Ohne das Wissen ihres Vaters hatte Lena sich ein paar tief ausgeschnittene Sommerkleider in pastelligen Farben anfertigen lassen, deren Anblick Edward sicher begeistern würde. Auch bei der Miederwäsche hatte ihre Londoner Schneiderin zu einer leichteren Variante mit neckischer Spitze geraten. Genau das Richtige für ein tropisches Paradies.
Verträumt fuhr Lena mit dem Schwamm über ihre Brüste und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn Edward sie mit seinen sanften Händen massierte, so wie er es damals heimlich bei Almack’s im Keller getan hatte.
«Kann ich gleich dein Wasser benutzen?», fragte Maggie und lugte hinter dem Paravent hervor.
«Selbstverständlich», antwortete Lena und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
In solchen Momenten wusste sie, warum sie Maggie an ihrer Seite haben wollte. Sie war so herrlich unkompliziert, eine echte Kameradin. Rasch stieg Lena aus der Wanne und trocknete sich mit schnellen Bewegungen ab. Dann schlüpfte sie in ihren seidenen Morgenmantel, den Estrelle ihr ebenfalls bereitgelegt hatte, und wollte gerade etwas von dem übrig gebliebenen Frühstück genießen, als draußen vor dem Haus ein Tumult ausbrach.
«Was ist da los?», fragte Maggie, die bereits im Wasser saß.
«Keine Ahnung.» Lena trat durch die Doppeltür in ihr eigenes Zimmer und spähte durch das Fenster in den Hof. Das Pferdegetrappel nahm zu, und jetzt waren noch mehr Stimmen zu hören. Als sie glaubte, Edwards melodischen Bariton zu erkennen, stieg ihre Nervosität.
Tatsächlich entdeckte sie ihren zukünftigen Ehemann in einem Pulk von schwarzen und weißen Männern, die teils zu Fuß, teils zu Pferd auf den freien Platz vor dem Herrenhaus strömten. Lena fühlte sich an die englischen Fuchsjagden erinnert, an denen sie zusammen mit ihrem Vater auf Einladung der Countess of Lieven teilgenommen hatte. Mit dem Unterschied, dass die Hunde dort unten angeleint waren und die Reiter keinerlei Jagdkleidung trugen.
Edward saß auf einem wunderschönen Rotfuchs und war unzweifelhaft der Anführer dieser merkwürdigen Gesellschaft. Er trug einen breitkrempigen Hut und – trotz der Hitze – lederne Handschuhe. In seiner dunklen Lederhose, dem braunen Baumwolljackett und den kniehohen Reitstiefeln kam er Lena noch stattlicher vor, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Augenblicklich machte ihr Herz einen Sprung. Doch die Freude verebbte sogleich wieder, als sie unweit entfernt drei Männer in Ketten auf einem Leiterwagen bemerkte, der von zwei Mauleseln gezogen wurde. Die Gefangenen, junge Neger, deren Muskeln von Blut und Schweiß bedeckt in der Sonne glänzten, waren allem Anschein nach ausgepeitscht worden. Jedenfalls zeugten ihre aufgeplatzten Fleischwunden auf dem Rücken von einer rüden Behandlung.
Lena verengte den Blick, um in der gleißenden Sonne besser sehen zu können, und entdeckte Trevor Hanson, der, auf einem Pferd sitzend, eine Peitsche in der Hand, mit lautem Knallen den Karren umrundete. Dahinter hatte sich eine Gruppe schwarzer Männer und Frauen in einfacher Kleidung versammelt. Offenbar handelte es sich um Sklaven, die auf Redfield Hall ihre Arbeit versahen. Stumm verfolgten sie die bedrückende Szenerie.
Hanson setzte unvermittelt zu einer flammenden Rede an, die offenbar an die Neger gerichtet war und sie allem Anschein nach einschüchtern sollte.
«Nun, was ist?», drängelte Maggie aus dem Hintergrund.
«Wenn ich das wüsste», flüsterte Lena beinahe lautlos und schob die Gardine ein Stück beiseite, wobei sie peinlich darauf bedacht war, dass sie von dort unten niemand sehen konnte.
Als Edward plötzlich eine Pistole zückte und in die Luft schoss, zuckte sie erschrocken zurück. Ihr Herzschlag galoppierte davon, und es dauerte eine Weile, bis sie den Mut fand, noch einmal nach unten zu schauen.
«Du meine Güte!», rief Maggie entsetzt. «Sag nur, die Franzosen kommen?»
«Franzosen?» Lena drehte sich um, durchschritt die Doppeltür und erschrak ein zweites Mal, weil Estrelle unbemerkt den Raum betreten hatte.
