Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374051700
Скачать книгу
verzichtet haben. Sie begriffen und begreifen sich als eine nach Gottes Wort reformierte Kirche.7 Damit ist zweierlei im Blick. Erstens: Es ist das Wort Gottes, nicht die menschliche Organisations- und Gestaltungslust, das die Kirche erneuert und zur erneuernden Umkehr ruft. Reformation und Erneuerung geschehen im Hören auf das Wort dessen, der der Herr der Kirche ist. Im Kirchennamen ist die Grundregel aller kirchlichen Erneuerung festgeschrieben. Und zweitens: Reformation und Erneuerung sind ein andauernder, die Kirche stets begleitender Prozess; die Reformation geht weiter, begleitet die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeiten als kritischer Schrittmacher zu neuen Stationen, Kontexten, Herausforderungen. Der vielzitierte Satz ecclesia est semper reformanda8 trifft dieses Selbstverständnis ziemlich genau. Konsequenter reformatorisch bedeutete auch konsequenter in der Abgrenzung von Rom – dies übrigens bis in die Liturgie und die Gestaltung des Kirchenraums hinein. Darin war dann auch eine identitätsbestimmende Unterscheidung vom konfessionsverwandten Luthertum impliziert, nach der die Lutheraner bisweilen als auf halbem Wege stehengebliebene Evangelische betrachtet werden konnten.

      Das Bemühen, konsequenter reformatorische Kirche zu sein, wirkte deutlich profilierend. Man wollte das Wort Gottes konsequenter hören, deshalb hörte man es von Anfang an in der Einheit der Bibel Alten und Neuen Testaments. Reformierte Theologie betont stärker die Einheit der Schrift als die diese Einheit in Schwingung versetzende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Sie unterscheidet, aber scheidet nicht, deshalb der konstruktive paränetische Gebrauch des Gesetzes Gottes. Man wollte den neuen Gehorsam der Christen energischer zur Geltung bringen und maß den Zehn Geboten (in ihrer ursprünglichen biblischen Zählung) großes Gewicht zu. Man widmete der Gestaltung des christlichen Lebens unter der Regie des tertius usus legis große Aufmerksamkeit. Die Rechtfertigung wurde mit Calvin final auf die Heiligung hingeordnet. Der Primat der Gnade kam wiederum in der Lehre von Gottes souveräner Gnadenwahl zum Ausdruck, die seit der Synode von Dordrecht (1618/19) als Identitätsmarker reformierter Orthodoxie gilt.

      Das Verhältnis zu den Instanzen der politischen Herrschaft war in der Regel ein kritisches. Oft genug war man Kirche im Widerstand und in der Leidensnachfolge gewesen und wollte sich möglichst unabhängig von staatlicher Bevormundung wissen. Es war zudem nicht nebensächlich, dass Zwingli und Calvin in Stadtrepubliken wirkten, wo nicht fürstliche Obrigkeiten, sondern gewählte Magistrate die Geschicke lenkten. Man kann durchaus von einer besonderen politischen Sensibilität der reformierten Kirchen in Westeuropa sprechen und ihnen einen nicht unwichtigen Anteil an der neuzeitlichen Plausibilisierung demokratischer Herrschaftsformen zuerkennen.

      IV.VERÄNDERUNGEN REFORMIERTER LEHRPOSITIONEN – DAS BEISPIEL DER LEUENBERGER KONKORDIE

      Konfessionen sind geschichtliche Phänomene und unterliegen dem Wandel. Die Lehrdifferenzen des 16. Jahrhunderts lassen sich nicht maßstabgetreu in die Welt des 21. Jahrhunderts übertragen – glücklicherweise, möchte man sagen. Es gibt freilich immer auch Kräfte, die die Verflüssigung konfessioneller Differenzen mit Argwohn betrachten und beharrlich an deren Festigung und Versteinerung arbeiten.

      Ganz gewiss hat Bonhoeffer überzeichnet. Auch bei der Frage »Was glauben wir wirklich? d. h. so, dass wir mit unserem Leben daran hängen?« dürfte man rascher von den konfessionsverschiedenen Antwortperspektiven eingeholt werden, als man zunächst vermutet hatte. Aber Bonhoeffer hat richtig gesehen, dass sich die konfessionellen Unterschiede angesichts der sehr unterschiedlichen Reaktionsweisen der christlichen Kirchen und Theologien auf die religiösen Verdunstungs- und Transformationsprozesse im heutigen Europa relativieren und umformatieren.