Aber obwohl er mit vielen Männern Kontakt hatte, hatte er doch keinen wirklichen Freund, mit dem er über sein Privatleben hätte sprechen können. Vielleicht hätte – entgegen seiner Annahme – der eine oder andere Kollege sogar Verständnis für ihn aufgebracht. Schließlich konnte kaum einem von ihnen häuslicher Ärger fremd sein. Doch Helmut schreckte bei der bloßen Vorstellung eines solchen Gespräches zurück. Er gab es sich nicht zu, aber er fühlte sich durch Martinas Verlangen nach einer Scheidung lächerlich gemacht. Jeder, der davon erfuhr, mußte glauben, so meinte er, daß seine Qualitäten als Mann zu wünschen übrigließen. Jeder, so fürchtete er, würde sich ein Lächeln verkneifen müssen.
Warum verließ eine Frau einen Mann, bei dem sie es gut hatte? Für Helmut waren nur zwei Gründe denkbar: Weil sie einen anderen kennengelernt hatte – das traf für Martina nicht zu. Blieb nur noch: weil sie unbefriedigt war.
Er war völlig unfähig, Martinas Drang zur Entfaltung und zur Selbständigkeit zu begreifen. Daß sie darauf bestanden hatte, sich in der Kosmetikschule einzuschreiben, hatte er als typisch weibliche Laune aufgefaßt, der er widerstrebend nachgegeben hatte. Aus einer Laune heraus ließ man sich aber doch nicht scheiden. Es mußte mehr dahinterstecken. Aber was?
Während ihm Fragen und Gedanken durch den Kopf schossen, stürmte Helmut die Friedrich-Ebert-Straße hinunter und stoppte erst vor der Drogerie Zitzelsberger, in der Susi Dinkler arbeitete. Er blickte durch die spiegelnde Schaufensterscheibe und entdeckte Susi, wie sie, sehr adrett im weißen Kittel, das blonde Haar, das im Licht der Lampen schimmerte, brav im Nacken zusammengebunden, eine Kundin bediente. Sie hatte keinen Blick für ihn und hätte ihn, der auf der dunklen Straße stand, auch gar nicht sehen können. Aber er wartete darauf wie auf ein Wunder.
Nur wenige Minuten dauerte das Spiel. Dann überfiel ihn die Angst, entdeckt zu werden. Er kam sich vor wie ein Junge, der etwas Verbotenes tat. Rasch ließ er die Augen über bunte, aufeinander gestapelte Schachteln mit Abführtabletten und Vitaminpräparaten, über Flaschen mit einem Herzstärkungsmittel und ein bewegliches Schaustück gleiten, als könnte er sich so ein Alibi geben, wandte sich dann rasch ab und ging bis zur Hauptpost zurück.
Aus einer Telefonzelle rief er die Drogerie an – er kannte die Nummer auswendig – und verlangte Susi zu sprechen.
Sie meldete sich wenig später mit einem gehauchten: »Ja?«
Er wußte, sie konnte nicht frei sprechen, der Apparat stand gleich neben der Kasse. »Sehen wir uns später?« fragte er, ohne seinen Namen zu nennen.
»Warte mal . . . « Gewohnheitsmäßig tat sie erst so, als müßte sie überlegen, ob sie heute abend auch frei sei, fügte aber nach einer winzigen Pause hastig hinzu: »Doch, das geht.«
»Dann erwarte ich dich. Wie immer.«
»Ich werde mich beeilen.«
Er legte auf und fühlte sich schon wohler. Es tat gut zu wissen, daß es wenigstens einen Menschen gab, der keinen Grund hatte, an seiner Männlichkeit zu zweifeln, eine Frau, die ihm keinen Widerstand entgegensetzte, sondern glücklich war über jedes Wort, das er an sie richtete, jedes Lächeln, das er ihr gönnte.
Bis halb acht – früher konnte sie nicht fertig sein – blieb noch viel Zeit. Er kehrte zuerst in die eheliche Wohnung zurück, wo Martina dabei war, den Tisch zu decken, und versuchte sie mit einem kurzen »Ich esse auswärts« zu verletzen.
»Viel Spaß«, entgegnete sie nur und zeigte ihm mit jenem gewissen Lächeln an, daß sie ihn durchschaute.
Er hatte vorgehabt, sich auf keinen Fall provozieren zu lassen, aber er hielt es nicht durch. »Du brauchst gar nicht so überheblich zu grinsen!« fuhr er sie an.