«Sie können unbesorgt sein, das sind nur Sklaven, die gegen das Gesetz verstoßen haben», erklärte die schwarze Dienerin nüchtern und hängte eins von Maggies frisch gebügelten Kleidern an den Schrank. «Mr. Hanson soll sie nach Kingston bringen, wo sie dem Richter vorgeführt werden.»
«Was haben sie denn verbrochen?», wollte Lena wissen.
«Master Edward weiß das weit besser als ich», erwiderte die Haussklavin tonlos. «Er ist soeben von seinen Ländereien in St. Thomas zurückgekehrt.» Als Lena sie weiterhin verständnislos anstarrte, fuhr sie unwillig fort: «In den letzten Tagen hat es Ärger mit Aufständischen gegeben. Aber nun ist alles wieder in Ordnung.»
Ihre Augen hatten plötzlich einen melancholischen Ausdruck, der Lena nicht gefiel. Doch Estrelle ließ sich nicht zu weiteren Erklärungen hinreißen.
«Sie werden sich noch erkälten, Missus», verkündete sie mit ernstem Gesicht. «Auch wenn es bei uns das ganze Jahr über warm ist, schützt Sie das nicht vor einem Schnupfen, wenn Sie mit feuchtem Haar und nur mit einem dünnen Hemd bekleidet umherlaufen. Soll ich Ihnen beim Ankleiden behilflich sein?»
Estrelle hielt Lena ein Kleid aus hellblauem Blümchenstoff entgegen, das so gar nicht zu ihrer Stimmung passte. Trotzdem protestierte sie nicht, sondern ließ die Frau gewähren. Nichts erschien ihr wertvoller, als eine Verbündete beim Personal zu besitzen, erst recht, wenn es sich um die erste Hausdame handelte.
Nachdem Lena in das Kleid geschlüpft war, dirigierte Estrelle sie zu einer Spiegelkommode, wo sie ihr das lange, hellblonde Haar ausbürstete, bis es fast trocken war.
«Soll ich Ihnen das Haar aufstecken, Missus?»
Estrelle sah sie mit einem undefinierbaren Blick an, der nicht verriet, was sie wirklich dachte.
Lena nickte stumm und verfolgte im Spiegel, wie die Sklavin sie mit routinierten Handgriffen in eine strenge, englische Lady verwandelte. Das Haar straff aus dem Gesicht gekämmt und zu einem schlichten Knoten auf dem Hinterkopf aufgetürmt, wirkte Lena nun nicht mehr wie das unbeschwerte Mädchen, das Edward in London zurückgelassen hatte, sondern wie eine echte Dame.
Gemeinsam halfen sie anschließend Maggie aus der Wanne. Lenas Gesellschafterin befand sich zwar sichtbar auf dem Weg der Besserung, war aber noch ziemlich wackelig auf den Beinen.
«Ich glaube, ich bin noch nicht so weit, dass ich Bäume ausreißen kann», verkündete Maggie mit erschöpfter Stimme.
Estrelle half ihr beim Abtrocknen, steckte sie in ein frisches Nachthemd und brachte sie wieder ins Bett.
«Ich denke auch, es ist besser, du schläfst noch ein wenig», sagte Lena und zog Maggie die Decke fast bis zur Nase.
«Estrelle, wären Sie bitte so freundlich, Sir Edward zu informieren, dass ich in meinem Zimmer auf ihn warte?»
Estrelle nickte ergeben und zog sich lautlos zurück. Danach wünschte Lena ihrer Freundin eine angenehme Ruhe, ging in den angrenzenden Raum und schloss die Verbindungstür. Gerade wollte sie ihre Perlenohrringe anlegen, die ihr Vater ihr zum Abschied geschenkt hatte, als die Tür zum Korridor aufflog. Es war Edward.
Lena ließ vor Schreck einen der Ohrringe fallen. Auf solch einen Überfall war sie nicht vorbereitet. Hastig bückte sie sich, um das Schmuckstück aufzuheben, obwohl sie ihrem Verlobten eigentlich vor Freude in die Arme fliegen sollte.
«Was ist das denn für eine Begrüßung?», beschwerte er sich prompt.
Das Gleiche könnte ich dich fragen, lag es Lena auf der Zunge, als sie sich aus der Hocke erhob und den Ohrring ansteckte. Von plötzlichem Unmut erfasst, dachte sie an die Strapazen, die sie auf sich genommen hatte, um zu ihm zu reisen.
«Wäre es nicht angebrachter, sich zunächst nach meinem Wohlergehen zu erkundigen, anstatt zu erwarten, dass ich dir ohne Wenn und Aber um den Hals falle?», bemerkte sie spitz. «Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung für deine gestrige Abwesenheit?»
«Du siehst zauberhaft aus», stieß er hervor, wobei er ihre Verärgerung schlichtweg ignorierte. Sein verlangender