Flamme von Jamaika. Martina Andre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Andre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726292879
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blickte verlegen auf ihren Teller. Und auch Maggie saß auffallend steif auf ihrem Stuhl. Beide waren es nicht gewohnt, dass man in Anwesenheit von Damen fluchte, schon gar nicht bei Tisch.

      «Dauernd predigen sie, dass der englische König schon bald allen Sklaven die Freiheit schenken wird», fuhr Lord William aufgebracht fort und inspizierte die Speisen auf dem reich gedeckten Tisch. «Der Gouverneur ist mit mir und den übrigen Pflanzern der Meinung, dass wir notfalls mit einem Handelsembargo gegen unser ureigenes Vaterland reagieren müssen, wenn das Parlament in London und der König nicht auf unserer Seite stehen. Angus MacCallum schlug sogar vor, sämtliche Neger erschießen zu lassen, wenn es so weit kommt, dass sie sich allesamt gegen uns richten. Jedenfalls die männlichen Sklaven. Frauen und Kinder können wir notfalls illegal in die Südstaaten von Amerika verkaufen, da erhalten wir wenigstens noch einen anständigen Preis.»

      Lena schluckte schwer. Alle Schwarzen erschießen? Sie verstand das alles nicht, aber ganz offensichtlich war die Situation im Land tatsächlich weit schlimmer als angenommen.

      Während der Lord mit seinen Hasstiraden fortfuhr, servierte Jeremia ihm mit ausdruckslosem Gesicht eine Scheibe Rindfleisch, zwei gekochte Süßkartoffeln sowie etwas Gemüse.

      «Im Gouverneurspalast sind manche der Meinung, dass wir uns wie die Amerikaner vom britischen Königshaus lossagen müssen», fuhr William fort. «Falls es zum Äußersten kommt, können wir notfalls unsere amerikanischen Freunde um Unterstützung bitten.»

      Er nahm einen weiteren hastigen Schluck Wein und wandte sich dann mit offensichtlichem Appetit dem Braten zu. Mit vollem Mund sprach er weiter:

      «Der Gouverneur will, dass ich als Parlamentsabgeordneter meine guten geschäftlichen und politischen Verbindungen in die Südstaaten nutze, um die notwendigen Kontakte herzustellen.»

      «Bedeutet das, du reist nach Amerika, und ich soll die Plantage in diesen schwierigen Zeiten ganz alleine führen?», fragte Edward beunruhigt.

      «Warum nicht. Schließlich war ohnehin geplant, dass du schon bald die Leitung von Redfield Hall übernimmst. Außerdem hast du doch nun eine tüchtige Frau an deiner Seite!»

      William warf Lena ein aufforderndes Lächeln zu. Trotz der Missstimmung am Tisch freute sich Lena, dass er sie allem Anschein nach bereits vor ihrer Vermählung als vollwertiges Mitglied der Familie akzeptierte.

      «Warum verhandeln wir nicht einfach mit den Sklaven?», schlug sie eifrig vor. «Man könnte ihnen angenehmere Lebensbedingungen bieten. Mein Vater sorgt zusammen mit diversen Wohltätigkeitsorganisationen in den Arbeitervierteln Hamburgs und Londons dafür, dass es den Menschen dort bessergeht. Das beugt Aufständen vor, wie er sagt!»

      Edward begann unvermittelt zu husten. Offenbar hatte er sich an seinem Wein verschluckt.

      «Nimm die Arme hoch», riet Lena ihm mitfühlend, weil Edward bereits rot anlief und es aussah, als ob er zu ersticken drohte. «Oder soll ich –»

      «Meine Liebe», fiel Lord William ihr mit einem kalten Lächeln ins Wort, während Edward sich nur langsam von seinem Hustenanfall erholte. «Offenbar hat dein Vater dich darüber im Unklaren gelassen, wie solche Dinge tatsächlich laufen. Hast du dich je gefragt, warum du in London und auch in Hamburg in einer komfortablen Villa lebst, mit all diesen Bediensteten und dem ganzen Tand, der euch umgibt?»

      Lena spürte, dass sie sich auf gefährliches Terrain begeben hatte. «Weil mein Vater als ehrlicher Kaufmann sein Geld verdient und es sich leisten kann, in einem solchen Haus zu residieren?», bemerkte sie scheu.

      «Abgesehen davon, dass auch er sein Geld auf dem Rücken der Sklaven verdient, würde er wohl kaum auf das luxuriöse Haus verzichten und in eine Fischerhütte am Rande der Stadt ziehen, nur damit es irgendjemandem bessergeht, oder?»

      «Wie soll ich das verstehen?» Lena schaute ihren zukünftigen Schwiegervater irritiert an.

