Martina funkelte ihn an. »Verlaß dich nicht zu sehr darauf, Kurt! Sie ist zäh! Zäh genug, dich zu überleben!«
»Bitte, zankt euch nicht«, mischte sich die alte Frau Wülfing ein. »Das gehört sich nicht, an meinem Geburtstag schon gar nicht. Erzähl uns lieber, Martina, wie es zu dieser Scheidung gekommen ist.«
Als Martina schwieg, antwortete sie sich selber: »Er hat eine andere kennengelernt! Kränk dich nicht darüber, so etwas soll vorkommen. Aber daß er sich deswegen gleich scheiden lassen muß. Konntest du ihm das nicht ausreden?«
Martina betupfte sich die Lippen mit der Serviette und nahm einen Schluck Kaffee, bevor sie sprach. »Du siehst die Dinge falsch, Großma. Ich bin es, die die Scheidung will.«
»Aber warum?« fragte ihre Mutter. »Er verdient doch ganz gut. Und dann seine Pension . . . «
»Weil ich mich mit ihm gelangweilt habe, wenn ihr es genau wissen wollt. Und ich sehe nicht ein, warum ich mich mein ganzes Leben langweilen soll, nur um später an eine Pension zu kommen.«
Alle blickten sie an, die Großmutter mit leichter Belustigung, die Mutter entsetzt und Kurt Handschuhmacher nachdenklich, als bemühe er sich, diese Mitteilung ganz ernsthaft zu verarbeiten. »Ich erwarte nicht, daß ihr es versteht«, sagte Martina, »sondern nur, daß ihr es zur Kenntnis nehmt. Ich für mein Teil habe begriffen, daß ich weder seelische noch praktische Unterstützung von euch erwarten kann. Damit, finde ich, sollte das Thema erledigt sein.«
Als immer noch niemand sich äußerte, sagte sie: »Ich nehme mir noch ein Stück Torte, sie ist wirklich großartig. So gut hättest du die gar nicht backen können, Großma.«
Anfang März bekam Martina in ihrer Scheidungssache einen Sühnetermin beim Amtsgericht Dinslaken. Sie nahm ihn nicht wahr, sondern ließ sich von ihrem Anwalt entschuldigen. Tatsächlich steckte sie bis über die Ohren in Arbeit. Die theoretischen und praktischen Prüfungen in der Kosmetikschule hatten gerade begonnen. Sie dauerten eine volle Woche. Für Martina, der das Lernen schwerer gefallen war als mancher jüngeren Kollegin – sie hatte ihren Kopf lange Jahre überhaupt nicht anzustrengen brauchen –, war es eine schreckliche Zeit. Nachts konnte sie nicht mehr schlafen und tags brachte sie kaum einen Bissen herunter. Die Prüfungsangst hatte sie wie ein Fieber erfaßt.
Natürlich hatten weder ihr Mann noch ihre Kinder Verständnis für ihre Situation, und das machte es für sie noch schwerer. Claudia und Stefan hatten so etwas noch nie mitgemacht, und Helmut, dessen eigener Aufstieg über zahlreiche Kurse und Prüfungen gegangen war, wollte nicht wahrhaben, daß seine Frau imstande war, etwas auch nur vergleichsweise Ähnliches zu schaffen.
In den praxisbezogenen Fächern – präparative, pflegende und dekorative und regenerierende Kosmetik, Massage, Ganzheitskosmetik und Warenkunde – fühlte Martina sich ziemlich sicher, aber die Prüfungen in Physiologie, Anatomie, Chemie und Physik waren ein Alptraum für sie. Erst gegen Ende der Woche ging es ihr besser. Obwohl keine Einzelnoten bekanntgegeben wurden, entnahm Martina dem Auftreten der Lehrkräfte ihr gegenüber, daß sie gut abgeschnitten hatte. Im Gespräch mit Dr. Opitz, einem freundlichen alten Hautarzt, gelang es ihr sogar, mit ihren Kenntnissen zu glänzen.
Am Samstagvormittag wurden dann in einer kleinen Feierstunde die Diplome verteilt. Martina wäre am liebsten bis zur Decke gesprungen vor Erleichterung; sie hatte mit Auszeichnung bestanden.
Eine kleine Gruppe von Schülerinnen, darunter die besten, blieb nach der offiziellen Feier noch beisammen, um sich im »Café Bierhoff« bei Likör, Kaffee, Torten und Sekt gegenseitig zu ihren Erfolgen zu beglückwünschen und die gewaltige Spannung abzureagieren. Irene Klose und Martina versprachen einander, den Kontakt aufrechtzuerhalten.
