Flamme von Jamaika. Martina Andre. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Andre
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726292879
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Rohstoffs», führte er weiter aus. «Es entstehen Zuckersaft, Zuckersirup, Zuckermelasse, Zuckerstücke, brauner Zucker, weißer Zucker, Rum, Likör und vieles mehr.»

      Lena war ehrlich beeindruckt, obwohl sie die Menschen auf dieser Plantage weit mehr interessierten als irgendwelche Arbeitsprozesse und Maschinen. Während sie an den Feldern entlanggeritten waren, war ihr Blick immer wieder auf die vielen dunkelhäutigen Arbeiter gefallen, die in abgewetzter Kleidung ihren Pflichten nachkamen. Und zwar ohne Bezahlung. Die meisten von ihnen verrichteten ihr Werk mit stoischer Miene, wobei Lena hin und wieder auch Gesänge vernommen hatte. Doch spätestens wenn sie Edward erblickten, verstummten die Sklaven.

      «Wie viele Arbeiter sind auf Redfield Hall beschäftigt?», fragte Maggie, als sie weiterritten.

      «Wir besitzen mehr als tausend Sklaven, die sich allein um unsere Felder und die Ernte kümmern», erklärte Edward. «Hinzu kommen Pferdeknechte, Schmiede, Gespannfahrer und einige mehr, die man nicht mehr in der ersten Kolonne einsetzen kann.»

      «Erste Kolonne?» Lena schaute ihn fragend an.

      «Männer und Frauen, die die schwersten Arbeiten verrichten. Die zweite Kolonne umfasst die älteren Sklaven, und in der dritten versammeln wir die ganz jungen, die noch zu schwach sind für die Schwerstarbeit.»

      «Und sie tun das alles wirklich ohne Entlohnung?», fragte Maggie skeptisch.

      «Die Anschaffung der Sklaven und deren Versorgung ist schon teuer genug», entgegnete Edward leicht gereizt, «Wenn wir sie auch noch entlohnen müssten, wären wir ruiniert.»

      Beim Anblick der geknechteten Menschen musste Lena an die drei gefesselten Neger denken, die sie an ihrem ersten Morgen vor dem Haupthaus gesehen hatte. Bisher hatte sie es nicht gewagt, Edward darauf anzusprechen.

      «Und was ist, wenn sie nicht gehorchen?»

      Edward antwortete nicht sofort, sondern wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Sein Jackett hatte er bereits in Southwater abgelegt und hinter dem Sattel an einem Riemen festgezurrt. Das verschwitzte Hemd brachte sein breites Kreuz und seine festen Armmuskeln mehr als deutlich zur Geltung. Bei seinem Anblick fühlte sich Lena schmerzhaft daran erinnert, warum sie ihn zum Mann hatte haben wollen. Dass sie dabei versäumt hatte, sich mehr für seine Lebensumstände und seine Gesinnung zu interessieren, empfand sie inzwischen als nicht wiedergutzumachenden Fehler.

      «Hier auf der Insel ist das Leben alles andere als einfach und friedlich», antwortete er ausweichend.

      Seine Miene wurde ernst, wie stets, wenn es um die Angelegenheiten der Plantage ging. Lena rätselte, was er mit dieser Äußerung meinte, und erinnerte sich, dass der Schiffsarzt Dr. Beacon bei ihrer Ankunft ebenfalls von größeren Schwierigkeiten im Lande berichtet hatte.

      «Die Sklaven wollen mit Gewalt ihre Freiheit durchsetzen», erklärte Edward unvermittelt scharf. «Seit 1807 verbietet das britische Empire den Handel mit Negern aus Afrika. Und das verleitet ihre hier lebenden Nachfahren offenbar zu der Annahme, dass die Sklaverei gleich ganz verboten werden müsste.» Er schnaubte verächtlich. «Dabei hat niemand gesagt, dass wir die vorhandenen Sklaven oder deren Nachkommen nicht in bewährter Weise nutzen, züchten und verleihen dürfen. Das Gesetz besagt: Wenn die Mutter eine Sklavin ist, so ist auch das Kind ein Sklave. Und so schnell wird sich daran nichts ändern.»

      Lena und Maggie warfen sich einen empörten Blick zu.

      «Züchten?» Lenas Stimme klang schrill. «Edward, ich kann kaum glauben, was du da sagst. Wir sprechen hier von Menschen und nicht von Tieren!»

      «Aber Neger sind doch keine Menschen.» Er schüttelte den Kopf. «Dem Gesetz nach sind sie kaum mehr wert als Affen in einer Menagerie. Sie befinden sich in unserem Besitz wie ein Pferd oder ein Hund. Bis vor ein paar Jahren war es uns deshalb auch noch erlaubt, sie weltweit zu kaufen und zu verkaufen. Im Augenblick können wir sie nur noch untereinander verkaufen, verleihen oder tauschen.» Ein boshaftes Lächeln umspielte seinen Mund. «Oder sie notfalls illegal zu den hispanischen Inseln verschiffen, wenn wir ihrer überdrüssig sind. Dort ist ein Verkauf dann durchaus möglich, weil unsere britischen Gesetze nicht greifen.»

