Sie verbrachten die Nacht, eine sehr leidenschaftliche Nacht, im Hotel »Zum Storchennest«, und Helmut, der lange keine Frau mehr gehabt hatte, war in bester Form.
Obwohl Susi sehr entspannt war, verlor sie ihr Ziel keine Sekunde aus den Augen.
Wenige Tage später – es war ein Sonntagmorgen, und Martina hatte die Kinder zur Kirche geschickt – erklärte Helmut seiner Frau, daß er sich durchgerungen habe, sich nach ihren Bedingungen scheiden zu lassen.
»Stimmt das auch?« fragte sie ungläubig. »Oder ist das eine Falle?«
Er saß noch bei einer letzten Tasse Kaffee und einer Zigarette, während sie sich schon ihre Schürze vorgebunden hatte und dabei war, die Wohnung aufzuräumen.
»Was für eine Falle könnte ich dir schon noch stellen?« fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sie setzte sich, das Staubtuch in der Hand, ihm gegenüber an den Frühstückstisch.
»Du willst mir das Geld also tatsächlich zahlen?«
»Ja«, sagte er schlicht.
»Und woher nimmst du es?«
»Wieso interessiert dich das auf einmal? Vorher hast du doch nicht danach gefragt.«
»Auch wieder wahr.« Zu ihrer Überraschung spürte Martina nichts von der freudigen Erleichterung, die ihrer Meinung nach dem Anlaß entsprochen hätte. Plötzlich war es ihr, als wollte Helmut sie ganz gerne loswerden – wenn er sogar noch bereit war, ihr Geld hinterherzuwerfen.
Aber sie ließ sich ihre Verwirrung nicht anmerken. »Jedenfalls bin ich sehr froh darüber. Dann kann die Scheidung also ohne weiteres über die Bühne gehen. Eine reine Formsache.« Sie wollte aufstehen.
Er packte sie beim Handgelenk. »Habe ich nicht wenigstens einen kleinen Dank verdient?«
»Danke, Helmut.«
»Du mußt zugeben, daß ich mich in dieser Sache höchst anständig benommen habe.«
Sie hatte eine boshafte Antwort wie »Es blieb dir wohl auch nichts anderes übrig« schon auf der Zunge, unterdrückte sie aber und sagte statt dessen: »Zugegeben.«
»Wie wär’s dann mit einem Kuß?«
Sie betrachtete ihn kritisch. Er sah, in einem schief zugeknöpften Baumwollpyjama, der seine behaarte Brust freigab, den Hausmantel achtlos übergezogen, sehr männlich aus.
»Du bist unrasiert«, stellte sie fest.
»Na wennschon.« Es gelang ihm, sie auf seinen Schoß zu ziehen.
»Martina«, sagte er eindringlich, »findest du nicht auch, daß du das Spiel jetzt weit genug getrieben hast?«
»Es ist kein Spiel, Helmut.«
»Wollen wir nicht endlich den ganzen Unsinn lassen? Wir sind doch Mann und Frau . . . Wir haben uns immer gut verstanden.«
»Ich habe dich verstanden, Helmut. Einigermaßen jedenfalls. Du mich nie.«
»Mach dich nicht interessant!«
»Da siehst du! Sobald ich dir zu erklären versuche, daß ich nicht so bin, wie du mich sehen willst, magst du nichts hören. Nein, wir passen nicht zusammen, Helmut. Was du suchst, ist ein gefügiges Weibchen, das dir das Essen kocht und das Bett wärmt. Sonst nichts.«
»Denk an die Kinder!«
Für ihn unerwartet riß sie sich mit einem Ruck los und kam auf die Füße. »Die Kinder werden es bei mir sehr gut haben! Sie werden aufleben, wenn sie nicht mehr unter unseren Spannungen leiden müssen. Wenn sie endlich ein harmonisches Zuhause haben!«
Ohne daß sie es sich zugab, genoß sie es, daß er sich doch noch einmal um sie bemühte; sie kam sich nicht länger wie ein abgenutztes Möbelstück vor, das man beiseite schob, weil man es nicht mehr brauchte, für das man sogar noch zahlte, nur damit es endlich fortgeschafft wurde. Ihre Augen funkelten, ihre Wangen hatten sich gerötet.