»Tu ich das? Entschuldige, es war nicht meine Absicht!« behauptete sie, nach wie vor lächelnd.
Unbeherrscht warf er die Wohnungstür ins Schloß.
Im Hinterhof parkte sein VW. Er warf sich auf den Sitz und kurvte in Richtung Stadtpark. Im Burghotel trank er ein Glas Bier und gönnte sich einen Schnaps. Um sich die Zeit zu vertreiben, las er einige Zeitungen.
Er war kein politisch denkender Mensch. 1939 war er zwölf Jahre gewesen, alt genug, um die Schrecken des Zweiten Weltkriegs bewußt mitzuerleben, gegen dessen Ende er noch eingezogen worden war. Jetzt wollte er nur noch seine persönliche Ruhe haben und darüber hinaus Frieden auf der ganzen Welt. Daß dies nicht möglich zu sein schien, daß die Konstellationen sich dauernd änderten, störte ihn. Der Freiheitsdrang der vielen, vor allem der afrikanischen Völker beunruhigte ihn.
Er war froh, als es endlich soweit war, daß er Susi Dinkler erwarten durfte. Er zahlte, zog seinen Dufflecoat über und ging die wenigen Schritte zum Stadtpark hinüber. Seit Martina auf Scheidung drang, wagte er nicht mehr, sich mit Susi in der Öffentlichkeit zu treffen.
Es war ungewöhnlich warm für einen Februartag. Dort, wo das Licht der Laternen auf die Baumkronen fiel, ließ sich deutlich erkennen, daß die alten Ulmen schon frisches Grün trieben. Unruhig begann Helmut auf und ab zu wandern, bis er Susi Dinkler bemerkte.
Sie ging eilig, mit kleinen Schritten, und als sie sich von ihm erkannt sah, begann sie sogar zu laufen. Das blonde Haar trug sie jetzt offen, es wehte um ihr helles Gesicht, und als sie ihn erreichte, warf sie sich ihm mit einem kleinen atemlosen Laut an die Brust.
Er hatte es nicht verhindern können, packte sie aber sofort bei den Schultern und schob sie von sich fort. »Nicht doch, Susi, du weißt . . . «
»Als wenn es jetzt noch darauf ankäme!«
Er schüttelte sie leicht. »Wir müssen vorsichtig sein.«
»Weshalb?«
»Benimm dich nicht wie ein Kind! Das kann ich nicht leiden. Solange die Scheidung läuft, dürfen wir nicht miteinander gesehen werden. Das wäre doch nur Wasser auf Martinas Mühlen.«
»Aber die weiß doch sowieso Bescheid!«
»Kein Grund, sie unnötig zu reizen.«
»Du sprichst von ihr, als wenn sie ein Raubtier wäre.«
Er lachte rauh. »Das trifft nicht weit daneben.«
»Gab’s wieder Ärger?«
»Ärger ist leicht untertrieben.« Er ging voraus zu seinem Auto, schloß auf, setzte sich ans Steuer und öffnete die Beifahrertür von innen.
»Erzähl schon! Ich habe dir den ganzen Nachmittag Däumchen gehalten.«
Sie dachte gar nicht daran, ihn zu fragen, wohin er mit ihr fahren wollte, und das gefiel ihm. Anders als Martina war sie bereit, sich voll und ganz seinen Wünschen unterzuordnen.
»Sie besteht auf einer Abfindung.« Er zündete und gab Gas.
»Behauptet, sie hätte zehn Jahre lang für nichts gearbeitet, und will Geld sehen.«
Susi Dinkler schwieg; sie wußte aus Erfahrung, daß man, wenn man mit Helmut zurechtkommen wollte, besser daran tat, seine Gedanken hin und wieder für sich zu behalten.
»Und was sagt dein Anwalt dazu?«
»Der? Daß sie mich zwar auf Unterhalt, niemals aber auf eine einmalige Abfindung verklagen kann.«
»Na also!«
»Na also, na also!« äffte er sie nach. »Du machst es dir verdammt einfach.«
Sie zuckte zusammen und legte ihm dann versöhnlich die Hand auf den Arm. »Sei mir nicht böse, Helmut, aber ich verstehe nicht recht . . . Ich kenne mich ja in solchen Dingen nicht recht aus.«
Er atmete tief