwiderte Maggie, wobei ihre dunklen Knopfaugen listig aufleuchteten. «Wir könnten versuchen, unbeobachtet zum Park zu gelangen, wo der Friedhof sein soll. Was hältst du davon?»

      «Ach, ich weiß nicht», sagte Lena und setzte ihren Weg Richtung Haupthaus fort. «Was ist, wenn Edward uns erwischt?»

      «Der ist, soweit ich weiß, bei der Destille. Vor dem Abendessen wird er wohl nicht zurück sein. Und Lord William besucht einen Abgeordneten auf einer Nachbarplantage.»

      «Na gut, wenn du es sagst.» Lena zuckte mit den Schultern. «Dann sollten wir die Gelegenheit beim Schopfe packen, um etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen.»

      Zunächst führte ihr Weg hinunter zum Fluss, wobei sie versuchten, im Schutze der Bäume und Büsche zu bleiben, damit sie nicht entdeckt werden konnten. Etwa eine halbe Meile südlich vom Herrenhaus entfernt erreichten sie einen künstlichen Bachlauf, der ein sauber gestutztes Rasenstück umgab. Neugierig traten die beiden Frauen näher. Dahinter verbarg sich ein englischer Park, der von einem kunstvoll geschmiedeten Eisengitter umzäunt war. Um das Areal zu betreten, musste man durch ein Tor.

      «Für das Vorhängeschloss brauchen wir einen Schlüssel.» Lena rüttelte vergeblich an der mannshohen Pforte. «Was sich wohl dahinter verbirgt?»

      «Wir werden es gleich herausfinden», erklärte Maggie und deutete auf ein paar verbogene Stäbe im Zaun.

      Schon waren sie hindurchgeschlüpft und sahen sich um. Nach ein paar Metern kamen sie an eine kleine Lichtung mit mehr als dreißig Grabsteinen.

      «Das ist tatsächlich der besagte Friedhof!» Lena staunte nicht schlecht und begann die Inschriften zu lesen. «Die meisten Gräber sind älter als fünfzig Jahre. Hier liegen Männer und Frauen, wahrscheinlich Vorfahren von Lord William.»

      Etwas abseits gab es noch eine separate Grabstätte.