      Lena zog deutlich hörbar die Luft ein. Wahrscheinlich würde sich Edward über ihre Einstellung ärgern, aber das störte sie nicht. Schließlich war sie eine wohlerzogene Protestantin, und Pastor Lange, bei dem sie in Hamburg getauft und konfirmiert worden war, hatte sie stets in dem Glauben bestärkt, dass alle Menschen Gottes Kinder waren. Unabhängig davon, von wem oder wo sie geboren wurden.

      «Aber wenn man sie so miserabel behandelt, muss man sich nicht wundern, wenn sie aufständisch werden», erwiderte sie erbost.

      Edwards blaue Augen blitzten gefährlich, während er seinen Hengst ein wenig zügelte, um das Schritttempo zu halten.

      «Ich glaube nicht, liebste Lena, dass du irgendeine Ahnung davon hast, wovon wir gerade sprechen. Alles, was unseren Reichtum ausmacht, fußt auf der Arbeit von Sklaven. Alleine wären wir nicht in der Lage, auch nur eine einzige Ernte einzufahren, geschweige denn sie weiterzuverarbeiten. Dein werter Herr Vater und seine Handelspartner hätten nichts, was sie verkaufen könnten, wenn wir nicht dafür sorgen würden, dass es pünktlich geliefert wird.»

      «Und warum kann man die Arbeiter dann nicht ordentlich entlohnen?»

      «Weil wir es nicht finanzieren können», erklärte er mit entnervter Stimme. «Allein im Parish St. Ann beschäftigen die Plantagenbesitzer zurzeit knapp 25000 Sklaven. In St. Mary, wo unser Haupthaus steht, sind es 22000, und hier in St. Thomas-in-the-Vale, wo ein Großteil unserer Zuckerrohrfelder liegt, sind es insgesamt rund 10000 Männer, Frauen und Kinder. Die Arbeitsleistung eines männlichen Sklaven wird mit durchschnittlich zweiundzwanzig englischen Pfund pro Jahr berechnet. Die einer Frau mit achtzehn. Wenn wir nun von einem Durchschnittslohn von zwanzig Pfund pro Sklaven ausgehen, würden für die weißen Plantagenbesitzer allein in St. Ann zusätzliche Kosten von einer halben Million englischen Pfund entstehen, die wir auf den Zuckerpreis aufschlagen müssten. Wegen des steigenden Angebots in den letzten zwanzig Jahren ist der Wert von Zucker aber bereits um mehr als 50 Prozent gesunken. Das bedeutet, wenn wir die Arbeiter bezahlen müssten, wären wir auf einen Schlag bettelarm!»

      Lena hatte zwar nur die Hälfte von seinem Vortrag verstanden, doch sie spürte Widerspruch in sich aufsteigen.

      «Dann müssten eben alle ein wenig mehr für den Zucker bezahlen. Den Schwarzen würde es jedenfalls helfen, als freie Männer und Frauen zu leben.»

      Edwards Lachen klang höhnisch, und er warf Maggie, die etwas hinter ihnen ritt, einen spöttischen Blick zu.

      «Das meint sie nicht ernst, oder?»

      Doch Maggie wusste, was sich gehörte, und ersparte ihm eine Antwort.

      «Bitte, wer in London wäre bereit, freiwillig mehr für seinen Zucker zu zahlen?», fuhr er aufgebracht fort. «Davon mal abgesehen, meine Lieben, diese Nigger würden ihren Lohn doch gleich in Schnaps und Rum umsetzen!» Kopfschüttelnd schaute er auf die Felder. «Außerdem gehen sie ja nicht vollkommen leer aus. Wir stellen jeder Familie ein kleines Stück Land zur Verfügung, wo sie Yamswurzeln, Weizen und Mais anbauen dürfen. Wir erlauben ihnen sogar, eine Kuh zu halten oder eine Ziege. Wir sorgen dafür, dass sie ordentlich gekleidet sind und die Kirche besuchen dürfen. Manche von ihnen schließen sogar eine richtige Ehe vor Gott und dürfen auf Antrag ihre Ehepartner und Kinder besuchen, wenn diese auf einer anderen Plantage leben. Nicht zu vergessen die Krankenabteilungen, die wir extra für die Sklaven eingerichtet haben und deren Ärzte wir fortwährend mit der nötigen Ausstattung versehen. Wo, bitte schön, würde es den Negern bessergehen als auf einer Plantage?»

      Lena erkannte in seinen Augen, dass er von seiner Haltung vollkommen überzeugt war.

      «Aber wenn sie es so gut bei ihren weißen Herren haben, warum müssen sie dann in Ketten gelegt und ausgepeitscht werden?»

      «Damit sie bereit sind, ihr Äußerstes zu geben», erklärte er mitleidslos.

      «Und du denkst tatsächlich, dass sie unter solchen Umständen ihr Bestes geben?» Lena sah ihn verständnislos