Er betrachtete sie nachdenklich. »Wenn ich nur wüßte, was du wirklich vorhast!«
Am Nachmittag fuhr Martina nach Essen. Ihre Großmutter feierte 67. Geburtstag.
Immer, wenn Martina das große, um die Jahrhundertwende gebaute Mietshaus betrat, das, abgesehen von den Löchern, die einige Granatsplitter in die Fassade gerissen hatten, vom Krieg verschont geblieben war, überfiel sie ein seltsames Gefühl, eine Mischung von Wehmut und Beklemmung. Hier, in der Wohnung im fünften Stock mit ihren Parkettböden und den hohen, stuckverzierten Decken, hatte sie, nachdem sie und ihre Mutter ausgebombt worden waren, den größten Teil ihrer Kindheit verlebt, hier hatte sie auch die Nachricht empfangen, daß ihr Vater gefallen war.
Sie stieg die endlosen Treppen hinauf und drückte auf den Klingelknopf unter dem Messingschild, auf dem in schwarzen Buchstaben »Alexandra Wülfing« stand. Die Großmutter öffnete selber, eine magere, zierliche Frau, die in keiner Weise dem Großmutterbild vergangener Tage entsprach. Sie trug das Haar hübsch frisiert und braun gefärbt, hatte Lippen und Nägel rot gefärbt und blickte Martina aus lebhaften braunen Vogelaugen an – auch ihr kleiner Kopf mit dem zurückweichenden Kinn und der leicht gekrümmten Nase hatte etwas Vogelhaftes.
»Willkommen, Kind! Die schönen Blumen!«
Martina hatte die Nelken ausgewickelt und drückte einen Kuß auf die harte, nach Puder riechende Wange.
»Aber wo sind die Kinder?«
Martina war auf diese Frage vorbereitet und antwortete rasch: »Ich habe sie diesmal zu Hause gelassen, damit wir in Ruhe miteinander plaudern können.«
»Das ist aber schade! Ich hatte mich so auf sie gefreut!«
Martina zwang sich zu einem Lächeln. »Sei doch ehrlich, Großma! Erst freust du dich immer, aber nach fünf Minuten gehen sie dir auf die Nerven.«
»Das macht nichts. Ich will trotzdem meine kleine Freude haben. Was habe ich denn sonst noch vom Leben?«
»Eine ganze Menge, Großma!« Martina hängte ihren Regenmantel an der Garderobe auf. »Ich sehe, Mutter ist schon da! Ich will ihr gleich . . . «
Frau Wülfing hielt sie am Arm zurück.
»Und wo ist dein Mann?«
»Auch nicht mitgekommen. Ich werde dir gleich erklären . . . «
»Darum möchte ich aber auch gebeten haben! Wenn ihr euch schon das Jahr über nicht um mich kümmert . . . «
»Das ist nicht wahr, Großma!«
» . . . dann will ich euch wenigstens an meinem Festtag um mich haben!«
»Das verstehe ich ja, Großma. Aber du wirst dich mit dem Verlust deines Schwiegerenkels, oder wie man das nennt, abfinden müssen.« Martina hatte nicht so mit der Tür ins Haus platzen wollen, aber jetzt hielt sie es für das beste, die Eröffnung rasch hinter sich zu bringen.
»Ist ihm etwas passiert?!« Die alte Dame war nicht etwa erschrocken; ihre Vogelaugen funkelten vor Neugier.
»Ich lasse mich von ihm scheiden. Das ist ihm passiert!«
»Oh, ihr habt euch gezankt?«
»So würde ich es nicht nennen, Großma. Es ist ernst.«
»Also habe ich doch recht gehabt!« Die alte Dame triumphierte.
»Wer hat immer gesagt, Martina, dieser Prolet paßt nicht zu dir?!«
»Gesagt hast du es, Großma, aber ein Prolet ist er dennoch nicht. Er ist . . . «
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