Als Martina, noch sehr »aufgedreht«, nach Hause kam, saß ihre Schwiegermutter mit Helmut und den Kindern am gedeckten Tisch, als ob sie dort hingehöre; eine untersetzte Frau, die sich auf ihr mehr als schlicht frisiertes Haar und die abgearbeiteten Hände etwas zugute hielt. »Ich habe schon mal das Essen warmgemacht«, sagte sie vorwurfsvoll. »Deine Leute hatten Hunger.«
»Eine sehr gute Idee!« Martina wollte sich die Laune nicht verderben lassen; sie beugte sich zu ihrer Schwiegermutter, um sie zu küssen.
Anna Stadelmanns Gesicht wich vor ihr zurück. »Du hast doch nicht etwa getrunken?!«
»Doch. Hab’ ich!« Martina lachte und küßte Stefan und Claudia nacheinander. »Ihr könnt mir gratulieren, Kinder – und auch du, Helmut. Ich habe die Prüfung bestanden. Mit Auszeichnung.«
»Wat für ’ne Prüfung?« fragte die Schwiegermutter.
»Die Kosmetikprüfung«, soufflierte Helmut. »Du weißt doch!«
»Kosmetik? Da hast du aber auch was Warmes.«
Martina zog das Dokument aus ihrer Kollegtasche. »Damit kann ich Geld verdienen, Schwiegermutter!«
»Und wofür hast du dat nötig? Du hast einen guten Mann und . . . «
Helmut mischte sich ein. »Wollen wir dieses Thema doch lieber auf später vertagen.«
Martina holte sich Teller und Besteck und setzte sich zu ihrer Familie an den Tisch. Sie versuchte, ein harmloses Gespräch mit der Schwiegermutter in Gang zu bringen. Aber es gelang ihr nicht. Anna Stadelmann blieb abwehrend.
Das war eigentlich immer so gewesen. Martina hatte ihre Schwiegermutter, die so anders war als ihre eigene Mutter, nämlich eine tüchtige, zupackende Frau, von Anfang an sehr geschätzt. Aber es war ihr nicht gelungen, ihre Sympathie, noch weniger ihre Achtung zu erringen. Martina wußte, daß es nicht ihre Schuld war. Anna Stadelmann hatte sich für ihren Sohn eine andere Frau gewünscht. Es hatte sie gestört und gegen Martina eingenommen, daß sie heiraten mußten, als ein Kind unterwegs war. Sie hatte es nie verwunden, daß Martina damals noch nichts vom Haushalt verstanden, mehr vielleicht noch, daß sie nur eine spärliche Aussteuer und gar keine Mitgift in die Ehe gebracht hatte. Ihre Hübschheit, ihr Geschick, sich zurechtzumachen und sich aus billigen Stoffen selber elegante Kleidung zu schneidern, waren in ihren Augen bedeutungslose, eher verdächtige Talente.
Das alles ging Martina durch den Kopf, während sie, immer stiller werdend, die Mutter ihres Mannes beobachtete. Sicher war Anna Stadelmann nicht dafür verantwortlich, daß ihre Ehe gescheitert war – und doch: wäre Helmut nicht so sehr ihr Sohn gewesen, hätte sie eine größere Chance gehabt. Die Schwiegermutter verkörperte all das, was sie an ihrem Mann so reizte: Selbstgerechtigkeit, Uneinsichtigkeit, Sturheit, eine Lebensauffassung, die sich nur aus Vorurteilen zusammensetzte.
Kaum war das Essen vorüber und der Tisch abgedeckt, wurden die Kinder in ihr Zimmer geschickt.
»Ich koche uns noch rasch eine Tasse Kaffee«, erbot sich Martina, obwohl sie wußte, daß sie nicht einmal das ihrer Schwiegermutter recht machen konnte; nahm sie das normale Maß an Kaffeepulver, war er für Anna Stadelmann zu schwach, gab sie etwas mehr dazu, so galt sie als Verschwenderin.
»Ich weiß schon, über was ihr reden wollt!« platzte Claudia heraus.
Martina, die gerade die Tür erreicht hatte, drehte sich überrascht um. Claudia stand in starrer, verkrampfter Haltung, das spitze Kinn weit vorgeschoben, die Fäuste geballt. »Über die Scheidung.«
»Kann schon sein.« Martina trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Aber nun komm schon.«
Claudia wich einen Schritt zurück. »Aber ich lasse mich nicht verschaukeln!« rief sie wild. »Ich lasse mir meinen Vati nicht nehmen!«
Martina stand bestürzt vor diesem Ausbruch.
»Er gehört mir!« schrie Claudia.
»Mach mal die Augen zu, dann siehst du, wat dir gehört«, sagte Anna Stadelmann.
Ernüchtert ließ Claudia sich aus dem Zimmer schieben.
Im Hinausgehen hörte