64Vgl. BERNHARD WALDENFELS, Bruchlinien der Erfahrung, Frankfurt a. M. 2002; HERMANN DEUSER, Religionsphilosophie, Berlin/New York 2009, bes. §§ 10–12 (260–339), § 16,1.2 (430–436), § 18,1 (479–490).
65Phänomenologie und Sprachkritik verbindet JOHANNES PREUSKER, Die Gemeinsamkeit der Leiber. Eine sprachkritische Interexistenzialanalyse der Leibphänomenologie von Hermann Schmitz und Thomas Fuchs, Bern u. a. 2014.
66Vgl. GEORG HANS NEUWEG, Das Schweigen der Könner. Gesammelte Schriften zum impliziten Wissen, Münster 2015. In Erlangen arbeitet das DFG-Graduiertenkolleg 1718 zu »Präsenz und implizites Wissen«, in dessen Rahmen eben eine Dissertation über das Narrativ des »born again« abgeschlossen wurde.
67Vgl. etwa MENTZER, Handbüchlein, Fr. 123–125.
68CARL HEINZ RATSCHOW, Der angefochtene Glaube, Gütersloh ³1967, 234f. HÄrle, Dogmatik, 108f. zitiert Ratschow nicht im Zusammenhang der Gewissheitsthematik, aber für den (je eigenen, für andere nicht nachvollziehbaren) Anspruch der Religion auf Absolutheit.
69Vgl. WALTER SPARN, The Tested Faith and the God of Love: The Eschatological Proviso in the Christian Conception of God, in: PAUL MIDDLETON (ed.), The God of Love and Human Dignity, London/New York 2007, 165–191.
70PAUL RICŒUR, Das Selbst als ein Anderer (Soi-même comme un autre, Paris 1990), München 1996, bes. Zehnte Abhandlung: Auf dem Weg zu welcher Ontologie? (259– 426). Vgl. CHRISTIAN FERBER, Der wirkliche Mensch als möglicher. Paul Ricœurs Anthropologie als Grundlagenreflexion der Theologie, Göttingen 2012.
71Vgl. BAYER, Martin Luthers Theologie, 211–215.
72MARTIN LUTHER, Großer Galater-Kommentar (1531), WA 40/I, 589,25f. (zu Gal 4,69). Vgl. JÖRG BAUER, Die reformatorisch-lutherische Rechtfertigungslehre angesichts der Herausforderung durch das neuzeitliche Selbstbewußtsein (2000), in: DERS., Lutherische Gestalten – heterodoxe Orthodoxien, Tübingen 2010, 351–362.
73DEUSER, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, § 2, (38–41); für die Offenbarung als Erschließungserfahrung bezieht sich Deuser auch auf EILERT HERMS, Art. Offenbarung, in: TRE 25, Berlin/New York 1995, 146–210.
74Vgl. OLIVER SCHOLZ, Art. Zeugnis I., in: HWPh, Bd. 12, Basel 2005, Sp. 1317–1324; JOHANNES V. LÜPKE, Art. Zeugnis II. Theologie, a.a.O., Sp. 1324–1330.
75So Z. B. TOM KLEFFMANN, Grundriß der Systematischen Theologie, Tübingen 2013, 57. Nicht zum Gesagten passt allerdings die Bestimmung des Glaubens als »Sich-von-sich-selbst-Abstoßen des Fürsichseins« (a.a.O., 55). Richtiger im Sinne der reformatorischen Konstellation von Glaubensgewissheit und Selbstbewusstein ist es, auf »Gesetz und Evangelium als Selbstdifferenzierung des Glaubens« zu verweisen, wie DIETRICH KORSCH, Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein, Tübingen 1989, 273ff.
76So auch DEUSER, Kleine Einführung in die Systematische Theologie, § 2 (bes. 37f.) bzw. §§ 9–12 (121–162ff.). Die Anregungen Hermann Timms zu einer Phänomenologie des Heiligen Geistes nimmt auf: CHRISTIAN SENKEL (Hrsg.), Geistes Gegenwart. Zur religiösen Deutung der Lebenswelt, Leipzig 2015.
77GESCHE LINDE, Zeichen und Gewißheit. Semiotische Entfaltung eines protestantisch-theologischen Begriffs, Tübingen 2013, bes. 184ff. Vgl. auch MARC GRÜNWALD, Charles S. Peirce’s Semiotischer Realismus, in: MJbTh VI, Marburg 1994, 101–141.