      «Nun, ohne Sklaven wäre der Zuckerpreis fünfmal so hoch», erklärte Lord William reserviert. «Dein Vater würde am Hungertuch nagen, weil ihm niemand in Europa das Zeug für so viel Geld abnehmen würde. Das Gleiche gilt für Kaffee, Rum und Tabak. Denkst du ernsthaft, die Preise würden stabil bleiben, wenn wir den Löwenanteil unseres Gewinns an die Sklaven abgeben müssten?»

      Lena schwieg und starrte auf den vor ihr stehenden, goldgeränderten Porzellanteller, auf dem zahlreiche exotische Köstlichkeiten darauf warteten, verspeist zu werden.

      «Es würde nicht nur die Existenz dieser Plantage auf der Stelle vernichten», knurrte William mit düsterem Blick. «Alle Plantagen dieser Insel wären ruiniert, wenn wir die Sklaven entlohnen würden! Und das werde ich auf keinen Fall zulassen. Schließlich geht es in nicht allzu ferner Zukunft – wie ich hoffen möchte – auch um dich und Edward und die Heimat eurer gemeinsamen Nachkommen.»

      Lord William bedachte seinen Sohn mit einem undurchsichtigen Seitenblick und hob eine Braue, bevor er sich wieder Lena zuwandte.

      «Frauen sollten sich im Übrigen nicht mit Politik beschäftigen, das macht sie hässlich. Viel besser wäre es, wenn du dich auf deine eigentlichen Aufgaben konzentrierst und zusammen mit Edward dafür sorgst, dass dieses Haus möglichst bald von Kinderlachen erfüllt wird. Bevor ich sterbe, möchte ich gerne sehen, wie die nächste Generation der Blakes auf Redfield Hall heranwächst und das fortführt, was meine Vorfahren einst so glorreich begonnen haben.»

      Lena nickte beschämt. Ihre Kehle war mit einem Mal wie zugeschnürt. Es schien ihr unmöglich, auch nur einen weiteren Bissen hinunterzuschlucken.

      «Für wann genau soll unser Sekretariat die Einladungen für die Vermählung eigentlich rausschicken, Vater? Du wolltest doch mit dem Gouverneur sprechen, wann es ihm am besten passt.»

      Lena atmete aus. Mit seiner Frage hatte Edward sie vor weiteren Peinlichkeiten gerettet.

      «Sag Bluebird und Hogsmith, dass wir den Termin auf den zweiten Sonntag im September legen», antwortete der Lord geschäftig, als habe er ihren dummen Einwand schon wieder vergessen. «Wir werden ein rauschendes Fest feiern.» William blickte mit einem eisigen Lächeln in Lenas Richtung. «Mit einer bezaubernden Braut. Die halbe Insel wird da sein. Alles, was Rang und Namen hat. Selbst der Gouverneur und seine Gemahlin haben ihr Kommen fest zugesagt. In diesen schwierigen Zeiten sollten alle auf leichtere Gedanken kommen. Und was eignet sich da besser als eine glanzvolle Hochzeit?»

      Kapitel 7

      September 1831 // Jamaika // Hochzeitsglocken

      Bis zum Hochzeitstermin Anfang September war es Lena und Maggie nicht gelungen, Licht ins Dunkel der geheimen Familiengeschichte der Blakes zu bringen. Außerdem gestaltete es sich schwierig, das Terrain rund um die Plantage auf eigene Faust zu erkunden. Zunächst war Edward strikt dagegen gewesen, dass sie sich alleine vom Haupthaus entfernten, weil er um ihre Sicherheit fürchtete, doch dann hatte er ihnen Tom Doe an die Seite gestellt.

      Tom war ein junger Sklave, dem Edward bei guter Führung die Freiheit in Aussicht gestellt hatte. Tom nahm seine Aufgabe, sie zu behüten, augenscheinlich sehr ernst. Groß und schlank, gekleidet in die Livree eines Dieners, verfolgte er Lena und Maggie wie ein Schatten. Immer dann, wenn sie sich einem angeblich unsicheren Ort der Plantage näherten, erinnerte er sie höflich daran, dass er dem Master Bericht erstatten müsse, wenn sie seine Anweisungen nicht befolgten.

      Mehrmals hatten die beiden Frauen ihn zu überlisten versucht, aber immer wenn sie geglaubt hatten, dass es ihnen gelungen wäre, ihm zu entwischen, tauchte er plötzlich wie aus dem Nichts hinter einem Strauch oder einer Hecke auf. Dabei ließ er sich nicht anmerken, ob er enttäuscht oder gar verärgert war, weil sie versucht hatten, ihn abzuschütteln.

      «Für seine Treue sollte man ihm glatt einen Orden verleihen», spöttelte Maggie, als er ihnen ein paar Tage später in einiger Entfernung zur Krankenstation folgte.

      Als sie die lang gezogene Bretterbude betraten, die gut achthundert