DER DISKRETE CHARME DER REFORMIERTEN THEOLOGIE
BEOBACHTUNGEN ZU EINEM SPEZIELLEN TYPUS THEOLOGISCHEN DENKENS
Michael Beintker
I.REFORMIERTE THEOLOGIE – IHR VERBREITUNGSGRAD
Theologie mit dem Attribut reformiert wird überall dort getrieben, wo es reformierte Kirchen gibt. Wie sich eine lutherische, katholische, orthodoxe oder anglikanische Theologie von ihren kirchlich-konfessionellen Kontexten her erfassen und darstellen lässt, so setzt auch die reformierte Theologie einen bestimmten Kirchentypus voraus, durch den sie geprägt wird und auf den sie sich forschend und lehrend bezieht. Das geschieht im übergeordneten Horizont der una sancta catholica et apostolica ecclesia, muss also weder auf eine konfessionelle Engführung noch auf eine konfessionalistische Versteifung hinauslaufen, obwohl es das – wie bei anderen konfessionell bestimmten Theologien auch – gegeben hat und immer wieder gibt.
In Deutschland existieren gegenwärtig drei Professuren, die ausdrücklich der Pflege reformierter Theologie gewidmet sind, eine in Göttingen (Martin Laube) und zwei in Münster (Anne Käfer und Christina Hoegen-Rohls). Daraus darf man freilich nicht folgern, dass man es nur in Göttingen und Münster mit reformierter Theologie zu tun bekommt. Im Herbst eines jeden Jahres tritt – in der Regel in Wuppertal – die Konferenz reformierter Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen zusammen. Das ist eine der wissenschaftlichen Diskussion verpflichtete Fachkonferenz, zu der deutsche reformierte Theologinnen und Theologen nach der Habilitation eingeladen werden. Von den etwa 50 Einzuladenden erscheinen regelmäßig 15 bis 20 Personen. Gemessen an der Minderheitensituation der Reformierten in Deutschland1 ist das eine erstaunlich hohe Repräsentanz. Zu diesem Kreis gehören unter anderen die Systematiker Magdalene Frettlöh, Matthias Freudenberg, Okko Herlyn, Marco Hofheinz, Christian Link, Georg Plasger, Michael Weinrich, Michael Welker, der Ethiker Karl-Wilhelm Dahm und der Autor dieses Beitrags, die Exegeten Rainer Albertz, Christina Hoegen-Rohls, Andreas Lindemann, Thomas Naumann. Als Reformierte verstehen sich auch Eberhard Busch, Otfried Hofius, Gisela Kittel, Ulrich Körtner, Ernstpeter Maurer, Jan Rohls und Klaas Huizing. So gesehen ist die reformierte Theologie akademisch gut vertreten und alles andere als ein Randphänomen.
Auf die Frage von Kollegen anderer Fächer, was man sich unter reformierter Theologie vorzustellen habe, habe ich meist geantwortet, dass es sich um eine theologische Richtung der evangelischen Theologie handele, bei der die Reformation in Westeuropa und die von ihr ausgehenden Wirkungen im Zentrum der Aufmerksamkeit stünden und die Themenstellungen und Forschungsgebiete vorstrukturierten. Die westeuropäische Allokation ist natürlich etwas einseitig. Schon im 16. Jahrhundert entstand im hungarophonen Raum eine selbstbewusste reformierte Kirche. Und auch in Asien, Afrika und Lateinamerika finden wir robuste reformierte Kirchen. Aber richtig ist doch, dass mit Zwingli und Calvin die alle anderen überragenden Reformatoren der reformierten Christenheit genannt sind und dass die reformatorische Bewegung von Genf aus nach Schottland und in die Niederlande ausstrahlte, um von dort aus ihren Weg in die presbyterianisch und/oder kongregationalistisch geprägte Welt des Westens zu nehmen und das zu beeinflussen und mitzuprägen, was man die westliche Zivilisation nennen kann.
Damit ist aber auch sogleich ein globales Problem der reformierten Theologie impliziert: Die in der nördlichen Hemisphäre von den akademischen Standards des Westens geprägte reformierte Theologie ist in der Weltgemeinschaft der reformierten Kirchen heute umstritten. Die theologische Reflexion, wie sie an den theologischen Fakultäten Europas